Farben, Möbel und Kunstwerke aus verschiedenen Epochen, vereint im Interior der Penthouse-Wohnung.
Christoph Theurer
Stilsicher mischt die Innenarchitektin Aline Kurth Farben, Möbel und Kunstwerke aus verschiedenen Epochen. Ihre Einrichtung in der Penthouse-Wohnung mit einem traumhaften Blick auf den Bielersee ist leger und überraschend. Hier wird gelebt, gearbeitet und gefeiert.
Das Gebäude aus den 1960er Jahren im historischen Städtchen La Neuveville am Jurasüdfuss wirkt von der Strasse aus gesehen unspektakulär: schlicht, funktional, mit weisser Putzfassade. Im Erdgeschoss liegt ein Motorradgeschäft, eine einfache Haustür führt in das Treppenhaus mit mehreren Wohnungen.
Im unscheinbaren Gebäude verbirgt sich ein unkonventionelles, kreatives Zuhause.
Christoph Theurer
Im Apartment im dritten Stock mit rund 160 Quadratmetern Wohnfläche lebten die Interior-Designerin Aline Kurth und ihr Mann André sechs Jahre zur Miete. Ende 2008 bot sich ihnen die Chance, es zu kaufen. Was fehlte, waren Licht und ein Lebensraum im Freien. Ihr grosses Zuhause hatte weder eine Loggia noch einen Balkon. Früher befand sich dort einmal das Lager des Ladens. Acht Jahre später war es dann so weit: Das Paar konnte seinen Traum von einem Penthouse mit weiteren 120 Quadratmetern Wohnfläche realisieren.
Zwei bequeme Liegen laden auf der Terrasse zum Entspannen ein.
Christoph Theurer
Den eigenen Safe knacken
Von der Diele mit dem Mosaikparkett aus den 1960er Jahren fällt der Blick auf den über 280 Kilogramm schweren Tresor aus Eisen. Die Vielreisenden entdeckten die Trouvaille bei einem Händler in Mumbai. Für nur 150 Franken kam das bemalte Stück mit zwei schweren Griffen im Schiffscontainer tatsächlich in Basel an. «Der Transport von dort ins 150 Kilometer entfernte La Neuveville machte dann allerdings noch einmal 650 Franken», erzählt Aline lächelnd.
Zwei Jahre war der Safe dann leider nicht zu öffnen, weil beide den Code nicht mehr wussten. Schmuck, Wertsachen und Pässe waren dort auf immer und ewig verwahrt. Was tun? Jeden Abend nach der Arbeit nahm sich André Kurth einen Schemel und probierte unterschiedliche Zahlenkombinationen aus. Nach zwei Jahren Geduld und guten Nerven öffneten sich die Türen dann endlich wieder.
280 Kilo wiegt der antike Tresor aus Eisen – ein Reisesouvenir aus Indien.
Christoph Theurer
Wertvolle Schätze birgt auch der neue Dachaufbau. Durch ihn entstand ein loftähnliches Wohngefühl, das auch gedankliche Freiräume bietet. Ausserdem offenbaren die grossen Scheiben der Panoramafenster die landschaftlichen Reize dieser zauberhaften Gegend und die benachbarten historischen Gebäude der romantischen Kleinstadt. Nach Süden reicht der Blick über die Gärten und den alten Baumbestand bis zum Südwestufer des Bielersees und zur St. Petersinsel.
Bei schönem Wetter sieht man sogar die Berner Alpenkette. Zur Strassenseite schmiegen sich die Weinberge an den Hängen unterhalb des Schlossbergs empor. Hier gedeihen Blauburgunder- und Gutedel-Trauben. Bei einem Eckfenster sind die mittelalterliche Innenstadt und der Turm La Tour Ballif zum Greifen nah. Weil auf der anderen Längsseite Andrés Elternhaus unmittelbar daneben liegt, kaschierte Aline Kurth die Fenster raffiniert mit einem leicht transparenten militärischen Tarnnetzgewebe.
Eine Wendeltreppe aus bronziertem Metall führt von der Eingangsetage direkt in das Dachgeschoss. Weil sie mittig platziert wurde, trennt sie den Wohntrakt vom Ess- und Küchenbereich ganz natürlich. Planung, Bauleitung und Statik übergab das Paar an das in Malleray im Berner Jura beheimatete renommierte Architekturbüro KWSA – Kaiser Wittwer Schnegg Architectes. Die Architekten konzipierten eine lichtdurchflutete Holzkonstruktion, die auf vierzehn Stahlsäulen ruht. Eternitplatten bilden die Decke.
Kirchenbank als Esstisch
Das Interieur und die Materialwahl lagen selbstverständlich in den Händen von Aline Kurth. Der zentrale Treffpunkt der Familie ist der Esstisch. Auf dem grössten Freiluftflohmarkt der Schweiz, in Le Landeron, entdeckte die Kreative die acht Meter lange Kirchenbank, die exakt dazu passte. Direkt gegenüber liegt die von ihr entworfene urbane Küche.
