Thomas Delamotte steht vor einem weiß verputzten Haus und blickt auf die Wohnung, die er vor Jahren gekauft hat, die frische Farbe, die neuen Fenster, die Balkone. In ein paar Wochen wird Wirklichkeit werden, was laut Vertrag eigentlich schon im April 2020 hätte geschehen sollen: Es wird jemand einziehen können. Sechs Jahre Bauzeit: Das ist für eine junge Familie, die darauf wartet, dass eine Wohnung fertig wird, ein ganz schönes Brett. All das Geld, das in das Projekt floss, die zermürbende Warterei; es muss eine Qual gewesen sein. Delamotte ist sauer, das sagt er auch.

München-Hadern, ein Tag im Spätsommer. In dem Viertel stehen Einfamilienhäuser und kleine Wohnblöcke, es gibt viel Grün; eine attraktive, ruhige Lage. Das fand auch Thomas Delamotte, als er die Wohnung in dem Zehn-Parteien-Komplex 2019 zusammen mit seiner Frau erwarb. Die Baugrube war damals schon ausgehoben, es schien alles zu passen. Verkäufer war ein Bauträger aus Königsbrunn im Landkreis Augsburg. Wichtigster Ansprechpartner für die Käufer war aber, so erinnert sich Delamotte, dessen Sohn, ein Mann namens Julian K., heute 35 Jahre alt und selbst Immobilien-Unternehmer. Er ist ebenfalls Bauträger, lässt Neubauten errichten und verkauft die einzelnen Einheiten, das ist das Modell. Der Geschäftsmann betrachtet den Bau des Gebäudes in Hadern offenbar auch als sein eigenes Projekt; noch heute ist es auf der Website seiner Firma „Münchner Immobilienmarkt“ zu sehen.

Käufer Thomas Delamotte wartet mit seiner Familie seit sechs Jahren auf die Fertigstellung der Wohnung in München-Hadern.

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Käufer Thomas Delamotte wartet mit seiner Familie seit sechs Jahren auf die Fertigstellung der Wohnung in München-Hadern.
Foto: Jan Kandzora

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Käufer Thomas Delamotte wartet mit seiner Familie seit sechs Jahren auf die Fertigstellung der Wohnung in München-Hadern.
Foto: Jan Kandzora

Im Exposé wird dort für „herrlich geschnittene Wohnungen“ geworben, die „Wohn-Qualität in grünem Umfeld“ bieten sollen; schöne Worte, die übliche Prosa bei derartigen Vorhaben. Es hätte ja auch zügig so kommen können für Delamotte und die anderen Käufer. Doch dann passierte jahrelang nichts. Oder zumindest kaum etwas. Baufortschritte? Gab es alle paar Monate mal, ein bisschen, nach viel Druck der Käufer. Delamotte, 39, arbeitet als Forschungsgruppenleiter an der Bundeswehr-Uni in München, er ist ein freundlicher, kluger Mann, der seine Worte mit Bedacht wählt. Doch wenn er über die vergangenen Jahre spricht, muss er einmal durchschnaufen. Er will nicht unfair sein. Es sei hart gewesen, erzählt er, aber anderen Käufern von Julian K. gehe es viel schlechter.

Bauträger Julian K. hinterließ in vielen Teilen Bayerns halb fertiggestellte Projekte

So kann man es sagen. Um diesen Umstand zu erahnen, reicht es, sich ein wenig umzusehen, nicht nur in München, sondern vor allem rund um Augsburg. Dort, wo Julian K. die vergangenen Jahre die meisten seiner Bauvorhaben ins Leben rief – und fast immer verbrannte Erde hinterließ.

Ortsbesuch, Teil eins. In Schwabmünchen steht ein Projekt von Julian K., ein Mehrparteienhaus. Es hängen Kabel aus der Fassade, Fenster sind abgeklebt. Drinnen lagern Dämmmaterial und Farbeimer, das Penthouse auf dem Gebäude ist unverputzt. Eigentlich hätte die Wohnanlage 2020 fertig sein sollen. Neun Reihenhäuser, die ebenfalls zum Projekt gehören, sind zwar inzwischen bewohnt. Fertig wurden sie aber deutlich später als geplant.

Ortsbesuch, Teil zwei. Wenige Kilometer weiter stehen in Klosterlechfeld zehn Doppelhaushälften; geplantes Fertigstellungsdatum 2021. Manche davon sehen bewohnbar aus, große Fenster, vor einem dreht sich der Propeller der Wärmepumpe. Andere sind weit von diesem Zustand entfernt, ihnen fehlen Dach, Türen, Fenster, Putz.

In der Baugrube daneben ragt ein Kran in die Höhe, ein Bauschuttcontainer voller Müll ist zu sehen, Backsteine und Styropor liegen herum. Hier sollte eine Tiefgarage entstehen. Dass die jemals Realität wird, bezweifelt nicht nur der örtliche Bürgermeister. Längst sind die Eigentümer auf sich allein gestellt; der Gesellschaft von Julian K., die hier angefangen hat zu bauen, hat das Landratsamt das Gewerbe untersagt. In Eigenregie und mit örtlichen Firmen haben manche Käufer sich den Traum von der eigenen Doppelhaushälfte doch noch erfüllt.

