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12.10.2025

Mit einem Award ausgezeichnet zu werden, ist eine große Ehre – und Ausnahmen bestätigen die Regel: Am Freitagabend hat der Verein Digitalcourage zum 25. Mal den Big Brother Award vergeben, der die Aufmerksamkeit auf herausragende Eingriffe in Datenschutz oder Privatsphäre lenkt. Dabei sind Google, TikTok, Amazon oder der amtierende Innenminister erneut ihrer Favoritenrolle gerecht geworden.

England und Überwachung haben seit langer Zeit eine besondere Verbindung zueinander: Vor beinahe acht Dekaden veröffentliche George Orwell seinen dystopischen Roman „1984“, das eines der bekanntesten Werke rund um staatliche Unterdrückung ist und den Begriff „Big Brother“ noch vor der naheliegend benannten TV-Containershow bekannt gemacht hat.

Derzeit wiederum ebnet Premierminister Keir Starmer mit seinen Plänen zur Digital ID den Weg zur Umsetzung von Orwells Visionen, die trotz ihrer offensichtlich warnenden Natur weltweit immer wieder als Bedienungsanleitung zweckentfremdet werden. Entsprechend wurde schon 1998 der erste Big Brother Award auf der Insel verliehen; initiiert durch die Organisation Privacy International.

Bielefeld von britischem Vorbild inspiriert

Die deutsche Ausgabe des Big Brother Award wurde nur zwei Jahre später nach britischem Vorbild ins Leben gerufen und hat sich im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts als wichtige Instanz der Datenschutzdebatte etabliert.

Schauplatz der dazugehörigen Verleihung ist seit jeher das ostwestfälische Bielefeld; die chronisch baustellengeplagte Heimat von Dr. Oetker direkt am Teutoburger Wald. In der gemütlich hergerichteten Veranstaltungslocation Hechelei wurde am Freitagabend enthüllt, wer sich in diesem Jahr über eine Auszeichnung „freuen“ darf.

Elisabeth Nikrenz bei ihrer Laudatio auf Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, der in der Kategorie
Elisabeth Nikrenz bei ihrer Laudatio auf Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, der in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ ausgezeichnet wurde (Bild: Inflac nach CC-BY-SA 4.0)

Die meisten Preisträger wurden dabei von einer Jury bestimmt, die diesmal aus Frank Rosengart vom Chaos Computer Club, der Rechtsanwältin Elisabeth Niekrenz, der Datenschutzbeauftragten Katharina Just, Dr. Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise und Rena Tangens vom Verein Digitalcourage bestand.

Big Brother Award wird nur selten persönlich angenommen

Vergeben wird der Bielefelder Big Brother Award nicht in feststehenden Kategorien; vielmehr richten sich diese stets etwas nach den Kandidaten, sie sich im gegebenen Jahr besonders für eine Auszeichnung ihrer „Leistung“ in Stellung bringen. Vor der Veranstaltung werden alle Preisträger vom Verein informiert und eingeladen.

Dem WDR erklärt Rena Tangens dazu: „Es ist sehr unterschiedlich, wie die Preisträger reagieren. Vielfach versuchen sie das einfach zu ignorieren. Es gibt andere, die sich richtig aufregen und uns böse Emails schreiben.“

So oder so – in folgenden sechs Kategorien reihen sich neue Protagonisten in die Liste der zweifelhaft Gewürdigten ein; ausführliche Begründungen sind jeweils per Link hinterlegt:

  • Technik: Google
    Für die „unauffällige, aber zwangsweise“ Installation des hauseigenen KI-Assistenten Gemini auf Android-Mobiltelefonen beschert Google den Big Brother Award in der Technik-Kategorie. Die Jury moniert insbesondere, dass „Nutzungs- und Kommunikationsdaten für das Training von Googles KI genutzt und auch von menschlichen Mitarbeitenden eingesehen werden“. Ganze Chatverläufe könnten davon auch ohne Einwilligung des Gesprächspartners betroffen sein.
  • Behörden und Verwaltung: Innenminister Alexander Dobrindt
    Dass Bundesinnenminister Alexander Dobrindt von der CDU „mit datenschutzwidrigen Anbietern wie Clearview AI und PimEyes zusammenarbeiten“ und die Gotham-Software von Peter Thiels umstrittenem Unternehmen Palantir auf Bundesebene einsetzen möchte, bringt dem Politiker den Preis ein. Innenminister haben beim Big Brother Award traditionell gute Chancen; sowohl Otto Schily als auch Wolfgang Schäuble wurden als Amtsinhaber bereits für ihr Lebenswerk „gewürdigt“.
  • Arbeitswelt: Verwaltungsgericht Hannover und das Bundesarbeitsgericht
    „Krasse Fehlurteile in Sachen Amazon“ haben den beiden Gerichten den Preis eingehandelt: Während die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts „die Totalüberwachung von Angestellten eines Amazon-Logistikzentrums abgesegnet“ habe, wird dem Bundesarbeitsgericht die Unterstützung einer Software zur Last gelegt, die „Beschäftigtendaten rechtswidrig in den USA verarbeitet“. Ehrenwert: Der Hannoveraner Präsident Ingo Behrens nahm den Preis persönlich entgegen und erklärte, dass er die Entscheidung nicht persönlich bewerten darf, was jedoch nicht heiße, dass gerichtliche Entscheidungen nicht kritisiert werden sollten.

Die TecKids-Gemeinschaft hat digitale Themen vorgestellt, die junge Menschen heutzutage beschäftigen (Bild: Inflac nach CC-BY-SA 4.0)
Die TecKids-Gemeinschaft hat digitale Themen vorgestellt, die junge Menschen heutzutage beschäftigen (Bild: Inflac nach CC-BY-SA 4.0)

  • Social Media: TikTok
    Der Verein Digitalcourage selbst verzichtet „seit vielen Jahren auf giergetriebene soziale Medien“, während auch die Jury zahlreiche gute Gründe für die eher ablehnend zu verstehende TikTok-Auszeichnung findet – von Verletzungen des Datenschutzes über die Verbreitung von Fake-News, politische Manipulation durch Algorithmen bis zur Gefahr von Abhängigkeit.
  • Was mich wirklich wütend macht: Bürokratieabbau
    Der Begriff „Bürokratieabbau“ wurde ausgezeichnet, da er nach Ansicht der Jury vergiftet ist und fälschlicherweise suggeriert, dass Abläufe für Bürger vereinfacht werden sollen. In Wahrheit gehe es dahinter jedoch häufig lediglich ums eigene Unternehmen, Deregulierung und die Schwächung des Verbraucherschutzes.
  • Jung und überwacht: Soziale Exklusion durch WhatsApp; iPad-Zwang in Schulen
    Bei dieser Kategorie-Premiere haben Kinder und Jugendliche selbst auf aus ihrer Sicht bedenkliche Entwicklungen hingewiesen. Im kritischen Fokus der Jugendorganisation TecKids stand dabei einerseits der WhatsApp-Gruppenzwang und andererseits der flächendeckende Einsatz von iPads im Schulunterricht.