Da war doch mal was. Als 2005 das Festival „Theater der Welt“ in Stuttgart zu Gast war, trug es das Motto „Heimweh nach der Zukunft“, und als unlängst mal wieder Politiker über die Frage diskutierten, ob und wie man den Neckar wieder zum Teil der Stadt machen könnte, mag sich mancher daran erinnert haben. Vor allem an ein Konzert am Fluss, wo man Boote mit singenden Menschen an sich vorbeifahren sah. Lauter Chöre im Wasser, vorübergleitende Klänge – eine wundervolle Veranstaltung, fast wie der „Koningsdag“ auf den Grachten von Amsterdam, nur weniger laut und eher klassisch. Ob die Landeshauptstadt ihr Heimweh nach dem Neckar jemals vollends stillen kann, wird die Zukunft zeigen, aber man könnte sich Vergangenes zum Vorbild nehmen.
Zum Beispiel jenes „Hafenkonzert“ von 2005. Oder eine Schifffahrt auf der Themse, die der englische König Georg I. im Juli 1717 als eine Art Werbeveranstaltung in eigener Sache unternahm. Damals waren die Ufer gesäumt von Schaulustigen aller Stände, die miterlebten, und unzählige Boote voller Adliger gemeinsam die Strecke von Whitehall nach Chelsea zurücklegten. Darunter auch eine Barke mit etwa fünfzig Musikern, denen Georg Friedrich Händel Noten eines neuen Werkes auf die Pulte gelegt hatte. So wurde jene „Wassermusik“ uraufgeführt, die heute zu den bekanntesten Stücken des Komponisten gehört, und am Dienstagabend hat das Freiburger Barockorchester mit den zu drei Suiten zusammengefügten Sätzen dieses Werkes seine Stuttgarter Konzertreihe im Mozartsaal eröffnet.
Spürbare Leichtigkeit
Den Effekt eines Orchesters, dessen Klänge mal von näher, mal von ferner über das Wasser tönen, konnte und wollte man im geschlossenen Raum zwar nicht reproduzieren. Immerhin aber haben die beiden Hornisten einmal hinter der Bühne gespielt, der Fagottist ist durch das Parkett flaniert. Und die Leichtigkeit einer sommerlichen Open-Air-Veranstaltung war deutlich zu hören und zu spüren. Hinzu kam die Freude am Spiel mit einer Fülle, die bei Händel auch mit den Klangfarben der Instrumente zu tun hat. Und hinzu kam außerdem eine elaborierte, quicklebendige instrumentale Kommunikation – die an diesem Abend auch mit dem Freiburger Barockorchester zu tun hat.
Unter der Leitung des Konzertmeisters Péter Barczi deuten die Musikerinnen und Musiker die „Wassermusik“ aus ihren Dialogen heraus. Hier die Bläser, dort die Streicher, hier Oboen, dort die Hörner, schließlich noch Flöte, Pauke und Trompeten; auch zwischen den Streichergruppen gehen die Impulse hin und her. Das ist teilweise so fein und subtil, dass es bei einer Open-Air-Aufführung gnadenlos untergegangen wäre. Aus eben diesem Grund hat Händel 1717 auf der Themse auch Cembalo und Laute in der Bassgruppe nicht vorgesehen. Jetzt aber sorgen sie inmitten der gut zwanzigköpfigen Indoor-Besetzung nicht nur für ein farbreiches Fundament, sondern zwischendurch auch immer wieder für intime Passagen – etwa in der „Air“ der ersten Suite, hier einer stillen Meditation für Viola und Laute, oder im Eingangssatz der dritten.
Jubelndes Publikum
Aparte Klanglandschaften ziehen vorüber. Die Streicher gestalten mit einer beglückenden Selbstverständlichkeit, die rein gar nichts mit Routine zu tun hat, oft mit hochvirtuoser Bogenführung bei rasant genommenen Tempi wie etwa im „Minuet“-Finale der ersten Suite. Die Bläser-Pulte sind mit exzellenten Solistinnen und Solisten besetzt. Sogar die oft intonationsheiklen Naturhörner liegen nur selten daneben. Ergänzt werden die Suiten durch Einzelwerke Händels, deren schönstes, das kammermusikalisch besetzte d-Moll-Flöten-Concerto, wohl gar nicht von Händel ist. Sondern von Telemann – womit das Orchester indirekt schon für sein März-Konzert wirbt. Ginge es nach dem Jubel des Publikums, dann wäre diese Zukunft schon morgen Gegenwart, ebenso wie das Konzert mit Bachs Weihnachtskantaten, der Abend mit Werken der Bach-Familie und dem Vokalensemble Vox Luminis oder das Arien-Programm mit dem Countertenor Alexander Chance.