Aufstieg der Rechtspopulisten in Grossbritannien –
Die schottische Unabhängigkeit wird wieder zum Thema – um Nigel Farage zu entkommen
Vielen Schotten ist der Aufschwung der britischen Rechtspopulisten «drunten im Süden» unheimlich. Die Schottische Nationalpartei peilt deshalb ein neues Referendum über die nationale Eigenständigkeit an.
Publiziert heute um 19:55 Uhr
«Ich bin stolz darauf, dass uns Flüchtlinge willkommen sind»: Der schottische Regierungschef John Swinney bei der Jahreskonferenz der Schottischen Nationalpartei diese Woche in Aberdeen.
Foto: Andy Buchchanan (AFP)
In Kürze:
- Die schottische SNP sieht durch rechtskonservative Tendenzen in London neue Unabhängigkeitschancen.
- Aktuelle Umfragen zeigen eine wachsende Zustimmung von 53 Prozent für die Unabhängigkeit.
- Labour-Premier Keir Starmer lehnt ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum für Schottland kategorisch ab.
Elf Jahre nach ihrer Niederlage beim schottischen Unabhängigkeitsreferendum vom September 2014 wittern die schottischen Nationalisten eine neue Chance, ihrem Ziel näherzukommen. Sie glauben, dass die Angst vieler Schotten vor einer künftigen Regierungsübernahme durch die britischen Rechtspopulisten drunten in London ihnen neue Sympathien für schottische Eigenständigkeit bescheren wird.
Zur Freude der Schottischen Nationalpartei (SNP) würden letzten Meinungsumfragen zufolge inzwischen schon 53 Prozent der Schotten für die nationale Unabhängigkeit stimmen. In den meisten bisherigen Umfragen lag der Anteil im Schnitt bei 50 Prozent. Bisher verfügt Schottland nur über begrenzte Selbstverwaltung mit seinem Parlament in Edinburgh.
Nigel Farage hat in Schottland einen schweren Stand
Die von Nigel Farages Rechtspartei Reform UK ausgelöste «populistische Welle» auf der Insel stärke jedenfalls den Wunsch nach schottischer Abkoppelung vom Rest des Königreichs, hat jetzt der SNP-Vorsitzende und schottische Regierungschef John Swinney erklärt. Sonst drohe ja alles – Labour und die Konservativen eingeschlossen – im Sog Farages «unaufhaltsam nach rechts abzurutschen». Darum sei er optimistisch, dass das Verlangen nach schottischer Unabhängigkeit weiter zunehmen werde in nächster Zeit.
Um sich möglichst scharf von den anderen Parteien abzusetzen, betonte Swinney auf dem jüngsten SNP-Parteitag in Aberdeen den «toleranten und inklusiven» Charakter seiner Partei, die «auch Fremde willkommen» heisse – zumal Sektoren wie Fürsorge und Gesundheitswesen auf ausländische Kräfte dringend angewiesen seien. «Wo immer ihr herkommt, was auch immer euer Glaube ist oder eure Hautfarbe, wir alle haben hier einen Beitrag zu leisten, erklärte Swinney. Ich bin stolz darauf, dass uns Flüchtlinge willkommen sind.»
Tatsächlich ist es für die Partei Reform UK in Schottland schwieriger als anderswo, Fuss zu fassen. Während die Rechtspopulisten laut Umfragen in diesem Herbst in England und Wales mit mehr als einem Drittel der Stimmen rechnen können und so weit vor allen anderen Parteien rangieren, fällt ihnen in Schottland nur jede fünfte Stimme zu.
Die Schottische Nationalpartei darf dagegen aktuell mit etwa 35 Prozent rechnen. Damit scheint die SNP erstmals wieder einen Weg aus der Krise gefunden zu haben, in der sie sich in den letzten Jahren befand.
Skandal um Nicola Sturgeon rückt in Schottland in den Hintergrund
Wachsende Unzufriedenheit der Wähler mit den öffentlichen Diensten in Schottland, der bittere Skandal um Ex-Regierungschefin Nicola Sturgeon und ihren Mann und ein erneuter erzwungener Personalwechsel an der Spitze hatten die SNP zuletzt eine Menge Respekt und Zuspruch gekostet.
Mittlerweile scheinen die meisten Schotten aber wieder eher die Labour-Regierung in London und die vormaligen konservativen Regierungen Grossbritanniens für Schottlands Probleme verantwortlich zu machen – und dafür, dass Farage in kurzer Zeit so viel Einfluss gewonnen hat.
Kritiker der SNP werfen Swinneys Partei unterdessen vor, in Sachen Unabhängigkeit «in einem Fantasieland» zu leben. Und ungewiss ist fürs Erste, ob Swinney bei den Wahlen im nächsten Mai wirklich das von ihm erhoffte Mandat für ein neues Unabhängigkeitsreferendum – eine Mehrzahl der Sitze im schottischen Parlament – erringen kann.
Keir Starmer gegen Referendum
Danach müsste eine SNP-Regierung sich ausserdem erst einmal grünes Licht bei Premierminister Sir Keir Starmer für die Ausrichtung einer neuen Volksabstimmung holen. Und Starmer hat mehrfach erklärt, dass ein weiteres Referendum für ihn nicht infrage kommt.
Um den Druck auf Starmer zu verstärken, müsste Swinney nun nicht nur seinen Stimmenanteil rapide ausbauen, sondern auch eine noch deutlichere Mehrheit als bisher für die schottische Unabhängigkeit in den Umfragen vorweisen können.
Sollten allerdings genügend Schotten zum Schluss kommen, dass sie Nigel Farage «über ein separates Schottland entfliehen» könnten, glaubt Londons linksliberale Zeitung «Guardian», dann würde ein erneuter SNP-Wahlsieg im Mai das Thema Unabhängigkeit «jedenfalls wieder auf die Tagesordnung setzen» im Vereinigten Königreich.
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EinloggenPeter Nonnenmacher berichtet als Korrespondent aus London.Mehr Infos
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