Angesichts der chaotischen Lage in Frankreich ist Italien in der öffentlichen Wahrnehmung zum Musterschüler avanciert. Mit dem Budgetentwurf, den Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti vorgelegt hat, versucht Rom weiter an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Das Haushaltsdefizit soll in diesem Jahr von 3,4 Prozent auf unter drei Prozent sinken. Die Regierung hofft damit auf eine Beendigung des Defizitverfahrens.
Wichtige Details zum Haushalt sind noch unklar. Ein detaillierter Plan soll am 20. Oktober vorgelegt werden. Rom will einerseits 9,5 Milliarden Euro bei den Ausgaben einsparen. Und andererseits werden Steuermehreinnahmen von 6,5 Milliarden Euro erwartet. Die Banken sollen mit einer Sonderabgabe von mehreren Milliarden Euro zur Haushaltsfinanzierung beitragen.
Mehrausgaben für Gesundheits- und Familienpolitik
Rom plant Mehrausgaben für den Gesundheitssektor und familienpolitische Maßnahmen. Außerdem sind Einkommensteuersenkungen für mittlere Einkommen vorgesehen. Rechnungshof und die Notenbank Banca d`Italia kritisieren die fehlende Gegenfinanzierung dieser Maßnahmen.
Das gilt auch für die Mehrausgaben von zwölf Milliarden Euro für die Rüstung in den nächsten drei Jahren. „Es ist quasi sicher, dass die Erhöhung mit einem höheren Defizit unter Nutzung der EU-Sonderklausel, die eine Finanzierung ohne finanzielle Deckung erlaubt, erfolgt“, glaubt der frühere IWF-Ökonom Carlo Cottarelli. Voraussetzung dafür wäre aber die Beendigung des derzeit noch laufenden Defizitverfahrens gegen Italien.
Italiens ungewohnt stabile Regierung setzt aber auf eine relativ solide Haushaltspolitik und erlaubt sich, anders als in der Vergangenheit, keine teuren Geschenke an die Wähler. Die Ratingagenturen haben ihre Bewertungen zuletzt angehoben. Rom refinanziert sich nun zu niedrigeren Zinssätzen als Frankreich. Dabei ist Italiens Rating noch immer deutlich schlechter als das französische. Das macht deutlich: Die Stimmung gegenüber Italien ist viel besser als die reale Situation des Landes.
Schulden steigen weiter an
Denn die Schulden sind mit 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich höher und steigen nach den Plänen der Regierung in den kommenden Jahren sogar auf 137 Prozent. Damit wächst auch der Schuldendienst. Angesichts des Auslaufens des europäischen Wiederaufbauprogramms Next Generation und des Ausbleibens der Effekte nationaler Programme sind die Wachstumsraten zuletzt deutlich zurückgegangen. Die Steuereinnahmen werden deshalb künftig weniger üppig sprudeln. Für 2025 erwartet Rom nur noch ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent, für 2026 dann 0,7 Prozent. Die Regierung Meloni verzichtet dennoch auf wichtige Reformen etwa des Wettbewerbsrechts, die Wachstumsimpulse generieren könnten. Sie fürchtet etwa den Widerstand betroffener Gruppen wie der Taxifahrer oder der Strandbadkonzessionäre.
Emanuele Orsini, Präsident des mächtigen Industriellenverbandes Confindustria, attackierte Giorgetti jüngst in ungewohnt scharfer Form: „Unsicherheit bekämpft man mit Gewissheit. Wir haben Investitionen von acht Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre gefordert. Doch konkrete Maßnahmen sind im Haushaltsentwurf weiterhin nicht erkennbar. Ohne die Mittel aus Next Generation in Höhe von fast 200 Milliarden Euro würde die Wirtschaft um 0,2 Prozent schrumpfen.“
Produktivität stagniert
Italien ist mit großen Problemen konfrontiert. Die Produktivität stagniert seit 20 Jahren. Die Zahl der Erwerbstätigen geht angesichts der verheerenden demografischen Entwicklung in den kommenden zehn Jahren um sechs Millionen zurück. Und die Rentenausgaben wachsen – auch wegen teilweise nach wie vor bestehender Vorruhestandsregelungen – bis 2040 von heute 15,3 auf 17,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die massiven Proteste und Streiks der letzten Wochen gegen Israel sind auch Ausdruck wachsender Unzufriedenheit mit der Regierung. Das haben die Gewerkschaften erkannt. Sie sind auf diesen Zug aufgesprungen. Denn die Realeinkommen sind seit 2021 um 7,5 Prozent gesunken. Laut Orsini sind die Margen der Unternehmen angesichts der US-Strafzölle und hoher Energiekosten nicht ausreichend, um die Löhne zu erhöhen. Nach einer Studie der Mediobanca sind es die vielen Staatsunternehmen, die hohe Gewinne schreiben. Ihre Betriebsmargen sind seit 2022 von 4,5 auf 9,5 Prozent gewachsen. Sie schütten zwar hohe Dividenden (an den Staat) aus. Doch die Löhne heben sie nicht an.
Ungewohnt stabile Regierung
 Stabilität
Italien gilt plötzlich als Stabilitätsanker in der EU. Premierministerin Giorgia Meloni sitzt fest im Sattel. Sie regiert seit drei Jahren und ihre Chancen, 2027 wiedergewählt zu werden, sind gut. (bl)
 Rendite
Die Finanzmärkte honorieren die Stabilität. Im August fiel der Spread, also der relative Abstand zwischen italienischen und französischen zehnjährigen Staatsanleihen erstmals unter Null. Das bedeutet, dass Frankreich nun für seine Refinanzierung mehr Zinsen bezahlen muss als Italien. (red) 
