Herr Yurderi, Anfang Oktober haben Sie Ihr neues Album veröffentlicht. In einem Song rappen Sie darüber, in Tracht geheiratet zu haben, damit die AfD-Vorsitzende Alice Weidel Sie nicht abschieben kann. Wie haben Sie das gemeint?

Meine Frau und ich haben 2023 nach zehn Ehejahren noch mal im Stanglwirt in Kitzbühel gefeiert. Ich hatte damals ein Faible für Trachten entwickelt und auf der Feier eine an. Ich mag diese urige Gemütlichkeit. Natürlich gab es Reaktionen, viele fanden es seltsam oder ungewöhnlich. In der Show „Late Night Berlin“ von Klaas Heufer-Umlauf wurde dann ein Foto von mir in Tracht gezeigt. Klaas meinte damals: „Jetzt habe ich alles gesehen.“ Das zeigt: Die Leute haben bestimmte Bilder im Kopf, Klischees, in die sie einen stecken wollen.

Die Zeile war aber nicht an Klaas Heufer-Umlauf gerichtet?

Die Zeile im Song ist eine Spitze in zwei Richtungen. Einerseits: Warum soll es für jemanden wie mich – Halbtürke, in Kreuzberg aufgewachsen, Rapper – ungewöhnlich sein, Tracht zu tragen, in Österreich Kaiserschmarrn oder Käsespätzle zu essen? Warum darf ich nicht auch etwas „Urdeutsches“ oder Österreichisches feiern, wenn es mir gefällt? Andererseits ist es ein Kommentar zur Debatte über Integration: Bin ich angepasst genug, wenn ich Tracht trage und deutsche Bräuche pflege? Oder bleibe ich trotzdem „der Kanake“?

Ihr Vater kommt aus der Türkei, Ihre Mutter ist Deutsche. Denken Sie, die Reaktionen wären anders ausgefallen, wenn Sie keine türkische Migrationsgeschichte hätten?

Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich liegt es weniger an meiner Herkunft als daran, dass ich Rapper bin. Mit diesem Beruf verbinden viele ganz bestimmte Klischees. Aber wer will denn überhaupt beurteilen, was zu mir passt?

Das Oktoberfest ist seit vergangener Woche vorbei. Wahrscheinlich auch kein Ort, mit dem man Sie zwangsläufig in Verbindung bringt. Waren Sie dort?

In den vergangenen Jahren war ich bereits öfter da. Ich hatte es auch dieses Jahr auf dem Schirm, hatte aber leider keine Zeit. Eine Einladung hatte ich auch, guter Tisch, gutes Zelt. Mein Wunsch ist eigentlich, dort irgendwann auch mal aufzutreten. Da habe ich richtig Bock drauf.

Zurück zur AfD. Ich habe die Zeile auch mit dem „Remigration-Gipfel“ in Potsdam in Verbindung gebracht. Wie ein Teilnehmer unter Eid ausgesagt hat, soll dort auch die Abschiebung deutscher Staatsbürger mit Integrationsgeschichte geplant worden sein. Beschäftigt Sie das als türkeistämmiger Deutscher?

Was heißt beschäftigen, aber natürlich finde ich das bedrohlich. Allein die Idee, Menschen mit Migrationshintergrund, die längst Deutsche sind, abzuschieben – das ist obskur, wahnsinnig und brandgefährlich. Aber sich allein über Begriffe wie „Remigration“ aufzuregen und so zu tun, als sei das eine zufällige Entwicklung, reicht mir nicht.

Sie meinen, man darf die Ursachen für den Erfolg von Rechtspopulisten nicht ausblenden?

Für mich war es absehbar, dass so etwas passiert. Dabei trägt die Politik eine große Mitverantwortung. Nach der Wende hätte man sich ernsthaft um den Osten kümmern müssen: Arbeitsplätze sichern, Perspektiven schaffen, die Sorgen der Menschen hören. Stattdessen wurden Strukturen abgebaut, wirtschaftliche Vorteile in den Vordergrund gestellt – und die Leute fühlten sich nicht gesehen und nicht ernst genommen.

„Die Frage ist doch: Was ist die Definition von einem „Mann“?“: Der Rapper spricht mit seinem Sohn über falsche Männlichkeitsbilder.„Die Frage ist doch: Was ist die Definition von einem „Mann“?“: Der Rapper spricht mit seinem Sohn über falsche Männlichkeitsbilder.Michael HinzIm September jährte sich der Beginn der Mordserie des NSU. Die Opfer waren zumeist türkeistämmige Männer. Hat Sie das betroffen gemacht?

