Liebe
Leserin, lieber Leser,
Süleyman
Taşköprü war ein großer Fan von Sylvester Stallone.
Es gibt ein
altes Foto aus den Neunzigern, da sieht man ihn vor dem Stern seines Idols auf
dem „Walk of Fame“ in Los Angeles
hocken. Auf dem Bild trägt Taşköprü lange Locken, er lächelt, sieht selbst ein
bisschen aus wie Stallone. Seiner Schwester sagte er einmal im Scherz, nach
seinem Tod hätte er auch gern so einen Stern wie auf dem Hollywood-Boulevard.
Seine Familie hat ihm diesen Wunsch
erfüllt. In der Schützenstraße
wurde vor ein paar Jahren ein Stein in den Asphalt
eingelassen, mit einem Bild von Taşköprü und den Daten seines
Todestages. Am 27. Juni 2001 wurde Taşköprü dort von Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt in seinem Lebensmittelladen erschossen. Er wurde 31 Jahre alt und
hinterließ eine dreijährige Tochter.
Ab morgen widmet das Altonaer
Museum Süleyman Taşköprü und den anderen Opfern des NSU eine eigene
Ausstellung. Gezeigt werden Fotografien der Künstlerin Regina Schmeken, die
Jahre nach den Morden die Tatorte aufgesucht hat. Auf ihren Schwarz-Weiß-Bildern
sind ganz alltägliche Orte zu sehen – ein Ladeneingang, ein Gehweg, ein Stück
Straßenrand. „Die Motive wirken banal, und doch weiß man, was dort geschehen ist. Genau
das macht sie so eindringlich“, sagte mir
Museumsdirektorin Anja Dauschek. „Wenn ich davorstehe, geht bei mir
sofort das Kopfkino an: Ich denke daran, wie lang es gedauert hat, bis die
Morde endlich als rechtsextremer Terror benannt wurden.“ Nach dem Blick auf die Tatorte können
die Museumsgäste mehr über die Opfer erfahren. In einem „Erinnerungsraum“ werden diese einzeln vorgestellt – mit
Porträtzeichnungen und Zitaten von Angehörigen. „Wir möchten an die Menschen und ihre
Geschichten erinnern – jenseits der Tat, jenseits der Schlagzeilen“, sagt Dauschek. Die Familie
Taşköprü hat dem Museum dafür persönliche Fotos zur Verfügung gestellt,
darunter auch das Bild mit dem Stern.
Dass diese Erinnerung in Hamburg nun
sichtbarer wird, ist wichtig – zumal die Stadt im Umgang mit dem Mord an
Süleyman Taşköprü gravierende Fehler gemacht hat. Über Jahre wurde in die
falsche Richtung ermittelt, lange stand seine Familie unter Verdacht. Erst mit
der Selbstenttarnung des NSU kam die Wahrheit ans Licht. 2018 entschuldigte
sich die Bürgerschaft offiziell bei den Angehörigen, ein Untersuchungsausschuss
wurde – anders als in anderen Bundesländern, in denen der
NSU mordete – nie eingesetzt. Immerhin läuft inzwischen eine wissenschaftliche Aufarbeitung.
© ZON
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In der
Ausstellung geht es auch darum, wo und wie man sich heute in Hamburg gegen
Rechtsextremismus engagieren kann. Sie bleibt also nicht beim Gedenken stehen,
sondern ruft dazu auf, Haltung zu zeigen – oder, wie Dauschek sagt: „Erinnerung darf
kein abgeschlossenes Kapitel sein – wir sollten sie als Aufforderung zum
Handeln verstehen.“
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Ihre
Annika Lasarzik
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WAS HEUTE WICHTIG IST
© Marcus Brandt/dpa
Bürgermeister
Peter Tschentscher (SPD) hat nach dem Volksentscheid betont, dass es vorerst keine
kurzfristigen Änderungen am Klimaplan geben werde. Das bisherige Ziel, die
CO₂-Emissionen bis 2030 um 70 Prozent gegenüber 1990 zu senken, bleibe
bestehen. Neu sei, dass die Stadt künftig jährlich überprüft, ob sie beim
Senken der Emissionen auf Kurs liegt – und bei Abweichungen nachsteuern muss.
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin, Umweltsenatorin Katharina Fegebank (Grüne),
betonte, Klimaschutz sei eine gemeinsame Aufgabe, die nur mit bundesweiter und
europäischer Unterstützung gelingen könne.
