Viel hat Papst Franziskus angestoßen, viele offene Wunden berührt, seine Kirche wollte er wieder in Bewegung bringen. Nicht alles ist ihm gelungen.

Viel hat Papst Franziskus angestoßen, viele offene Wunden berührt, nicht alles ist ihm gelungen, jedoch eines ist unstrittig: Franziskus hat begonnen, ganz allmählich die Richtung zu ändern, gegen alle Widerstände, er hat die Kirche geöffnet, in vielen kleinen Schritten. Soweit es eben ging.

Der argentinische Papst Jorge Mario Bergoglio, dessen Muttersprache der piemontesische Dialekt seiner aus Norditalien eingewanderten Eltern war, hat die Türen und Fenster der weltgrößten Glaubensgemeinschaft aufgestoßen, nach einem Papsttum unter Joseph Ratzinger, der vor allem die Tradition bewahren wollte.

Oft musste er zurückstecken, die widerstrebenden Tendenzen seiner Weltkirche wieder einfangen, den Laden einfach nur beieinander halten. Eines seiner großen Reformprojekte war eine dreijährige Weltsynode, von 2021 bis 2024. Unter den 365 stimmberechtigten Mitgliedern der Synode, Priestern und Laien, waren auch 54 Frauen, von Bergoglio persönlich berufen. Das war ein großer Schritt. Weiter aber traute sich Bergoglio nicht. Außen vor blieben, trotz vieler Diskussionen, die Priesterweihe für Frauen und die Priesterehe.

Einen echten Schritt nach vorn dagegen machte Papst Franziskus, als er im Dezember 2023 in der Erklärung „Fiducia Supplicans“ eine kirchliche Segnung homosexueller Paare erlaubte. Auch wenn er hinzufügte, dieser Segen sei keine Ersatzzeremonie für eine gleichgeschlechtliche Ehe, sondern ein einfacher Akt der Barmherzigkeit, den man niemandem verweigern dürfe.

Die Konservativen protestierten trotzdem vehement: Für sie ist und bleibt Homosexualität eine schwere Sünde, die Ehe untrennbar, die Priester sind ehelos und beim Wort „Gendern“ bekommen sie Schnappatmung. In diesem Punkt hat der Argentinier dennoch neue Fakten geschaffen, trotz der Widerstände radikal-klerikal-konservativer Kreise und der Kritik aus dem Reformerlager, denen der Papst nicht weit genug ging. Mehr aber ging nicht.

Franziskus, ein Name als Programm

Franziskus war der Outsider, der Mann, der nicht aus dem engsten Machtzirkel der römischen Kirche auserwählt wurde: Er komme „vom anderen Ende der Welt“, das waren die ersten Worte von José Mario Bergoglio nach seiner Wahl, als er am Abend des 13. März auf den Balkon des Petersdoms trat und die Gläubigen auf dem dicht besetzten Petersplatz mit einem einfachen „Guten Abend, Brüder und Schwestern“ begrüßte.

Das goldene Kreuz wies er zurück: „Ich habe das silberne Kreuz der Bischofswahl und das trage ich seit 20 Jahren“. Auch die vom Vatikan-Zeremoniell angedienten roten Schuhe wollte er nicht tragen: „Rote Schuhe? Nein, ich muss ohnehin orthopädische Schuhe tragen. Ich habe leider leichte Plattfüße.“ In seiner Autobiografie „Hoffe“ finden sich solche und andere Zeugnisse päpstlichen Humors.

Der familiäre Anfang weckte große Erwartungen. Die einen erhofften von Bergoglio eine Reform an Haupt und Gliedern der Kirche, die anderen fürchteten sie. In diesem Spannungsfeld stand das ganze Papsttum von Franziskus, vom ersten bis zum letzten Tag.

