Es war einiges los diese Woche im Leipziger Wohnungsleerstand. Im Rahmen der selbsternannten „Autonomen Besetzungstage Leipzig“ hatten Aktivistinnen und Aktivisten in drei leerstehenden Häusern Besetzungsversuche gestartet. Innerhalb weniger Stunden waren diese jedoch durchweg von der Polizei geräumt worden. Das sorgte für Wut in der Szene, die daher für heute auf der Eisenbahnstraße zum massenhaften Cornern mobilisierte.
Am vergangenen Freitagabend, 10. Oktober, hatten die Besetzungsaktivitäten in der Lützner Straße 97-99 begonnen. Sechseinhalb Stunden später: Räumung durch die Polizei. Zwei Tage darauf, am Sonntag, 12. Oktober, war eine Villa in der Julius-Krause-Straße 8 das Objekt der Besetzungswahl. Am Nachmittag folgte auch hier die Räumung. Und schließlich war am Mittwoch, 15. Oktober, die Einertstraße 3 an der Reihe. Auch hier hieß es nach rund sechseinhalb Stunden: Objekt geräumt.
Die rein rechtliche Lage ist klar: Hausfriedensbruch. Andererseits wurde durch diese Aktionen auch ein gesellschaftlich brennendes Thema in die Öffentlichkeit getragen: Hohe Mieten, Mangel an bezahlbarem Wohnraum und finanzielle Spekulationen mit leerstehenden Häusern. Stichwort: Gentrifizierung. Daher waren bei allen drei Besetzungen auch Konzepte für eine mögliche neue Nutzung für die Menschen aus dem Viertel vorgelegt und die Gesprächsbereitschaft der Besetzenden ausdrücklich signalisiert worden.
Genützt hat es bisher nichts. Das schürt Frust bei den Besetzerinnen und Besetzern sowie den mit ihnen Sympathierenden. „Die Bullen haben jetzt alle Häuser geräumt. Das Henri im Westen und die Villa Krause und das Eineck im Osten. Jeder Versuch sich außerhalb kapitalistischer Zwänge zu organisieren und gemeinschaftliche Lösungen weg von Kontrolle und Herrschaft für unsere Probleme zu finden, wird auf kurz oder lang von der Polizei angegriffen”, heißt es in einem Statement.
Darin wurde für heute Abend zum massenhaften Cornern auf der Eisenbahnstraße aufgerufen, speziell im Abschnitt zwischen Hildegardstraße und Torgauer Platz. „Um klar zu machen wie wichtig dieser Ort wäre und wie sehr die Mieter*innen Leipzigs die Schnauze voll haben, wollen wir Freitag Abend zusammen kommen. (…) Lasst uns ein gemeinsames Zeichen setzen und allen klar machen, dass wir mit der Entwicklung unserer Viertel nicht einverstanden sind und uns der dauerhafte polizeiliche Ausnahmezustand wütend macht.”
Der Freitagabend in der Eisenbahnstraße
Für 17 Uhr war der Beginn der „Rumhäng-Aktion” angekündigt. Das war augenscheinlich auch der Polizei nicht verborgen geblieben, denn sie zeigt Präsenz. Gegen 18:40 Uhr traten die Ordnungshüter erstmals in Aktion: An der Hildegardstraße hatte eine Person laut herumgeschrien, wie unser Reporter vor Ort berichtete. Daraufhin war der Ort des Geschehens schnell in blaues Licht gehüllt. Letztlich: Nix passiert.
Polizeipräsenz beim „Massencornern“ in der Eisenbahnstraße, im Rahmen der „Autonomen Besetzungstage Leipzig“. Foto: Lucas Böhme
Überhaupt wird die Szenerie bisher als sehr entspannt beschrieben. So entspannt, dass eine niedliche Bodenfontäne um 19:50 Uhr vorm Döner-Laden als nächstes Highlight des Abends herhalten muss.