Es macht mich insgesamt nachdenklich, dass solche Taten passieren. Egal ob der islamistische Anschlag am Breitscheidplatz, das Attentat von Hanau oder die NSU-Morde. Zum Attentat auf Charlie Kirk habe ich etwas gelesen, das mich beschäftigt hat. Über die Tatsache, dass uns diese Form der Gewalt mittlerweile so normal vorkommt. Heute scrollen wir über solche Bilder hinweg, fast ohne körperliche Reaktion. Eigentlich müsste man sich abwenden, weil es so grausam ist.

Die Abstumpfung gegenüber Gewalt hängt auch mit sozialen Medien zusammen. Sie waren lange auf der Plattform X, früher Twitter, aktiv, das sich seit der Übernahme von Elon Musk deutlich verändert hat. Nutzen Sie die Plattform noch?

X nutze ich nicht mehr aktiv, ich lese aber noch viel. Man sieht, dass Musk da sein Unwesen treibt. Letztens wurde mir dort ein unzensierter Porno gezeigt. Ich wusste nicht mal, dass das mittlerweile möglich ist. Insgesamt bin ich hauptsächlich Konsument sozialer Medien. Ich habe kein großes Bedürfnis, dauernd Content zu produzieren – wer interessiert sich schon dafür, was ich esse oder trinke? Ich finde es verrückt, dass manche ihr ganzes Leben so wichtig nehmen.

Jetzt haben Sie mir eine gute Vorlage gegeben: Kennen Sie den Food-Content von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder?Er postet auf Instagram regelmäßig unter dem Hashtag „Söder isst“ seine Mahlzeiten: Bratwurst, Hamburger, McDonald’s, gern auch mal mit Seitenhieben gegen Vegetarier garniert. Sie selbst leben seit Ihrem 18. Lebensjahr fleischfrei. Stört es Sie, wenn konservative Politiker das ins Lächerliche ziehen?

Das juckt mich nicht. Es gibt sicher auch an mir Dinge, die Leute als konservativ bewerten. Und für mich ist das okay, wenn jemand so aufgewachsen ist. Das ist halt Söders Realität. Ich fände es auch seltsam, zu glauben, dass er so ein Mann von Welt ist, dass er sich auch nur eine Minute mit Vegetarismus oder Tierleid beschäftigt. Ich habe da keine Erwartung an Söder. Ich gehe davon aus, dass er sich den ganzen Tag seine Schweinshaxen reinpfeift. Und was das Fast Food betrifft: Über Trump sagt man ja auch, er esse fast täglich McDonald’s. Da passen die beiden ganz gut zusammen.

Einen Schritt weiter als Söder geht der AfD-Politiker Maximilian Krah. Der sagt jungen Männern, Fleisch essen sei männlich und Vegetarismus nicht.

Die Frage ist doch: Was ist die Definition von einem „Mann“? Ich will mir das nicht von jemand anderem diktieren lassen. Ich rede viel mit meinem Sohn über solche Themen.

Ihr Sohn ist jetzt elf Jahre alt und kommt bald in die Pubertät. Die Identitätskrise vieler junger Männer wird von Politikern wie Krah, aber auch von frauenfeindlichen Influencern wie Andrew Tate aufgegriffen.

Andrew Tate kann ich nicht ernsthaft kritisieren, weil das für mich wie Realsatire wirkt. Das ist doch Comedy. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand das wirklich ernst nimmt. Der Typ ist redegewandt, aber das ist Marketing für seine Zielgruppe.

Seine Zielgruppe sind Männer, darunter auch viele junge Menschen. Von denen nehmen das auch sicher welche ernst.

Bedenklich finde ich eher, warum der Bedarf so groß ist. Viele junge Männer suchen ihre Identität: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Was definiert mich? Man muss ihnen zuhören, Verständnis zeigen, sie ein Stück begleiten. Ich sehe das bei meinem Neffen, der ist um die 18 Jahre alt und mit diesen Debatten in den sozialen Medien groß geworden. Und auch bei meinem Sohn merke ich: Für die ist vieles selbstverständlich, an das wir uns gewöhnen mussten. Zum Beispiel, wie man miteinander redet, wie Männer mit Frauen umgehen sollten. Ein Bewusstsein, das wir so nicht hatten, das für sie aber ganz natürlich ist. Zum Beispiel das Gendern. Für mich war das eine Umstellung.

Sie meinen also, dass junge Männer sensibilisierter sind für Geschlechterungerechtigkeiten als früher?

Zu hundert Prozent, also ich kann auch nicht für alle sprechen. Aber viele Dinge, die für meine Generation ein Widerspruch waren, sind es für die Jüngeren nicht. Dafür müssen junge Menschen heute mehr darüber nachdenken, wer sie sind und wo ihr Platz ist.

