Die nächste Stufe auf der Karriereleiter erklomm Mert Kömür auf einer Gangway. Auf dem Nürnberger Flughafen war das, als der Offensivspieler des FC Augsburg in jenen Flieger stieg, der die deutsche Fußball-Nationalmannschaft und die U21 am vergangenen Sonntag gemeinsam in Nordirlands Hauptstadt Belfast brachte. Kömür kam als Teammitglied der Nachwuchsauswahl so in den Genuss, sich mit Liverpools Florian Wirtz auf einer Länderspielreise zu befinden. Den zwei Jahre älteren Kollegen zählt Kömür neben Cristiano Ronaldo zu seinen Vorbildern.
Auch wenn die Nähe zu Wirtz auf die Spielpläne zurückzuführen war, fügte sie sich ins Bild von Kömürs zuletzt beschleunigt ansteigender Entwicklungskurve. Am 7. April 2024 hatte er für den FC Augsburg im Spiel bei der TSG Hoffenheim sein 15-minütiges Bundesligadebüt gegeben. Inzwischen kann Kömür vor dem Spiel beim 1. FC Köln an diesem Samstag durch zwei Treffer und zwei Vorlagen die meisten Torbeteiligungen im gesamten Kader des FCA in dieser Saison vorweisen. Nur Torwart Finn Dahmen, Innenverteidiger Chrislain Matsima und Mittelfeldspieler Han-Noah Massengo sammelten in den sieben Pflichtspielen mehr Einsatzminuten als Kömür.
Am Freitag vor einer Woche kam in der EM-Qualifikation bei der 2:3-Niederlage gegen Griechenland Kömürs Debüt für die deutsche U21 hinzu, ehe er auch am Dienstag beim 2:1-Sieg in Nordirland eingewechselt wurde. Schon vor der gemeinsamen Anreise mit den großen Jungs aus Julian Nagelsmanns Nationalmannschaft hatte Kömür befunden, dass die Wege zwischen der U21 und der A-Auswahl zuweilen kurz seien. Damit verlieh er seiner Hoffnung Ausdruck, irgendwann mit Wirtz für die DFB-Elf zu spielen.
Schon jetzt ist Kömür das junge Gesicht des Augsburger Weges. Der 20-Jährige steht idealtypisch für den Anspruch des Vereins, Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in den Bundesligakader zu integrieren. Vom TSV 1860 München war der Dachauer 2019 zum FC Augsburg gekommen, mit 16 Jahren trainierte er 2022 erstmals bei den Profis mit. Dadurch, dass Kömür bei diesen nun eine prägende Rolle einnimmt, wird er immer mehr zum Vorbild für alle Talente beim FCA. In der Paul-Renz-Akademie, dem Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des Vereins, hängt Kömür neben einigen Vorgängern als Pappfigur an einer Wand. Darunter steht das Datum seines Bundesligadebüts. Kömürs Weg soll als Anreiz dienen für die aktuellen Akademiekicker.
„Es ist perfekt, wenn zwei Spieler aus der eigenen Jugend Tore machen. Das ist das, was hier jeder sehen möchte.“
Auch seine Erinnerungen könnten sie im NLZ eingerahmt an die Wand hängen, um die Teenager zusätzlich zu motivieren. „Im Nachhinein ging alles wahnsinnig schnell. Auf einmal saß man regelmäßig auf der Ersatzbank, dann kam das Debüt“, hat Kömür einmal erzählt, „ein paar Wochen später stand ich dann gegen Bayer Leverkusen auf einmal in der Startelf und habe mein erstes Bundesligator erzielt.“ Zuletzt beim 3:1 gegen den VfL Wolfsburg gelang das auch Noahkai Banks. Der 18 Jahre alte Innenverteidiger traf zum 1:0 nach Vorlage von Kömür, der später das 2:0 erzielte. „Es ist perfekt, wenn zwei Spieler aus der eigenen Jugend Tore machen. Das ist das, was hier jeder sehen möchte. Das werden wir weiter fördern und pushen“, sagte Sportdirektor Benjamin Weber.
Beim FCA hat Geschäftsführer Michael Ströll für die Nachwuchsarbeit schon vor längerer Zeit das Ziel ausgerufen, „eine stärkere Durchlässigkeit in den Profikader zu erreichen“. Die Förderung der Talente zu forcieren, sei für den Verein „alternativlos“, anders könne sich dieser „nur schwer weiterentwickeln“. Für Nachwuchsspieler soll ersichtlich sein, dass die Wahrscheinlichkeit, es in den Bundesligakader zu schaffen, beim FC Augsburg höher ist als bei anderen Vereinen. Damit diese Botschaft verfängt, sind Werdegänge wie die von Kömür und Banks entscheidend.
Wie wichtig ihm die Nachwuchsförderung als Säule ist, hatte Ströll auch dem neuen Trainer Sandro Wagner vermittelt, bevor es zur Vertragsunterschrift kam. Wagner trägt Strölls Leitlinie voll mit und verweist auf weitere Talente, die dank der „herausragenden Arbeit“ im NLZ auf ihre Chance bei den Profis „lauern“. Begabte Nachwuchskräfte an andere Vereine zu verlieren, „diesen Fehler dürfen wir nicht nochmal machen“, sagt Wagner sogar.
Auch dieses Signal geht von der Stammkraft Kömür aus. In fünf der sechs Bundesligapartien dieser Saison spielte er durch, als einer der „Zocker“, wie Wagner seine Jungs mit den feinen Füßen in der Offensive anerkennend bezeichnet. Über Kömür sagte Nagelsmanns ehemaliger Assistent bei der DFB-Elf sogar: „Mert hat keine Grenzen nach oben. Ich habe ja auch bei der Nationalmannschaft viele talentierte Spieler begleiten dürfen. Mert hat sehr viel Qualität und braucht sich nicht zu verstecken.“ Zugleich sollte man Talente nicht zu schnell nach oben heben, findet Wagner. Doch geht Kömürs Entwicklung so weiter, könnte er irgendwann vielleicht häufiger gemeinsam mit Wirtz im Flugzeug sitzen.