Franziska Hirsbrunner
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Der deutsche Schriftsteller Thomas Melle machte 2016 mit dem furiosen Buch «Die Welt im Rücken» seine bipolare Krankheit öffentlich. Nun legt er nach: «Haus zur Sonne» ist für den Deutschen Buchpreis nominiert und verbindet Krankheitsbericht mit Dystopie. Und: es steht in einer langen Tradition. Fünf weitere literarische Lesetipps, die allesamt eindrückliche Geschichten über psychische Erkrankungen erzählen.
Thomas Melles «Haus zur Sonne»
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Legende:
Autor Thomas Melle steht mit seinem Roman «Haus zur Sonne» auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025.
Regina Schmeken
Der 50-jährige Deutsche Thomas Melle gilt als einer der profiliertesten Schriftsteller seiner Generation. Und er leidet an einer schweren manisch-depressiven Erkrankung. In seinem Bestseller «Die Welt im Rücken» von 2016 beschrieb er sie.
In «Haus zur Sonne» (2025) widmet er sich dem Thema Bipolarität erneut. Das Buch ist ein Memoir, das in die Dystopie abgleitet. In einer noblen, staatlich finanzierten Klinik erfüllt man psychisch Kranken durch ausgeklügelte Simulationen ein paar Wochen lang all ihre Lebenswünsche. Danach zwingt man sie in den Tod. Klug, unverblümt, oft auch witzig stellt Thomas Melle in «Haus zur Sonne» allgemeingültige existentielle Fragen.
Buchhinweis
Thomas Melle: «Haus zur Sonne». 320 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2025.
Georg Büchner: «Lenz», 1839
Legende:
August Hoffmann: Bleistiftzeichnung von 1833. Ob es sich bei der dargestellten Person tatsächlich um Georg Büchner handelt, konnte bis heute nicht zuverlässig belegt werden.
Wikimedia
Ein Mann wandert wie unter Strom durch winterliches Gebirge. Mehr und mehr verliert er die Orientierung. Die Welt wird ihm unheimlich. Er erholt sich auch nicht, nachdem er endlich beim Pfarrer eintrifft, den er besuchen wollte. An seinem Leben leidet er von klein an. Der Mann ist der Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz. In der 1839 posthum veröffentlichten Erzählung «Lenz» beschreibt der deutsche Schriftsteller Georg Büchner den Absturz seines Kollegen in die Psychose einfühlsam und unerbittlich.
Buchhinweis
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Georg Büchner: «Lenz». 102 Seiten. Reclam, 2022.
Sylvia Plath: «Die Glasglocke» (1963)
Legende:
Sylvia Plath (1932-1963) schrieb Lyrik, Kurzgeschichten und Kinderbücher. Und mit «Die Glasglocke» einen einzigen Roman.
Getty Images/Bettmann
Eine junge Frau, früh auf Leistung getrimmt, bekommt die Chance, bei einer angesagten Frauenzeitschrift in New York ein Praktikum zu absolvieren. Sie gibt ihr Bestes, ist aber heillos überfordert. Sie kehrt wie ein geprügelter Hund nach Hause zurück und unternimmt einen Suizidversuch. Es folgen ein Klinikaufenthalt und Elektroschocks. Die amerikanische Lyrikerin Sylvia Plath erzählt in ihrem einzigen Roman eine autobiografisch grundierte Coming-of-Age-Geschichte, die trotz aller Tragik hinreissend komisch ist.
Buchhinweis
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Sylvia Plath: «Die Glasglocke». Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser. 262 Seiten. Suhrkamp, 2013.
Tove Ditlevsen: «Gesichter», 1968
Legende:
Die dänische Autorin Tove Ditlevsen (1918–1976) erlangte – obwohl sie in ihrer Heimat beliebt war – erst nach ihrem Tod internationale Anerkennung, als ihre Memoiren und Texte in andere Sprachen übersetzt wurden.
IMAGO/TT
Die dänische Schriftstellerin Tove Ditlevsen litt schon als Kind unter Psychosen. Immer wieder war sie als Erwachsene in Kliniken, immer wieder biss sie sich durch. Ihr autofiktionaler Ehe- und Trennungsroman behandelt Themen wie Paranoia, Identitätsverlust und die verzerrte Realitätswahrnehmung hyperrealistisch und hochpoetisch. Für die Musikerin Patti Smith ist Tove Ditlevsen eine «monumentale Autorin». Und «Gesichter» ist ein monumentales Buch.
Buchhinweis
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Tove Ditlevsen: «Gesichter». Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein. 160 Seiten. Aufbau, 2023.
Gerbrand Bakker: «Knecht, allein», 2016
Legende:
Gerbrand Bakker (*1962) Werk umfasst Theaterstücke, Gedichte, Drehbücher sowie Romane, Tagebücher und Kinderbücher.
Wikimedia/Amrei-Marie
Der niederländische Autor Gerbrand Bakker hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem Hund. Für das Tier war er «von Natur aus depressiv» und überdies Knecht. Nun ist der Hund tot, und sein Herrchen beziehungsweise Knecht rutscht immer tiefer in eine seine schweren Depressionen. Mit bewundernswerter Offenheit schildert Gerbrand Bakker, wie er selbst und die Welt um ihn herum sich durch die Krankheit verändern. Er begegnet seinem Leiden aber auch mit nüchterner Klugheit. Das macht seinen Bericht zu einer packenden Lektüre.
Buchhinweis
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Gerbrand Bakker: «Knecht, allein». aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. 318 Seiten. Suhrkamp, 2022.
Benjamin von Stuckrad-Barre: «Panikherz», 2016
Legende:
Benjamin von Stuckrad-Barre (*1975) ist ein deutscher Schriftsteller, Journalist und Moderator.
Imago/Klaus W. Schmidt
Ein Leben als Wunderkind der Popkultur – dann der Absturz: Alkohol, Drogen, Bulimie und Selbsthass. Nur mit Glück konnte sich der deutsche Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre aus seinen Abhängigkeiten lösen. «Panikherz» ist schillernde Lebensbeichte und Abgesang auf den popkulturellen Glitzerglanz der 1990er- und 2000er-Jahre. Zudem erzählt das Buch davon, wie wenig es braucht, um in eine Krise zu schlittern und wie schwierig es sein kann, ihr die Stirn zu bieten.
Buchhinweis
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Benjamin von Stuckrad-Barre: «Panikherz». 504 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2016.
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