Kleines Feuerwerk. „Massencornern“ in der Eisenbahnstraße, im Rahmen der „Autonomen Besetzungstage Leipzig“. Foto: Lucas Böhme
20:30 Uhr: Spontandemonstration zieht über Eisenbahnstraße
Begleitet von buntem Pyro-Nebel und einigen Böllern hat sich nun eine Spontan-Demonstration auf den Weg über die Eisenbahnstraße gemacht. Es sind schätzungsweise 100 bis 200 Personen unterwegs.
21:00 Uhr: Erste Barrikaden und Polizei zieht auf
Die Demonstrierenden werfen Absperrungen und Mülltonnen auf die Straße – die ersten kleinen Barrikaden. Erste Feuer lodern auf. Die Polizei tritt auf den Plan.
21:30 Uhr: Feuerwehr löscht die Brände
Die Kameraden der Feuerwehr müssen nun auch ran. So löschen sie beispielsweise hier an der Ecke zur Elisabethstraße ein Barrikaden-Feuer.
21:55 Uhr: Die Lage entspannt sich
Nachdem das Feuerchen auf der Straßenkreuzung gelöscht ist und der Unrat durch die Einsatzkräfte beseitigt wurde, ebbt das Adrenalin offensichtlich etwas ab. Noch immer stehen viele Menschen um den bisherigen Brandherd. Wie unsere Reporter vor Ort einschätzen, ist die Stimmung recht entspannt und partymäßig. Einige Sprechchöre hallen durch die Nacht; von polizeikritischen über palästinafreundliche bis hin zu antifabekennenden ist alles dabei. Die Polizei versucht unterdessen, die Straße freizuhalten.
22:10 Uhr: Entspannung nur von kurzer Dauer, es wird kritisch
Demonstrierende haben die Kreuzung Eisenbahnstraße/ Elisabethstraße blockiert. Die Polizei fordert die Menschen zum Verlassen der Fahrbahn auf und droht Identifikationsmaßnahmen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr an. Die Situation wirkt heikel.
22:30 Uhr: Anspannung liegt in der Luft
Die Lage vor Ort wird gerade als sehr angespannt wahrgenommen. Die Szenerie ist in das Blaulicht der Polizeifahrzeuge getaucht. Es stellt sich die bange Frage: Kippt die Situation? Die Polizei hat eine junge Person herausgegriffen und in ein Fahrzeug verfrachtet.
22:45 Uhr: Straße wieder von Menschen blockiert
Die Eisenbahnstraße ist nun wieder durch zahlreiche Menschen blockiert worden, so die neueste Meldung aus dem Osten. Die Polizei fordert per Durchsage erneut zum Verlassen der Fahrbahn auf. Ein Böller fliegt in Richtung der Beamten und detoniert mit einem lauten Knall. Es deutet sich ein Katz-und-Maus-Spiel an.
Spontan-Demonstration. „Massencornern“ in der Eisenbahnstraße, im Rahmen der „Autonomen Besetzungstage Leipzig“. Foto: Lucas Böhme
23:15 Uhr: Konfrontation mit Autofahrer
Nach Angaben aus der veranstaltenden Szene sei nicht nur die eine Person in eine Polizeimaßnahme genommen worden, sondern mindestens vier. Es wird zu weiterem Support auf der „Eisi” aufgerufen. Zudem war es zu einer kurzen Auseinandersetzung mit einem Autofahrer gekommen, wegen der blockierten Straße. Die Polizei, so unser Reporter, hat sich unterdessen etwas von der Bühne zurückgezogen. Das hat auch die Stimmung wieder etwas in Richtung Party wechseln lassen.
00:25 Uhr: Der Abend klingt aus
Die Aufregungen des Abends haben sich nun tatsächlich gelegt. Die Polizei hat sich zurückgezogen, die Leute auf der „Eisi” sind im Aftershowparty-Modus. Ein guter Zeitpunkt, um den LZ-Ticker zu schließen. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern eine gute Nacht und ein erfreuliches Wochenende.