Bauprojekt von Julian K. in Schwabmünchen: Eigentlich hätte die Wohnanlage 2020 fertig sein sollen.

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Bauprojekt von Julian K. in Schwabmünchen: Eigentlich hätte die Wohnanlage 2020 fertig sein sollen.
Foto: Marcus Merk

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Bauprojekt von Julian K. in Schwabmünchen: Eigentlich hätte die Wohnanlage 2020 fertig sein sollen.
Foto: Marcus Merk

Der dritte Wegpunkt der Reise führt nach Königsbrunn, geplanter Abschluss der Wohnanlage in der Stadt war 2023. Hier gab es niemals einen Baufortschritt, schon nach der Baugrube war Schluss. Mitten im Wohngebiet klafft eine Lücke. Manchmal stand hier meterhoch das Wasser, schwammen Müll und Bauschutt herum. Seit Kurzem hat jemand einen neuen Kran neben die Grube gesetzt, es tut sich plötzlich was. Das Grundstück, das ehemals K.s längst insolventer Firma mit dem Namen Royal Residenz 2 gehörte, hat einen Abnehmer gefunden.

Gleich mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln gegen den Bauträger Julian K.

Man könnte weiterfahren, sich weitere missglückte Vorhaben anschauen, auch in Mering im Kreis Aichach-Friedberg etwa. Es lässt sich ein Muster erahnen.

Hinter jedem verzögerten, gescheiterten, ruinösen Projekt von K. stehen Menschen, die in ihre Wohnungen wollen, seit Jahren darauf warten, bereits viel Geld investiert haben, Bereitstellungszinsen zahlen. Teils hatten sie schon ihre bisherigen Mietwohnungen gekündigt in der Erwartung, es werde in ein paar Monaten so weit sein. Wie nervenzehrend das sein muss, schilderte ein Mann unserer Redaktion bereits 2022: „Wir Käufer haben zwischen mehreren Monaten bis zu anderthalb Jahren in Behelfswohnungen, Kasernen, Hotels, einer Asylunterkunft und auf dem Fußboden geschlafen, bis diese Leute unsere Häuser halbwegs fertig hatten.“

Julian K. gelang bei seinen Bauvorhaben nicht viel. Darunter zu leiden hatten andere, nicht nur die Käufer. Wer sich umhört, stößt auf zahlreiche Menschen, die sich von ihm übers Ohr gehauen fühlen, darunter Geschäftspartner, Mieter, Handwerker oder auch ein Hotelier aus dem Landkreis Augsburg, der namentlich nicht genannt werden will. Er berichtet, der Unternehmer habe für einen Mitarbeiter ein Zimmer angemietet, aber nur teils gezahlt, 1500 Euro fehlten. Zu seinem Geld sei er am Ende dennoch gekommen, erzählt der Hotelier. Er habe einfach immer wieder versucht, K.s Kreditkarte zu belasten. Irgendwann habe es funktioniert.

Auch Ayhan Katip kann vieles zu Julian K. erzählen. Katip, gebügeltes Hemd, auffällige Uhr, ist einer der führenden Immobilien-Makler in Augsburg, ein diskreter Profi. Spricht man ihn auf den Bauträger an, dauert es aber nicht lange, bis er sich in Rage redet. Julian K., so erzählt es der Makler, schulde ihm viel Geld. Er habe dutzende Wohnungen für die Projekte von K. vermittelt, die versprochene Provision aber nie erhalten. Der Bauträger „hat mich hintergangen“, wütet Katip, so wie er viele andere Menschen hintergangen habe. „Er hat nie etwas fertig gemacht.“ Teils hätten Käufer die erste Rate an den Bauträger überwiesen, die Zahlung für den Aushub der Baugrube, danach sei nichts mehr passiert. Katip sagt, er habe zwar Verfahren gegen K. geführt, auch Titel erwirkt, gehe aber nicht mehr davon aus, sein Geld zu sehen. Er frage sich, sagt Katip, wo all die Euro eigentlich hingeflossen sein könnten. Er hoffe, sagt der Makler, dass die Menschen, die einen Schaden davongetragen hätten, irgendeine Wiedergutmachung erhielten. Julian K. habe aus seiner Sicht kriminell gehandelt.

War das so? Klar ist: Für die Branche waren die vergangenen Jahre hart, etliche Firmen gerieten ins Schlingern, nicht nur jene von Julian K. Nach Daten der Unternehmensberatung Falkensteg stieg beispielsweise die Zahl der Bauträger-Insolvenzen von 2022 auf 2023 bundesweit um 80 Prozent.