Nach dem tödlichen Fahrradunfall der Schauspielerin Wanda Perdelwitz
in Hamburg ermittelt die Polizei nun gegen den 28-jährigen Beifahrer des
Unfallwagens wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Der Mann soll am 28.
September im Stadtteil Rotherbaum die Tür eines Transporters geöffnet haben,
ohne auf den Radverkehr zu achten – Perdelwitz prallte dagegen und starb später
im Krankenhaus. Am Sonntag erinnerten rund 800 Menschen mit einer Mahnwache und
einem weiß geschmückten Geisterrad an die beliebte „Großstadtrevier“-Darstellerin.
Im Prozess um die mutmaßliche Entführung der Kinder von Unternehmerin
Christina Block hat Jens Meier, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hamburg
Port Authority (HPA), als Zeuge ausgesagt. Er wies Medienberichte zurück,
wonach er die israelische Sicherheitsfirma empfohlen habe, die die Kinder in
der Silvesternacht aus Dänemark zurückgeholt haben soll – das sei „kompletter Quatsch“. Den Namen der Firma habe er zu diesem Zeitpunkt gar
nicht gekannt, sagte Meier. Er habe dem Familienanwalt der Blocks lediglich
zwei Kontakte zum Thema Cybersicherheit vermittelt, es sei „nie um die Rückholung von
Personen“ gegangen.
In aller Kürze
• Heute Abend
verleiht Umweltsenatorin Katharina Fegebank im ArchitekturSalon den Hamburger
Preis für Grüne Bauten 2025, der vorbildliche Dach-, Fassaden- und
Innenraumbegrünungen auszeichnet – anschließend wird dort eine Ausstellung mit
weiteren Beispielen nachhaltiger Gebäudebegrünung eröffnet • Die
Schulbehörde hat ein Sonderheft zur Antisemitismus-Prävention in Schulen
veröffentlicht, das Lehrkräften und Elternräten Hilfestellung im Umgang mit
antisemitischen Vorfällen geben soll • In der Alten Schule in der
Seilerstraße auf St. Pauli entstehen neue Arbeitsräume für Hamburgs
Kreativszene; die Hamburg Kreativ Gesellschaft hat das denkmalgeschützte
Gebäude von der städtischen Sprinkenhof GmbH angemietet und richtet dort über
2.000 Quadratmeter Fläche für künstlerische und kreative Nutzungen ein
THEMA DES TAGES
© gett_urban/unsplash.com
Der Misstrauensbeweis
Seht her, wir verfolgen doch
schon große Ziele! – so ging der Hamburger Senat in die Abstimmung um den
Klimaschutz. Das Ergebnis zeigt nun: Ihm wurde nicht geglaubt. Lesen Sie hier
einen Auszug aus der Analyse von Frank Drieschner.
Eine Karte verrät über die Zukunft der Hamburger
Klimapolitik womöglich mehr als das Ergebnis des sogenannten
Zukunftsentscheids. Die Volksabstimmung hat am Sonntag eine Klimaschutzinitiative
mit knapper Mehrheit gewonnen (Z+) und damit festgelegt, dass der
Stadtstaat Hamburg versuchen muss, den Verbrauch von Kohle, Erdöl und Erdgas
bis zum Jahr 2040 nahezu vollständig zu beenden. Die Karte zeigt die Details
dieses Erfolgs: die Abstimmungsergebnisse in den 721 Stimmbezirken der Stadt.
Dabei ergibt sich ein verblüffend klares Bild. Im Streit um den Klimaschutz
haben sich die Bewohner der dicht besiedelten Innenstadtbezirke gegen den
Stadtrand durchgesetzt. Die Innenstadt – mit Ausnahme des besonders
wohlhabenden Stadtteils Harvestehude – ging an die Anhänger des
Zukunftsentscheids. Der Stadtrand mit seinen weitläufigen Ein- und
Zweifamilienhausgebieten war das Revier seiner Widersacher. Lediglich in den
urban geprägten Gebieten von Eidelstedt und Bergedorf setzten sich die Anhänger
des Klimaschutzentscheids auch nahe der Stadtgrenzen durch.
