Mühsam nährt sich das Kaninchen. Aber so langsam wird deutlicher, warum der Leipziger Haushalt derart aus dem Ruder gerät, dass seit zwei Jahren Investitionen nur noch mit immer neuen Schuldenaufnahmen gestemmt werden können und Leipzig trotzdem kaum noch die Haushaltsgenehmigung schafft. Die Linksfraktion hat ja im Stadtrat eine umfassende Anfrage laufen, wo diese Kosten bei den auferlegten Pflichtaufgaben entstehen, für die Bund und Land das Geld aber nicht zur Verfügung stellen. So langsam wird die Dimension deutlich.
In der Ratsversammlung am 24. September nannte Finanzbürgermeister Torsten Bonew erste Zahlen zu den aus dem Ruder laufenden Sozialkosten, die den Leipziger Haushalt sprengen. Da warf er in einer Folie die Zahl von 167 Millionen Euro an die Wand. Da waren etwa die massiv gestiegenen Hilfen zur Pflege enthalten oder die Kosten der Unterkunft, die die Kommune beibringen muss, obwohl sie dafür gar nicht die Einnahmen hat.
Aber dabei wird es nicht bleiben. Auch das war Thema am 24. September, als Linke-Stadtrat Enrico Stange für die von der Linksfraktion gestellte Anfrage noch einmal nachhakte.
Denn die Informationen, die die Verwaltung auf die Anfrage hin gesammelt hat, sind in unterschiedlichen Formaten völlig unübersichtlich zusammengewürfelt und lassen einfach keine klare Auswertung zu, welche Pflichtaufgaben in der Stadt nun eigentlich in welchem Maß unterfinanziert sind und damit die finanziellen Spielräume der Stadt auffressen.
Finanzbürgermeister Torsten Bonew sagte zu, dass die Linksfraktion bis Ende Oktober eine übersichtliche Aufstellung der Zahlen bekommen wird.
Da waren es schon 352,8 Millionen Euro
Am 15. September hatte aber das Sozialdezernat auch schon eine eigene Vorlage ins Verfahren gebracht, die in aller Deutlichkeit zeigte, wie Leipzig die Sozialausgaben aus dem Ruder laufen. Und zwar mitten im Jahr, in der Haushaltsplanung überhaupt nicht berücksichtigt und damit auch nicht finanziert.
Die Botschaft, die man in der Linksfraktion nicht überlas, steckte dann am Ende der Ausführungen des Sozialdezernats. In der Vorlage VIII-DS-01428 „Überplanmäßige Aufwendungen 2025 nach § 78 in Anlehnung an § 79 (1) SächsGemO in der Grundversorgung und Hilfen nach SGB XII, Grundversorgung für Arbeitssuchende nach SGB II, Eingliederungshilfe nach SGB IX sowie Bildungs- und Teilhabeleistungen für Empfänger WOGG bzw. BKGG“ wird am Ende nämlich zusammenfassend ausgeführt:
„Die Netto-Aufwendungen im Sozialbereich betragen gemäß V-Ist zum 30.06.2025 rund 352,8 Mio. EUR (inkl. KSV-Umlage). Es handelt sich um Pflichtaufgaben ohne jegliche Finanzierungsbeteiligung durch Bund oder Land. Diese erhebliche Belastung für die Stadt Leipzig ist kaum noch zu bewältigen ohne dass Aufgaben in anderen Bereichen gekürzt werden oder wegfallen müssen. So haben sich z. B. die Aufwendungen für die Hilfe zur Pflege innerhalb von 3 Jahren nahezu verdoppelt; die KSV-Umlage ist gegenüber 2020 um 40 % (+ 61 Mio. EUR) angestiegen.“
Die Demografie fliegt Leipzig um die Ohren
In der Vorlage des Sozialdezernats ging es darum, dass sich diese Summe eben mal um 26 Millionen Euro erhöht hat. Allein bei der Hilfe zur Pflege hatte die Stadt zwar mit 25 Millionen Euro gerechnet – aber schon im ersten Halbjahr zeichnete sich ein Mehraufwand von 12 Millionen Euro ab. Ob es dabei bleibt, ist völlig offen.
Das Sozialdezernat betont in seiner Vorlage, dass hier die demografische Entwicklung in Leipzig zuschlägt – immer mehr Leipziger kommen ins hohe Alter, immer mehr werden zum Pflegefall. Aber da sie fast alle nicht mit hohen Lebenseinkünften vorsorgen konnten, landet der Antrag zu den Pflegekosten bei der Stadt, die dann einstehen muss für immer mehr alte Menschen, die ihre stationäre Pflege nicht bezahlen können.
„Die Mehraufwendungen je Leistungsfall im Bereich der ambulanten Pflege liegen bei 10 %“, heißt es in der Vorlage. „Wegen der anhaltenden Kostensteigerungen und der demografischen Entwicklung wird von einer Fortsetzung dieser Entwicklung ausgegangen. Gegenüber dem Plan 2025 (14,3 Mio. EUR) wird mit Mehraufwendungen in Höhe von bei 6,0 Mio. EUR gerechnet. Eine Kostenbeteiligung durch Bund oder Land erfolgt nicht.“
Mit Stand vom Juni meldet da Sozialdezernat hier statt 25 Millionen Euro ein IST von 37 Millionen Euro. Aber die Linksfraktion ist skeptisch, dass es dabei bleibt und hat umgehend das IST für September nachgefragt.
Auch bei den 352,8 Millionen Euro wird es nicht bleiben
Aber die Vorlage aus dem Sozialdezernat macht eben deutlich, dass es beim durch auferlegten Pflichtaufgaben erzeugten Haushaltsminus von 167 Millionen Euro nicht bleibt, sondern Leipzig mindestens 352,8 Millionen Euro allein in diesem Jahr aufbringen muss, um die Pflichtaufgaben im Sozialbereich abzufedern.
Ohne finanziellen Ausgleich vom Bund. Allein diese Summe würde locker reichen, den Haushalt 2025 ins Plus zu drehen und auch noch die Investitionen bezahlen zu können, ohne Schulden aufzunehmen.
Aber bei den 352,8 Millionen Euro wird es nicht bleiben. Da fehlen auch noch die Mehrkosten aus den anderen Dezernaten. Es dürfte keineswegs überraschen, wenn dann die vom Finanzdezernat Ende Oktober avisierte Gesamtrechnung einen Betrag deutlich über 500 Millionen Euro ergäbe, die Leipzig bei auferlegten Pflichtaufgaben zuschießen muss, die Bund und Land aber schlicht nicht bereit sind, kostendeckend zu finanzieren.