Ratzinger als schwere Last

Der erste Amerikaner als Nachfolger von Petrus auf dem Stuhl des Oberhauptes der katholischen Kirche in Rom bedeutete eine tiefe Zäsur: Seit dem fernen Jahr 731 nach Christus, seit dem gebürtigen Syrer Gregorius III., waren nur Europäer zu Päpsten gewählt worden. Bergoglio hatte schon im Konklave von 2005 zur Wahl gestanden. Doch damals hatte die Mehrheit der wahlberechtigten Kardinäle im Sinne der Kontinuität noch den deutschen Kurienkardinal und engsten Vertrauten von Johannes Paul II. vorgezogen, der dann bis 2013 als Benedikt XVI. die Kirche regierte.

Erst der überraschende Rücktritt des deutschen Papstes machte für den Sohn italienischer Migranten in Argentinien Platz auf dem Petrusthron. Aus Bergoglio wurde Papst Franziskus. Nie zuvor hatte es ein Kardinal der römischen Kirche gewagt, sich in die Nachfolge des Heiligen aus Assisi zu stellen, dessen Namen zu übernehmen. Ein Name, ein Programm: Für die Armen, für die Entrechteten, gegen den Gebrauch von Waffen zur Konfliktlösung, für den Erhalt der Schöpfung. Eine Kirche für Armen sollte Franziskus‘ Kirche werden.

Nach der Wahl Bergoglios herrschte kein strenger Lehrmeister des Dogmas mehr über die Kirche, kein Züchtiger der Abtrünnigen, sondern ein „guter Hirte“. Doch anstatt in Rom als Reformpapst „durchregieren“ zu können, musste Bergoglio für neun lange Jahre mit seinem Vorgänger Benedikt einen Schattenpapst ertragen, der sich selbst den Titel „emeritierter Papst“ verpasst hatte.

Offiziell zog sich Benedikt zwar in das innervatikanische Kloster Mater Ecclesiae auf dem höchsten Hügel des kleinen Kirchenstaates zurück. Papst Franziskus versuchte über all die Jahre, seinen Vorgänger als älteren Freund, Begleiter und Berater darzustellen. Die Wahrheit aber pfiffen die Spatzen vom Dach des apostolischen Palastes: Bis zu seinem Tod 2022 blieb Ratziger der Albtraum des amtierenden Papstes, als stummer Mahner, Bremser und Orientierungspunkt aller innerkirchlichen Gegner des Argentiniers. Erst nach dessen Tod konnte er sich endlich von dessen Privatsekretär Georg Gänswein befreien, einem Souffleur aller Konservativen, und ihn aller Ämter im Vatikan entbinden.

Kisten voller Probleme

Der zurückgetretene deutsche Papst hatte ein schwieriges Erbe hinterlassen. Zuallererst: die chaotischen Finanzen des Vatikans, immer unter Verdacht der Geldwäsche und des Missbrauchs. Franziskus ernannte eine achtköpfige Untersuchungskommission, die aber schnell scheiterte, weil zwei ihrer Mitglieder geheime Dokumente entwendeten. Was Ratzinger zum Rücktritt bewogen hatte, mochte dieser nie klären. In seiner Autobiografie schrieb Franziskus, dass Ratzinger ihm einen Koffer voller geheimer Dokumente übergeben habe, aber worum es sich dabei handelte, wurde nie bekannt.

Wahr ist: Viele Reformvorhaben Bergoglios blieben im Ansatz stecken, wurden aufgehalten, aber bei den Finanzen, bei der Apostolischen Vermögensverwaltung und der Vatikanbank IOR hat er wirklich aufgeräumt. Als neuen Präsidenten des Vatikan-Gerichtes holte er einen der bekanntesten Mafia-Jäger Italiens, Giuseppe Pignatone. Mit dem Urteil einer fünfeinhalbjährigen Haftstrafe Ende 2023 gegen den früheren Kardinal und stellvertretenden Chef des Staatssekretariats, als einen Vize-Regierungschef des Vatikans, Giovanni Angelo Becciu und weitere Angeklagte setzte der Vatikan einen Schlussstrich unter einen unfassbaren Finanzskandal. Auch mit Mitteln des Peterspfennigs, Spenden aus aller Welt für die barmherzige Arbeit des Papstes, war bei einer Immobilienspekulation um ein Bürogebäude in London ein Verlust von geschätzt 217 Millionen Euro gemacht worden. Das war nun wirklich unvereinbar mit der Kirche der Armut.

