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Frankreichs Premier Lecornu ist auf die Sozialisten zugegangen: Mit weitgehenden Zugeständnissen nimmt er Finanzrisiken in Kauf, um Neuwahlen zu vermeiden – und zumindest kurzzeitig für politische Stabilität zu sorgen.
Das von den oppositionellen Sozialisten geforderte Zugeständnis wurde geliefert wie bestellt. Frankreichs erneut ernannter Premier Sébastien Lecornu rang sich dazu durch, eine der zentralen Reformen von Präsident Emmanuel Macron – die erst vor zwei Jahren mühsam eingeführte Rentenreform – ab sofort auf Eis zu legen.
„Ich werde dem Parlament ab diesem Herbst vorschlagen, dass wir die Rentenreform von 2023 bis zur Präsidentschaftswahl aussetzen. Ab jetzt wird es keine Anhebung des Renteneintrittsalters bis zum Januar 2028 geben.“
Unter dem spontanen Beifall der Sozialisten um Ex-Präsident François Hollande in der Nationalversammlung kündigte Lecornu an, das schrittweise Heraufsetzen des Renteneinstiegsalters von 62 auf 64 Jahre sowie die entsprechende Verlängerung der Beitragsperioden bis zum Januar 2028 zu suspendieren. Damit soll die Richtungsbestimmung bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2027 abgewartet werden. Präsident Macron darf dann nicht wieder antreten.
Sozialisten feiern Suspendierung von Rentenreform
Trotz der klaren Ankündigungen machten es die Sozialisten spannend und mussten sich zunächst außerhalb des Plenums zu Beratungen zurückziehen. Erst mehr als zwei Stunden nach dem Angebot Lecornus kam dann die erwartete Antwort von Fraktionschef Boris Vallaud in der Nationalversammlung:
Die Suspendierung der Rentenreform – endlich ist sie da. Wir sehen das als Sieg und ersten Schritt für die weiteren Schritte, nämlich die Blockade und schließlich die Abschaffung der Rentenreform.
Verzicht auf Misstrauensvotum
Die Sozialisten ließen trotzdem kaum ein gutes Haar an der Regierung Lecornu, verzichten aber zunächst auf ein Misstrauensvotum. Damit sind Neuwahlen in Frankreich vorerst vom Tisch.
Denn von der extremen Linken und Rechten für Donnerstag eingebrachte Misstrauensvoten werden voraussichtlich keine Mehrheit bekommen. Die neu aufgelegte Mitte-Rechts-Regierung von Premier Lecornu hat sich zumindest für die nächsten Tage und bis zur konkreten Vorlage der geplanten Änderungen etwas Zeit erkauft.
Nach dem Fehlstart bei seiner ersten Benennung als Premier vor rund einer Woche will der Macron-Vertraute Lecornu sich etwas vom Präsidenten freischwimmen und die Nationalversammlung stärker in die Verantwortung nehmen: „Die Regierung präsentiert den Haushalt, den sie für wünschenswert hält. Das Parlament prüft, diskutiert und ändert ihn. Das liegt in seiner Freiheit und Verantwortung. Ohne absolute Mehrheit und Sonderverfahren zur Umgehung einer Abstimmung wird das Parlament das letzte Wort haben. Wir müssen vertrauen und keine Angst davor haben.“
Wichtigstes Ziel: ein Haushalt für 2026
Wichtigstes Ziel ist es nun, einen Haushalt für das kommende Jahr aufzustellen. Einen ersten nicht-öffentlichen Entwurf hat Lecornu bereits dem Rechnungshof vorgelegt. Danach soll die neue Regierung insgesamt 30 Milliarden Euro in 2026 einsparen. Das sind bereits 14 Milliarden weniger als bei seinem abgesetzten Vorgänger François Bayrou. Im Budgetentwurf peilt Lecornu für das kommende Jahr ein Haushaltsdefizit von 4,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes an.
Im Parlament erklärte der Premier heute, dass das Defizit nach Abschluss der parlamentarischen Beratungen zumindest unter fünf Prozent liegen müsse. Damit gibt sich Lecornu den nötigen Spielraum für das Aussetzen der Rentenreform und mögliche weitere Zugeständnisse an die Opposition.
Doch ob das die Finanzmärkte davon überzeugen wird, dass Frankreich sein Defizit in absehbarer Zeit wieder unter die für die Eurozone vorgeschriebene Marke von drei Prozent bringt, ist fraglich. Frankreich ist hoch verschuldet und muss neue Schulden zu immer höheren Zinsen aufnehmen. Die Regierung Lecornu nimmt nun die zunehmenden Finanzrisiken in Kauf, um Neuwahlen zu vermeiden und zumindest kurzzeitig für politische Stabilität zu sorgen.