Insgesamt spricht das Ergebnis des Volksentscheids von einem erheblichen
Misstrauen weiter Teile der Stadtgesellschaft gegenüber ihrer politischen und
ökonomischen Elite. Die SPD als größere Regierungspartei hatte für eine
Fortsetzung der gegenwärtigen Hamburger Klimapolitik geworben. Die konservative
Opposition stellte sich ebenso gegen den Zukunftsentscheid wie
Wirtschaftsverbände, Vermieter und einige Gewerkschaften. Doch die Erzählung
von der anspruchsvollen und zugleich realistischen Hamburger Klimapolitik
verfing offenbar nicht. Eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die an der
Abstimmung teilnahmen, entschied sich für eine deutliche Verschärfung.
Dabei entsprechen die unterschiedlichen Abstimmungsergebnisse in den
unterschiedlich geprägten Wohngegenden nicht nur verschiedenen Lebensstilen,
sondern auch einem unterschiedlichen Maß an Betroffenheit durch die
Klimapolitik der Zukunft. Wer am Stadtrand in den eigenen vier Wänden wohnt und
seine täglichen Wege mit dem Auto erledigt, muss sich nun mehr als zuvor über
Wärmepumpen, Wärmedämmung und Elektromobilität Gedanken machen. Für
Innenstadtbewohner mit Mietwohnung und ohne eigenes Auto ändern sich auch auf
lange Sicht womöglich nur die Anteile von Grundmiete und Heizkostenabrechnung
an ihren Wohnkosten.
So gesehen, lässt sich das Ergebnis der Abstimmung über den
Zukunftsentscheid auch als politischer Auftrag deuten: Die Mehrheit der
Bürgerinnen und Bürger erwartet von Senat und Bürgerschaft, dass sie jenen Teil
der Stadtgesellschaft zu einem klimafreundlicheren Lebensstil drängt, dessen
private Konsum- und Investitionsentscheidungen für einen Großteil des Hamburger
Treibhausgasausstoßes verantwortlich sind.
Ein Beispiel erfolgreicher Klimaschutzpolitik zeigt, wie das aussehen
könnte.
Welches
Beispiel hier gemeint ist und was sich anhand der Abstimmungsergebnisse in den
einzelnen Hamburger Bezirken noch erkennen lässt, lesen Sie weiter in der ungekürzten Fassung auf zeit.de.
DER SATZ
© Marta Giaccone/Connected Archives
„Dass wir krank
so leiden, ist ein Schutzmechanismus des Immunsystems.“
Julie Lasselin, Professorin am Karolinska-Institut in Stockholm und
Psychoneuroimmunologin
Fühlt sich an wie eine
Depression, ist aber keine: ZEIT-Redakteurin Anaïs Kaluza erklärt, warum wir
uns während einer Erkältung so niedergeschlagen fühlen – und warum genau dieses
Elend Teil des Heilungsprozesses ist. Den ganzen Artikel lesen Sie hier.
DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN
Die jährliche Konzert-
und Vortragsreihe „Concerts for Future“ verbindet Musik aus
unterschiedlichen Genres mit Vorträgen renommierter Forscher und Autorinnen
rund ums Klima. Am Donnerstag starten die „Concerts for Future“ in die dritte
Runde: In der St.-Marien-Kirche in Ottensen findet das Auftaktkonzert der von Parents
for Future und Churches for Future Hamburg organisierten Reihe statt.
Bestsellerautorin und Verkehrswende-Aktivistin Katja Diehl wird zum Thema
Mobilität sprechen, für den musikalischen Rahmen sorgt das Vokalensemle Vox
Mandala mit bekannten und eigenen Kompositionen von Pop bis Jazz.
Auftaktkonzert der „Concerts for Future“ mit einem
Vortrag von Katja Diehl und Musik von Vox Mandala, 16.10., 19 Uhr;
St.-Marien-Kirche Ottensen, Bei der Reitbahn 4. Die Vortragenden und
Künstlerinnen verzichten auf ihre Gage, auch der Eintritt ist kostenlos,
Spenden zugunsten von Fridays for Future sind erwünscht.
MEINE STADT
Verschmelzungen © Reiner Letscher
HAMBURGER SCHNACK
In der Betriebskantine. Ein Mitarbeiter steht an
der Essensausgabe und grübelt, ob er Option 1 oder 2 wählen soll. Er fragt die
Frau hinter dem Tresen: „Was würden Sie nehmen?“ Sie antwortet: „Ich würde
meine Beine in die Hand nehmen und woanders essen.“
Gehört von Oskar Piegsa
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