Die grifflosen Unterschränke liess sie aus MDF-Platten anfertigen und schwarz einfärben. Mit der Granitplatte wirken sie besonders edel. Die raumhohen schwarzen Metallplatten, die den Herd und die Abzüge der Dunstabzugshaube raffiniert verbergen, setzen die afrikanische Maske auf dem Sockel, die das Paar aus Senegal mitbrachte, perfekt in Szene. «Schwarz nehme ich, um Räume zu strukturieren», erklärt Aline Kurth.
Von der urbanen Küche in Schwarz fällt der Blick auf den acht Meter langen Esstisch.
Christoph Theurer
Auf den Barhockern aus Holz frühstückt die Familie gerne oder nimmt mit Freunden einen Drink. Aline Kurth ist eine begeisterte Köchin. Auf der Metallschale der Vintage-Waage von Omega, ebenfalls ein Flohmarktfund, lagert und präsentiert sie stilvoll ihr Gemüse und Obst.
Ihr Zuhause ist unkonventionell, humorvoll und voller Kontraste. Jeder Bereich lässt ihre Handschrift erkennen. Sie schätzt alles Handwerkliche, ob die geschnitzte Holzbank, den handgewebten Kelim oder die von Hand gedrechselte Holzschale. Ihr Faible für Keramik ist unverkennbar: Viele Stücke, wie zum Beispiel die kleinen Köpfe aus weissem Ton, töpferte sie selbst. «Ich liebe das Einfache, Pure, die Haptik des Tons.»
Der Wohnbereich ist ein raffinierter Stilmix. Zwei massive Vintage-Marmortische rahmen die Lounge-Chairs «Alky», die der italienische Designer Giancarlo Piretti in den 1960er Jahren für das Label Artifort entwarf. Auf dem Kelim dient ein simples Kunststoffpalett als Tisch. An den Fenstern lehnen seltene Lithografien von Victor Vasarely mit Op-Art-Motiven aus der 45-Serie.
Auf dem Kelim im Wohnzimmer steht ein simples Kunststoffpalett, das zum Coffee-Table umfunktioniert wurde.
Christoph Theurer
Nach ihrem Studium der Innenarchitektur am Swiss Design Center in Lausanne arbeitete Aline Kurth in Lyon und Zürich, 2017 gründete sie ihr eigenes Design- und Artist-Studio aline[k] in La Neuveville. Neben ihrer Tätigkeit als Innenarchitektin ist sie auch Malerin, Bildhauerin und Fotografin. Wenige Schritte von ihrer Wohnung entfernt befindet sich in einer ehemaligen Schuhfabrik ihr Atelier.
Ledersofa mit Patina
Im grossen Salon im Eingangsgeschoss hängen eigene Arbeiten an der Wand, wie die drei Fotografien aus der Serie «Die Schönheit eines ganz normalen Tages». Den 25 Quadratmeter grossen Raum nutzt die Familie vor allem, wenn Freunde und Familie vorbeikommen. «Auf dem De-Sede-DS-76-Sofa mit den weich designten Polstern haben locker fünf bis sechs Personen Platz. Das Leder hat eine unglaubliche Patina», sagt die Bewohnerin erfreut.
Die Tochter Jeanne hat es sich auf dem Ledersofa DS-76 von De Sede gemütlich gemacht.
Christoph Theurer
Das Würfelparkett aus den 1960er Jahren blieb in dieser Etage erhalten. Auch der ursprüngliche Grundriss wurde nicht verändert. Vom zentralen Flur gehen das Zimmer der Tochter Jeanne, das Büro und das Schlafzimmer ab. Um im Master-Bedroom mehr Intimität zu schaffen, wurde ein opulent geraffter Vorhang angebracht, der jetzt dem Boxspringbett einen optischen Rahmen gibt. Durch die dunkle Farbe kommen Möbel und Accessoires wie auf einer Theaterbühne ideal zur Geltung.
Das Boxspringbett im Elternschlafzimmer ist von einem opulenten Vorhang in Anthrazit umrahmt.
Christoph Theurer
Das Bad gestaltete Aline Kurth völlig neu. Auch hier spielt sie gekonnt mit purem Schwarz und minimalistischen Anthrazittönen. Die runden Spiegel des italienischen Designduos Roberto und Ludovica Palomba für Kartell mit feingliedrigen, plissierten Rahmen erzeugen faszinierende Licht- und Schattenspiele und verleihen dem Raum einen glamourösen Look. Die ehemaligen Kristallkaraffen, die zu Leuchten umfunktioniert wurden, passen perfekt dazu.
Als Kontrast wählte die Innenarchitektin rechteckige Keramikwaschbecken aus Italien von Catalano und die raffinierten Zwei-Griff-Armaturen von Philippe Starck für Axor. Die Wände und die Wannenschürze liess sie mit Beton verkleiden, der gestrichen und gewachst wurde. Durch die unregelmässigen Aufträge entsteht eine faszinierende räumliche Tiefe.
Ein Blickfang im Bad sind die runden Spiegel von Roberto und Ludovica Palomba für Kartell.
Christoph Theurer
Auf der Terrasse überwiegen helle Töne. Zwei filigrane Kristallleuchten liess sie über dem Tisch mit Eternitplatte montieren. Die wetterfesten Kunststoffsessel entwarf das Atelier Oï für das Atelier Pfister. Es ist der Twist, der für gute Laune sorgt und das Zuhause so lebendig und persönlich wirken lässt.
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