Zum direkten Erbe seines Vorgängers aber gehörten auch die Zehntausenden Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen, überall auf der Welt begangen. Als Präfekt der Glaubenskongregation liefen alle Fälle über Ratzingers Büro. Es war jedoch keineswegs der Vatikan, der die eigenen Archive öffnen ließ, sondern 2002 ein Team US-amerikanischer Investigativ-Journalisten des „Boston Globe“. Sie ließen die Welt in die Horror-Kiste des Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen schauen. Der Vatikan kam dabei nie aus der Defensive. Schlimmer noch, die römische Kirche nahm etwa den Kardinal von Boston, Bernard Francis Law in Rom auf, den Vertuscher der Missbrauchstäter in seiner Diözese. Hier stand Bergoglio ganz in der Tradition des klerikalen Eigenschutzes, trotz aller öffentlichen Lippenbekenntnisse und eines persönlich glaubhaften Opfergedenkens.

Schwere Erinnerungen

Bergoglio, ab 1973 als „Provinzial-Chef“ der Jesuiten von Argentinien, wurde während seiner Amtszeit auch immer wieder vorgeworfen, er habe mit der Militärdiktatur zusammengearbeitet. In seiner Autobiografie „Hoffe“ beschreibt er, wie er die grausame Zeit der Videla-Diktatur erlebt hat, als 30.000 Menschen von den Militärs abgeholt und ermordet wurden. Eines der Opfer war seine Chemielehrerin, während seiner Ausbildung als Chemietechniker, noch bevor er Priester wurde.

Der Papst kämpfte um sie alle: „Man klopfte an jede Tür, voll Zorn, voll Schmerz, voll Energie und Entmutigung. Man kämpfte (um deren Leben) mit Lügen und Ausflüchten.“ Für Padre Orlando Yorio und Padre Franz Jalics, zwei ihm unterstehende Jesuitenpatern, die verhaftet und fast fünf Monate lang festgehalten wurden, las er sogar eine Messe für Juntachef Videla und rettete so die beiden Padres vor dessen Schergen.

Franziskus war ein Papst, der dem Bösen direkt ins Gesicht geschaut hat, der mit dem Teufel um das Leben Unschuldiger Karten gespielt hat. Das hat seine Haltung zu den USA zutiefst geprägt. Die argentinische Militärjunta, so wie alle anderen blutrünstigen Juntas Lateinamerikas damals, war eine Marionette der USA, von deren Agenten ferngelenkt, finanziert, gewollt.

Schwierige innerkirchliche Demokratie

Die Feindseligkeit wichtiger Kreise der Vatikanhierarchie hatte Franziskus zunächst mit der Schaffung eines neuen Gremiums der Weltkirche überwinden wollen, der „C8-Kommission“ aus acht Kardinälen aus allen Ländern der Welt, die ihm beim Regieren helfen sollten. Doch nicht auf seine Kardinalsmitbrüder setzte Franziskus beim Regieren der Weltkirche, sondern beinahe nur auf einsame Entscheidungen, die „motu proprio“, wie sie im Kirchenlatein heißen, eine Art päpstliches Dekret.

Natürlich ist der Papst nach Kirchenrecht der absolute Alleinherrscher der Kirche, als Stellvertreter Gottes auf Erden. Aber die Kritik, nach Benedikts Tod vom konservativen Kardinal Georg Pell vorgebracht, Franziskus regiere an den Gremien des Vatikans vorbei, binde die Kardinäle nicht in die Leitung der Kirche ein, wurde auch von liberalen Reformern geteilt. Kirchenpolitische Entscheidungen teilte Papst Franziskus gerne zuerst Journalisten auf Reisen im Papst-Flugzeug mit, zur Überraschung auch seines eigenen Presseamtes.

Der Richtungsstreit in der römischen Kirche nahm gegen Ende des Pontifikats von Franziskus deutlich an Schärfe zu. Ohne den Parallel-Papst im Nacken schlug Franziskus neue, mutigere Töne an. Die Konservativen verdächtigten ihn des Abfalls vom rechten Glauben, der „Häresie“, als er auf der Weltsynode im Herbst 2023 eine Diskussion um Frauenrechte, die Abschaffung der Ehelosigkeit der Priester (Zölibat) und die Beteiligung der Laien an der Leitung der Ortskirchen als Diskussionspunkte zuließ.

