Für Lotte Laserstein war es keine Frage, ob sie den Impressionisten folgen oder dem Expressionisten huldigen sollte. Als sie Anfang der 1920er Jahre ihr Studium an der Berliner Hochschule für die Bildenden Künste begann, war auch der von Picasso und Braque ersonnene Kubismus schon weit über eine Dekade alt. Malerei und Skulptur hatten sich längst modernisiert, doch für die Künstlerinnen gingen die Uhren anders: Laserstein gehörte zu den ersten Frauen, die überhaupt Malerei an einer Akademie studieren konnten. Die Künstlerin, Jahrgang 1898, nahm dies ernst und vertiefte sich in die naturalistische Darstellung, die noch im 19. Jahrhundert wurzelte.
Zur Ausstellung
Die Bilder von Lotte Laserstein sind bis zum 1. November bei Gräfe Art Concept, Knesebeckstr. 89, zu sehen. Die Galerie hat am Donnerstag, Freitag und Samstag jeweils von 13-19 Uhr geöfffnet.
Eine kleine Sensation
Die Landschaft – in diesem Fall Berlin, das sich in Lasersteins Zeit rasant vergrößerte –, das Stillleben, Porträts und Akte gehörten zu ihrem Repertoire. Und eben das fächert aktuell eine Ausstellung in Berlin auf, die eine kleine Sensation darstellt: Laserstein in Zeichnungen und Gemälden; zu Preisen, die bis auf wenige Ausnahmen durchaus erschwinglich sind.
Die Galeristin Hilde Gräfe hat aus dem Konvolut einer Sammlung für ihre Soloschau gewählt, was die Künstlerin ausmacht. Da ist der genaue Blick auf den (weiblichen) Körper, den Laserstein nicht als erotisch feiert, sondern als Ausdruck einer selbstbestimmten Weiblichkeit. In diese Rubrik fällt auch die große Kohlezeichnung „Liegender weiblicher Akt“ von 1928 – eine Studie zum Gemälde „In meinem Atelier“, das als ein Highlight im Werk von Laserstein gilt. Weshalb auch die Studie ihren unteren sechsstelligen Preis hat.
Vor den Nazis geflohen
Knapp 20.000 Euro kostet hingegen ein Aquarell, das in den späten dreißiger Jahren mit Blick auf den Schöneberger Gasometer entstanden ist. Kurz vor der Emigration nach Schweden 1937. Da hatten die Nazis Lasersteins private Kunstschule in Berlin längst geschlossen und sie zur „Dreivierteljüdin“ erklärt. Die Existenz der bis dahin autonomen Frau, die sich gut vernetzt hatte, im Vorstand des Vereins der Berliner Künstlerinnen wirkte und überhaupt den Typus der Neuen Frau in der Weimarer Republik verkörperte, war vernichtet. Lotte Laserstein verließ anlässlich einer Ausstellung im Stockholmer Kunstmuseum das Land mit einem Teil ihres Werks, ging ins Exil und kam nie wieder.
Lotte Laserstein: „Kristina Nordström im Sessel“, 1967.
© Graefe Art Concept
Ein Grund, weshalb die Wiederentdeckung dieser großartigen Malerin erst 2003 mit einer Ausstellung im Berliner Ephraim-Palais begann. Und immer noch vertritt sie nicht die Avantgarde. Sondern glänzt durch einen eigenen Stil, der die Objekte ihres Interesses ebenso wohlwollend wie präzise in den Blick nimmt. Laserstein ist eine Meisterin des Inkarnats, der Lichtregie im Fall des Bildes „Kirchlicher Würdenträger (Kardinal)“, den Gräfe eher für einen Schauspieler hält (Preis auf Anfrage). Ihre Blumenbilder wie „Rosenblüten“ (9900 Euro) aus den 1950er Jahren wirken etwas brav komponiert, sind aber tadellos gemalt.
Mehr spannende Ausstellungen in Berlin Kunstquartier Bethanien zeigt Bilder aus dem Knast „Viele halten Kunst anfangs für überflüssig und unmännlich“ Beverly Buchanan im Haus am Waldsee Scheinidylle in bürgerlicher Nachbarschaft Wilde Widersprüche Die Malerei von Beat Zoderer in der Galerie Taubert Contemporary
Die wunderbare farbige Skizze einer Kindergruppe mit Referenzen an die Ästhetik Heinrich Zilles wie damalige Modezeichnungen hat sich ein Sammlerpaar gesichert und ist damit bereits nach Hamburg aufgebrochen. Andere Bleistiftzeichnungen wie „Junge Frau mit aufgestütztem Kopf“ sind noch zu sehen (3900 Euro), genau wie das Gemälde „Am Kai des Vaxholm-Schiffes“ (19.900 Euro), das die Menschen im Hafen zu farbigen Strichen werden lässt, während sich die Fähre in reiner Farbe und malerischer Gestik auflöst. Ein bisschen Abstraktion schwingt in jener Ansicht mit, doch Lotte Laserstein, die 1993 starb, hat ihre akademische Vergangenheit nie vergessen.