Ihr Sohn und Ihr Neffe scheinen in privilegierten und sehr reflektierten Verhältnissen aufzuwachsen. Anders als Sie. Als Sie in dem Alter Ihres Sohnes waren, zogen Sie von Aachen nach Berlin-Kreuzberg. An Ihrem ersten Tag an der neuen Schule sahen Sie, wie ein Junge den Kopf eines anderen wiederholt auf den Asphalt schlug. Hat Gewalt eine große Rolle in Ihrem Leben gespielt?

Eine sehr große Rolle. Schon in der Türkei haben meine Eltern gesagt: Wenn du Schüsse hörst, geh sofort in den Hauseingang.

Kool Savas (bürgerlich Savaş Yurderi) wurde 1975 in Aachen geboren. Er erklärte sich vor rund 25 Jahren zum „King of Rap“ – ein Titel, den ihm bis heute keiner abgesprochen hat.Kool Savas (bürgerlich Savaş Yurderi) wurde 1975 in Aachen geboren. Er erklärte sich vor rund 25 Jahren zum „King of Rap“ – ein Titel, den ihm bis heute keiner abgesprochen hat.Michael Hinz

Ein Teil Ihrer Kindheit haben Sie während der Zeit der Militärdiktatur in der Türkei verbracht, ehe Sie mit Ihrer Mutter nach Deutschland fliehen mussten. Man hatte Ihren Vater für seinen sozialistischen Aktivismus inhaftiert.

Das ist nicht vergleichbar mit einem Kind, das im Krieg aufwächst, aber allein mit sechs Jahren zu wissen: Mein Vater wurde abgeholt – das war schwer. Meine Eltern, beide Kommunisten, haben sehr offen mit uns Kindern gesprochen. Da wurde nichts beschönigt. Ich wusste, dass mein Vater gefoltert wird. Das hat mich stark geprägt und beschäftigt.

In Kreuzberg ging es dann weiter mit der Gewalt. Sie wurden zum Mobbingopfer anderer Jugendlicher.

So habe ich das wahrgenommen. Du kommst in eine Struktur, mit der du eigentlich nichts zu tun hast, und plötzlich gibt es eine Hierarchie: Der hat mehr zu sagen als der andere, und wenn du dich falsch verhältst, kommt der Chief Rocker und haut dir vor allen in die Fresse. Solche Situationen gab es.

Ich habe damals in einer Wohngemeinschaft für Jugendliche gewohnt. Die Betreuer kamen zweimal am Tag, aber nachts war niemand da. Meine Kreuzberger Homies haben dann immer bei mir gepennt, weil ich der Einzige war, der allein wohnte. Einer hatte eine Waffe bei mir versteckt, ohne dass ich davon wusste. Irgendjemand aus meinem Umfeld muss sie dann gestohlen haben. Als die Waffe weg war, wurde ich dafür verantwortlich gemacht und runtergemacht, obwohl ich nichts dafür konnte. Solche Momente gab es viele.

Auf Ihrem Album arbeiten Sie nicht nur Gewalterfahrungen auf, sondern auch den Tod Ihres guten Freundes, des Produzenten DJ Smoove, der 2018 verstorben ist.

Der Song für ihn ist kein klassisches Memorial. Es geht nicht darum, zu sagen: „Ich vermisse dich“, sondern darum, was ich aus dieser Freundschaft gelernt habe. Smoove hieß nicht nur so, er war auch als Mensch smooth. Dieser Verlust hat mir geholfen, die Menschen um mich herum wertzuschätzen, weniger Groll mit mir herumzutragen und an mir zu arbeiten.

Sie rappen auf dem Track auch sinngemäß, sich mit Ihren Feinden zu versöhnen. Anfang des Jahres beendeten Sie während eines Konzerts zu Ihrem 50. Geburtstag eine mehr als 20 Jahre andauernde Fehde mit dem Rapper Eko Fresh.

Wir hatten uns bereits vorher versöhnt – auch in meinem Buch gibt es ein ganzes Kapitel, an dem Eko Fresh mitgewirkt hatte. Aber wir wollten das noch einmal zeigen. Es war uns wichtig, auch für unsere Söhne. Wenn die irgendwann im Netz nach ihren Vätern suchen, sollen sie nicht nur Battles und Beleidigungen finden. Sondern auch: Da stehen zwei auf der Bühne, nehmen sich in den Arm, zeigen, dass sie sich versöhnt haben, Fehler eingesehen und um Entschuldigung gebeten haben.