Da war sie wieder, die erste Reformagenda des Argentiniers, der sich gegen Ende seines Papsttums auf die Anfänge als Reformer besann: Man solle über ein Frauen-Diakonat nachdenken, über die Rolle verheirateter Männer in den Gemeinden, Frauen eine gewichtige Rolle bei der Leitung der Kirche übergeben. Doch am Ende verließ Papst Franziskus der Mut, die große Reform blieb aus. Keine Weihe für Frauen, keine Priesterehe.

Dafür schob sich das Thema Frieden ganz vorn auf seine Agenda: Er selber wollte auf den Spuren des Heiligen von Assisi wandeln, der im Jahr 1219, während der Kreuzzüge einen Anführer der Moslems, den Sultan von Ägypten Malek al-Kamel traf, um Frieden im Heiligen Land zu stiften.

Papst Bergoglio wollte keine Partei ergreifen in den beiden großen Kriegen seines Pontifikats, dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Krieg im Gaza-Streifen. Er geißelte wiederholt beide Kriegsparteien, erklärte den Krieg ganz allgemein zum Verbrechen, forderte die Ukraine gar auf, die „weiße Fahne zu hissen“, zu verhandeln. Er vermied es immer, Putin direkt des Überfalls zu bezichtigen, gab gar der Nato eine Mitschuld: Sie habe vor der Tür Russlands gebellt, Putin provoziert. Beide Seiten seien gleich schuldig, müssten die Waffen niederlegen. Der unbedingte Pazifismus von Papst Franziskus stieß dabei auf scharfen Widerspruch sowohl in der Ukraine als auch in Israel, wobei ihm nicht wenige Kritiker seine grundsätzliche Amerika-kritische Haltung vorhielten.

Papst Franziskus hatte ein unbedingtes Credo: Es gibt keinen „gerechten Krieg“, jeder Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Kritiker hielten ihm entgegen, dass der Krieg fast aller Länder der Welt von 1939 bis 1945 gegen Hitler, Mussolini und den japanischen Kaiser sehr wohl ein gerechter Krieg gewesen sei, dass Hitler-Deutschland nicht mit weißen Fahnen, sondern nur mit Bomben und Granaten zur Kapitulation gezwungen worden sei. Solche Kritik prallte an Papst Franziskus ab, er hielt immer am absoluten Pazifismus fest, einem Grundwert seines Pontifikats, wohl auch in der Hoffnung, einen Frieden vermitteln zu können, wie es einst sein Namensgeber mit dem Sultan versucht hatte.

Das Gremium, welches nun den Nachfolger von Papst Franziskus wählen muss, das Konklave, besteht derzeit aus 136 wahlberechtigten Kardinälen unter 80 Jahren, von denen 108 von Papst Franziskus zum Kardinal ernannt worden sind. Es ist also ein Bergoglio-Konzil. Ihnen obliegt die Aufgabe, seinen Nachfolger zu wählen. Nur noch 53 der wahlberechtigten Kardinäle kommen aus Europa, die Italiener stellten mit 17 noch die größte Gruppe, deutsche Wahlkardinäle sind nur noch 3 dabei, aus Nordamerika kommen 16, aus Lateinamerika 22, aus Asien 24, aus Afrika 18 und aus Ozeanien 4. Untereinander kennen sich nur die wenigsten dieser Kardinäle, wie die Franziskus-Kritiker zu Recht monierten, weil der argentinische Papst sie zwar ernannt, aber dann kaum noch in seine Regierung einbezogen hatte.

Einen echten Favoriten gibt es nicht, und wenn sich einer als zukünftiger Papst fühlt, sollte er es besser vor Beginn des Kardinalstreffens nicht laut verkünden, denn wie es der römische Volksmund weiß: Wer als Papst ins Konklave hineingeht, kommt als Kardinal wieder heraus.