B Böhmermann: check“, schrieb eine Freundin, als sich der Shitstorm gegen den Satiriker abzeichnete. Angehängt war ein Screenshot ihrer „Shitstorm Liste 2025“ mit Menschen, die sie in diesem Jahr noch gecancelt glaubt: Rapper Ski Aggu (auch check), Podcaster Tommi Schmitt, Moderator Joko Winterscheidt und Rapper Zartmann stehen noch drauf. Mal schauen, wer bis Ende des Jahres noch steht.
Der Shitstorm gegen Böhmermann ist völlig überzogen. Die ersten werden hier aufhören zu lesen – und genau da liegt das Problem. In linken Kreisen herrscht nämlich derzeit die moralische Einheitsmeinung: Böhmermann ist scheiße. Aber wer nimmt sich überhaupt noch die Zeit (und hat die Energie), Dinge einzuordnen?
Dafür schwemmen zu viele Empörungswellen die Feeds: Rapperin Zsá Zsá, Autorin Caroline Wahl, Moderation Dunja Hayali – alle in den letzten paar Wochen gecancelt. Die Gemeinsamkeit: alles Linke. Haben wir nicht andere Feinde? Der Shitstorm gegen Böhmermann zeigt: offenbar nicht.
Die Kurzfassung: Böhmermann hatte den Rapper Chefket eingeladen, bei der von ihm kuratierten Veranstaltungsreihe „Die Möglichkeit der Unvernunft“ am 7. Oktober im Haus der Kulturen der Welt (HKW) aufzutreten. Kulturstaatsminister Wolfgang Weimer (CDU) wertete ein Shirt von Chefket als antisemitisch und forderte Böhmermann daraufhin auf, ihn wieder auszuladen. Böhmermann sagte das Konzert für den 7. Oktober ab, der Shitstorm brach über ihn herein.
Im HKW sagte Böhmermann Anfang der Woche dann jedoch: „Es wurde keiner ausgeladen.“ Und weiter: „Alle reden miteinander.“ Umso bizarrer sei es, zu sehen, was in den Medien passiert, wenn man wisse, was eigentlich passiert ist. Was der Staatsminister sagt, sei für seine Bewertung der Sachlage „komplett irrelevant“, so Böhmermann. Er habe selbstkritisch erkannt, dass es nicht richtig sei, die jüdische Perspektive am Jahrestag des Übergriffs der Hamas nicht zu berücksichtigen.
Mangelndes Interesse an anderen Sichtweisen
Die Erklärung stößt jedoch auf taube Ohren, der Shitstorm brodelt bereits, Böhmermann gilt als gecancelt. Wie gering das Interesse ist, andere Sichtweisen auszuhalten, zeigte sich dann auch bei einer Veranstaltung im HKW am Montagabend, bei der Böhmermann und der Medienanwalt Christian Schertz für größere Debattenräume plädierten.
Schertz vertritt Promis wie Günther Jauch, Jan Böhmermann und Rammstein-Sänger Till Lindemann – aber auch MeToo-Betroffene oder die Berliner Polizistin Judy S., die Ziel einer Hetzkampagne der Bild-Zeitung wurde. Sein Anspruch: „Ich versuche immer, auf der richtigen Seite zu stehen.“
Die Aussage sorgt im Saal für Aufruhr. Eine empörte Zuschauerin wirft Schertz vor, es sei „verlogen“, Männer wie Lindemann zu verteidigen und sich zugleich als „MeToo-Vorreiter“ zu geben. Schertz kontert nüchtern: „Ich habe Lindemann verteidigt, weil es unzulässige Verdachtsberichterstattung war.“ Seine Kanzlei war gegen den Spiegel vorgegangen, der Lindemann ohne Beweise unterstellt hatte, Frauen mit K.O.-Tropfen betäubt zu haben.
Moralische Grenzen sind nicht einheitlich
Schertz’ Anspruch „immer auf der richtigen Seite“ zu stehen, ist kein moralischer, es ist ein rechtlicher. Das kann man kritisieren – oder akzeptieren. Seine moralische Grenze zieht er woanders als andere. Für ihn steht etwa fest: „Ich verteidige keine Nazis.“ Anfragen von AfD-Abgeordneten lehne er strikt ab. Sein Hauptgegner bleibt die Bild-Zeitung.
Böhmermann und Schertz wollen dem Rechtsruck etwas entgegensetzen, die Ausstellung im HKW soll „die Korridore des Sagbaren“ weiten. Das Publikum jedoch will nicht weiten, sondern werten. Immer wieder wird Schertz unterbrochen, fast alle Fragen – vielmehr Anklagen – drehen sich um Till Lindemann. Sein Appell, man solle mehr Gnade walten lassen, verhallt ungehört.
Was das heißt, erfährt auch Böhmermann derzeit, der den über ihn hereinbrechenden Shitstorm jedoch stoisch erträgt. „Mein Name hat schon eine Menge überstanden“, sagt er süffisant. „Ich bin die laufende Projektionsfläche.“ Das Dilemma: Inzwischen sind alle, die sich öffentlich äußern und sich dabei nicht exakt an die rigiden Vorgaben linker Moralvorstellungen halten, laufende Projektionsflächen einer dauerempörten Bubble. Nur: Wem ist damit geholfen?