„Das ist halt Söders Realität“: Kool Savas lebt seit Jahrzehnten als Vegetarier.„Das ist halt Söders Realität“: Kool Savas lebt seit Jahrzehnten als Vegetarier.Michael Hinz

Für das Album haben Sie auch alte Kassetten ausgekramt und Ihr jetziges Ich dem jüngeren Kool Savas gegenübergestellt. Einige Tracks aus dieser Zeit gelten als sexistisch und gewaltverherrlichend. War die Auswahl der passenden Parts schwer?

Ja, klar. Früher war mir meine Wortwahl völlig egal. Ich habe gesagt, was ich wollte, ohne nachzudenken, ob das problematisch sein könnte oder nicht. Damals war die Hörerschaft noch sehr klein. Rap musste krass sein, die Leute schocken mit Lines, die keiner erwartet. Manche Fans haben mir geschrieben: „Bitte mach noch mal alles genauso wie auf den alten Tapes!“, oder jeder wisse doch, dass das nicht meine wahre Überzeugung ist, dass ich kein Typ wie Andrew Tate sei. Aber das geht nicht, und das will ich auch gar nicht. Ich rappe heute lieber über andere Themen.

Auch das Wort „schwul“ benutzen Sie nicht mehr als Beleidigung. Wollen Sie niemanden mehr verletzen?

Ich weiß nicht, ob sich jemals jemand direkt von so einer Zeile von mir verletzt gefühlt hat. Aber ich verstehe, dass Sprache das Bewusstsein prägt. Für mich ist es kein Verzicht, solche Wörter wegzulassen. Ich muss mir nicht ständig auf die Zunge beißen und denken: „Oh Gott, das darf ich nicht sagen.“ Ich glaube, man gewinnt mehr, wenn Leute sehen: Da hat jemand reflektiert, erkannt, dass es nicht in Ordnung ist – und das bewusst aus seinem Sprachgebrauch gestrichen hat.

Die Berliner Rapperin Ikkimel macht teils das, was Sie zu Beginn Ihrer Karriere gemacht haben: Nur werden bei ihr die Männer zu Sexobjekten, nicht die Frauen. Dafür wird sie von Männern beleidigt und bedroht.

Ich nehme Ikkimel nicht als männerfeindlich wahr. Sie ist Teil eines Movements. Es gibt viele Rapperinnen, die provokant mit Sexualität umgehen. Emanzipation ist wieder ein Riesenthema, viele junge Frauen fragen sich: Warum soll mir ein Typ sagen, wie ich reden oder leben soll? Die sagen: Ich kann auch saufen, ich kann ficken, ich kann machen, was ich will – und wir leben in einem freien Land.

Vor rund zwei Jahren haben Sie auch mehrere Frauen um Entschuldigung gebeten. In einem Interview mit dem „Spiegel“ ließen Sie sich mit Vorwürfen konfrontieren, Frauen mit Ihren Worten und Ihrem Verhalten beleidigt und verletzt zu haben. Sie haben sich selbst damals als „Arschloch“ bezeichnet.

Der „Spiegel“ hatte damals sehr transparent mit allen Beteiligten gesprochen. Man hatte mir die Ergebnisse der Recherche vorgelegt und mir klargemacht: Das wird kein White-Washing-Interview. Die Redakteurin hatte mir gesagt, dass sie den Frauen glaubt, aber auch mit mir sprechen will. Das fand ich gut. Ich war dann selbstbewusst genug, zu sagen: Okay, das nehme ich so hin, das ist für mich in Ordnung.

Damals wurden Sie gefragt, warum Sie sich den Vorwürfen in einem Interview stellen. Eine Ihrer Antworten lautete: Für meinen Sohn.

In erster Linie war es für die Frauen, gegenüber denen ich mich falsch verhalten habe. Aber tatsächlich auch für meinen Sohn. Die Dinge, die ich jetzt mache, tue ich in den meisten Fällen mit dem Gedanken: Was bringt ihm das? Er wird seine eigenen Fehler machen – das ist klar. Aber meine Aufgabe als Vater ist es, da zu sein und ihm zumindest die Möglichkeit zu geben, zu sehen, was bei mir los war. Manchmal erzähle ich ihm: „Bei mir ist das und das passiert, so hat es sich angefühlt.“ Ich will im besten Fall ein authentischer Mensch sein. Und dazu gehört, auch mal blankzuziehen und zu sagen: „It is what it is.“ So ein Song wie für meinen Freund Smoove wäre gar nicht entstanden, wenn ich nicht versuchte, nach diesem Prinzip zu leben. Das gehört alles zusammen.