Es ist kaum zu fassen, das Genre Jazz: Mal klingt die Musik aufregend und experimentell, mal groovy und poppig. Und das zeigt auch die 49. Ausgabe der Leipziger Jazztage. Vom 11. bis 18. Oktober tönt es nicht nur aus der Peripherie, nicht nur da, wo sich besonders Interessierte tummeln, sondern von zahlreichen Bühnen in der ganzen Stadt. Damian Dalla Torre ist einer von jenen, die unbedingt gehört werden sollten. Der Guardian kürte seine letzte Platte »I can feel my Dreams« zu der besten der zeitgenössischen Musik, jüngst veröffentlichte er ein Album mit dem Trio Lüften. Gemeinsam mit der Sängerin Laura Zöschg improvisiert der nunmehr in Leipzig lebende Künstler während der Jazztage.
Ihre letzte Soloplatte hieß »I can feel my Dreams« – welche Bedeutung haben Träume für Sie?
Ich glaube, Träume sind sehr wichtig – sie eröffnen die Möglichkeit, sich Veränderungen vorzustellen und Wünsche überhaupt erst zuzulassen. Für mich sind sie eine Art innerer Kompass, ein Raum für Sehnsucht, für Visionen und für all das, was im Alltag vielleicht keinen Platz findet. So wirken sie auch in meine Musik hinein.
Welche Rolle spielen musikalische Genres für Ihre Musik?
Ich tue mich schwer damit, meine Musik einem bestimmten Genre zuzuordnen – vor allem, weil sie aus vielen Schichten besteht, in denen sich unterschiedliche Stile miteinander verweben. Für mich ist es wichtig, all das hineinzulassen, was mich berührt und inspiriert. Genres empfinde ich dabei eher als Begrenzung, während es mir darum geht, diese Grenzen bewusst zu öffnen. Ich treffe die bewusste Entscheidung, Einflüsse zuzulassen. Dadurch bleibe ich neugierig und meine Musik entwickelt sich ständig weiter. Wenn sich dabei Genres verschieben oder ineinander übergehen, ist das für mich kein kalkulierter Wechsel, sondern eine natürliche Folge dieses offenen Prozesses.
Sie sind schon häufiger mit Markus Rom und Max Kraft aufgetreten. Was war jetzt der Anlass zur ersten gemeinsamen Trio-Veröffentlichung unter dem Namen Lüften?
Mit Markus und Max verbindet mich eine langjährige Freundschaft, die eigentlich in den ersten Covid-Lockdowns begann. Wir wohnten damals alle in der Nähe, und so kam es, dass wir uns immer wieder – zunächst noch mit Abstand – trafen und viel über Musik sprachen. Als Begegnungen wieder möglich waren, haben wir auch musikalisch zueinandergefunden. Die erste Veröffentlichung entstand im Sommer 2023 während einer dreitägigen Session im Temporarium (Konzertlocation für experimentelle Musik im Leipziger Westen, Anm. d. Red.), bei der wir Jams aufgenommen und anschließend weiterbearbeitet haben. Lüften ist sozusagen als Nebenprojekt neben all unseren eigenen musikalischen Wegen gewachsen – vielleicht hat es deshalb auch etwas gedauert, bis das Album fertig war. Umso mehr freut es uns, dass diese gemeinsame Idee nun als Tape beim Label All my Ghosts erschienen ist.
Welche Musik hören Sie gerade?
Ich höre ständig Musik und recherchiere täglich, um neue Sachen zu entdecken. Gerade läuft bei mir ein kürzlich erschienenes Album mit dem Titel »Ura Omote« von dem japanischen Musiker Betts (JP), den ich auf meiner Japantour im Mai kennengelernt habe.
Sie sind dieses Jahr nicht das erste Mal bei den Leipziger Jazztagen. Gibt es ein Ereignis, ein Konzert, eine spannende Begegnung, die Sie in besonderer Erinnerung haben?
Die Leipziger Jazztage sind für mich immer wieder eine wunderbare Gelegenheit, mit anderen Musiker:innen in Austausch zu treten. Über die gesamte Festivalzeit hinweg entsteht ein reger Dialog – künstlerisch wie persönlich. Gleichzeitig erhält man, wie bei den besten Festivals, einen kompakten Einblick in das, was die Szene aktuell bewegt. Dafür sorgt die stets spannende Programmgestaltung, die etablierte Bands, neue Begegnungen und vielversprechende Newcomer miteinander verbindet. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Kooperationen, die das Festival ermöglicht: Sie stehen sinnbildlich für die Haltung von Offenheit und Austausch.
Sie werden bei den Leipziger Jazztagen mit Laura Zöschg auftreten. Wie haben Sie zueinandergefunden?
Unsere Wege haben sich in der Südtiroler Szene gekreuzt. Im Sommer haben wir im Rahmen einer einwöchigen Residency beim Südtirol-Jazzfestival intensiv zusammengearbeitet, Material entwickelt und auch mit Fieldrecordings experimentiert, die in unserem Set immer wieder aufscheinen werden. Unser Auftritt in Leipzig ist daher auch eine Kooperation mit dem Südtirol-Jazzfestival. Laura ist zudem auf einigen Tracks meines Albums »I can feel my Dreams« zu hören. Unsere musikalische Verbindung ist jedes Mal spürbar – eine Art selbstverständlich gewordene künstlerische Resonanz, die wir in Leipzig weiter ausloten wollen.
> 49. Leipziger Jazztage: 11.–18.10., diverse Orte, u. a. mit Pino Palladino & Blake Mills, Dave Holland, Jelena Kuljić, Potsa Lotsa XL, Aly Keïta, Shabaka & Nduduzo Makhathini, Damian Dalla Torre und der Premiere von »Being Hipp«, einer Dokumentation über die vor 100 Jahren in Leipzig geborene Jazzpianistin Jutta Hipp (s. kreuzer), www.leipziger-jazztage.de