Einer, der sich mit der Szene auskennt, ist Hans Schröder vom Verband Privater Bauherren in Augsburg. Der Bausachverständige sagt, es sei viel zusammengekommen: erst Corona, dann der Ukraine-Krieg, Baupreissteigerungen, Zinsanstieg, Materialengpässe. Auf einer Baustelle, die er betreute, seien einmal urplötzlich keine Tonziegel mehr lieferbar gewesen. Es sei schon keine einfache Zeit gewesen. Schröder betont aber auch: „Es ist ja nicht so, dass alle Bauträger pleitegegangen sind.“ In der Region gebe es immer noch viele Unternehmen, die seriös kalkulierten und fair mit Kunden umgingen. Wenn Käufer jahrelang auf die Fertigstellung einer Wohnung warteten, sei das oft dramatisch. „Es sind manchmal Lebensentwürfe, die kaputtgehen“.  

So war es auch bei Julian K. und seinen Projekten. Dass hinter den ruinösen Vorhaben indes nicht nur Unvermögen steht, sondern möglicherweise kriminelle Energie, ist ein Verdacht, dem auch die Ermittler nachgehen. Mindestens drei Verfahren laufen bei den Staatsanwaltschaften gegen K. und weitere Beschuldigte, zwei in München, eines in Augsburg, es geht um mögliche Insolvenzverschleppung und den Verdacht auf „Vermögensdelikte im Zusammenhang mit Bauvorhaben“, wie es heißt, also etwa Betrug. Im November soll in München ein erster Prozess stattfinden – der dreht sich aber zunächst einmal um eine frühere Gesellschaft von Julian K., die vor Jahren in der Landeshauptstadt insolvent ging, nicht um die aktuelleren Pleiten.

Ohnehin beschäftigt der Geschäftsmann derart stark die bayerische Justiz, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten. Diverse Betroffene haben K. oder eine seiner Firmen zivilrechtlich auf Schadensersatz verklagt, es häuften sich zuletzt Verhandlungen an den Amtsgerichten, den Landgerichten, den Verwaltungsgerichten. Möglich, dass K. längst selbst nicht immer zu jeder Zeit weiß, wann welcher seiner zahlreichen Termine ansteht. Einmal, es ging um eine Gewerbeuntersagung für eines der Unternehmen am Verwaltungsgericht, versicherte sein Anwalt der Richterin, der Mandant werde kommen, ganz gewiss. Er kam nicht – ein Arzttermin. Die Untersagung ist inzwischen längst in Kraft, etliche der Gesellschaften sind insolvent.

Bauträger geht in Augsburg insolvent: Insider spricht von einer „Tragödie“

Tiefer kann man als Unternehmer kaum fallen. Ein Insider aus der Justiz, der sich mit dem Komplex auskennt, spricht von einer „Tragödie“. Es ist vor allem eine für die etlichen Betroffenen. Aber auch eine für den Unternehmer selbst. Warum machte K. einfach immer weiter, halste sich Vorhaben um Vorhaben auf, offenbar ohne das Geld oder die Kompetenz zu haben, sie auch umzusetzen, warum stürzte er sich und andere ins Unglück? Es ist eine offene Frage.

Stellen kann man sie Julian K. nicht, mehrfache Bitten um ein Treffen oder eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen ihn ließ er ins Leere laufen, ebenso wie frühere Anfragen unserer Redaktion.

Thomas Delamotte, der Wohnungskäufer aus München-Hadern, sagt, er habe den Geschäftsmann mehrfach gesprochen, als es um den ausbleibenden Baufortschritt ging. Wenn er ihn mal ans Telefon bekam. Er wirke wie ein netter Kerl, „das ist Teil der Strategie“. Delamotte sagt, er frage sich auch, wie Julian K. so lang weitermachen konnte. Auch das eine offene Frage, aber eine, die sich vielleicht beantworten lässt. Es dauerte, bis Ermittlungen gegen K. in Gang kamen und die Behörden seinen Firmen untersagten, Geschäfte betreiben zu dürfen, aber es passierte dann doch. Die Mühlen der Justiz mahlen manchmal langsam, selbst wenn es in diesem Fall für die Opfer wirken kann, als sei der Mahlbetrieb endgültig eingestellt worden.

Für Delamotte war es ein langer Weg, er kämpfte und klagte, bekam Schadenersatz. Inzwischen haben die Käufer in München-Hadern eine eigene Gesellschaft gegründet und auf eigene Faust Baufirmen angeheuert – ein zäher Prozess. Julian K. ist aus dem Projekt endgültig raus. Seither läuft es, immerhin. Nur einziehen wird Delamotte nicht mehr in die Wohnung. Sechs Jahre sind eine lange Zeit, in der sich ein Leben verändern kann. Delamotte und seine Frau haben inzwischen zwei Kinder, sind in eine größere Mietwohnung gezogen, die Wohnung in Hadern wäre ihnen nun zu klein. Sie werden sie vermieten – sobald sie einmal fertig ist.

  • Jan Kandzora

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