Jede Menge Backsteine haben einst ihren Weg nach Feuerbach gefunden, denn als sich viele Betriebe während der Industrialisierung in der Stadt Feuerbach niederließen, mussten auch die Arbeiter irgendwo wohnen. Die zahlreichen Backsteinhäuser aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im eingemeindeten Stadtteil im Norden Stuttgarts zeugen davon. Längst raucht und rußt es nicht mehr so stark dort, in manche der Industrie-Backsteinbauten sind Künstler eingezogen.
Und doch ist jüngst wieder eine große Ladung Backsteine nach Feuerbach transportiert worden: ein neues Backsteinhaus für werktätige Leute ist entstanden. Und was für eines. Die Bilder des kühn kantigen Gebäudes lassen an eine Villa für eine Familie denken, doch an der Klingel finden sich sieben Knöpfe – und es ist ein Mietshaus.
Vollklinker im Mietshaus in Stuttgart
Während Bauträgerfirmen für gewöhnlich möglichst günstig die maximale Fläche bebauen, um den Gewinn zu maximieren, hat sich diese private Bauherrenfamilie anders entschieden. Beim Besuch vor Ort verrät der Bauherr zwar, dass er Architektur sehr schätzt, insbesondere die Staatsgalerie, er bleibt ansonsten gern im Hintergrund. Wer langfristig und damit nachhaltig plane, sagt er über sein Bauvorhaben, sei gut beraten, auf Qualität zu setzen.
Denn auch wenn nicht nur in der Hochphase der Industrialisierung, sondern auch in diesen Tagen immer noch die Wohnungsnot groß ist, könnte sich dies irgendwann einmal ändern. Dann ist eine gut und hochwertige gestaltete Wohnung in einem architektonisch ambitioniert entworfenen Wohnhaus vermutlich weiterhin besser zu vermieten.
Erinnerung an die Backsteinbauten in Feuerbach
Für die Fassade wurden daher nicht günstigere und nur wenige Millimeter dicke Backsteinriemchen verwendet, sondern natürlich gebrannter, dunkelroter Vollklinker. „Das Material haben wir in Anlehnung an die alten Backsteinbauten in Feuerbach gewählt“, sagt der Architekt Henning Ehrhardt vom bekannten Stuttgarter Architekturbüro Bottega + Ehrhardt Architekten, der zur Hausbesichtigung hinzugekommen ist.
Giorgio Bottega und Henning Ehrhardt, die auch innenarchitektonisch erfolgreich unterwegs sind, haben beispielsweise mit der Gestaltung der coolen Stuttgarter Bar „Suite 212“ dazu beigetragen, dass die damals verwahrloste Theodor-Heuss-Straße auflebte. Nun also werten sie die kleine Straße in Feuerbach auf mit dem Haus für sieben Parteien. Es ist auf einem brachliegenden Grundstück entstanden, ein lange nicht bewohntes Haus und ein Werkstattgebäude hatte die Straße in der ruhigen Wohngegend nicht unbedingt geschmückt.
Nachhaltigkeit wichtig beim Bau des Stuttgarter Mietshauses
Der Architekt sagt bei dem Rundgang: „Für uns ist diese innerstädtische Nachverdichtung eine tolle Bauaufgabe gewesen, auch weil die Bauherrenfamilie so viel Wert auf die gute Gestaltung gelegt hat.“ Damit die Materialien im Fall eines Rückbaus (was hoffentlich nicht passieren wird) sortenrein entsorgt werden können, wurde auf ein Wärmedämmverbundsystem, das auf dem Sondermüll landen würde, verzichtet.
Mehrfamilienhaus mit klarer Kante und verspielten Fassaden-Details in Stuttgart. Foto: David Franck
Das Haus steht energetisch gut da. „Wir haben einen KfW 55 Wert erzielt, also fast Passivhausstandard, obwohl das, als wir geplant hatten, noch keine Vorschrift war“, sagt der Bauherr. Und der Architekt ergänzt: „Die Haustechnik basiert auf einem Hybridsystem, bestehend aus einer Luft-Wasser-Wärmepumpe und einer Gasbrennwerttherme. Fußbodenheizungen und dezentrale Warmwasserbereitungen sowie kontrollierte Wohnraumbelüftungen mit Wärmetauscher in den Wohnungen sorgen für eine hohe Energieeffizienz.“
Gut zweijährige Bauzeit
Zur Nachhaltigkeit zählen auch kurze Wege bei der gut zweijährigen Bauzeit. Wo immermöglich wurde Material aus der Region verwendet, wurden hiesige Handwerker engagiert, nur die Fassade haben Experten aus der Nähe von Erfurt verklinkert. Damit eine natürlich wirkende Lebendigkeit entsteht wurden die Steine im sogenannten Wilden Verband gemauert. Das hat sich gelohnt.
Anders als die Gründerzeitbacksteinbauten mit Verzierungen wirkt das heutige Haus kantig geradlinig, durchaus detailverliebt ist aber ebenfalls diese Fassade, an der auch die Passanten Freude haben können.
Klare Linien, interessante Fassade
„Die Sockelfassade mit den zurückspringenden halben Steinen im wilden Mauerwerksverband folgt keiner exakten Planung, sondern entsteht nach dem Zufallsprinzip der Maurer“, sagt der Architekt. Sie geben der Wand eine interessante Anmutung und Struktur. Und so nimmt sich die Fassade etwas zurück und passt gut zu dem sich anschließenden Marokkanischen Verband. „Der marokkanische Mauerwerksverband vor Fenstern und als Sichtschutz auf den Balkonen greift das Motiv der perforierten Wand am Gebäude wieder auf.“
Schnörkellos wirkt das Haus dank seiner Dachkonstruktion. „Wir haben eine umlaufende, innen liegende Dachrinne gewählt“, sagt Henning Ehrhardt, „das ermöglicht einen klaren, horizontalen Attikaabschluss des Klinkerbaukörpers.“ Keine Gaube steht ab, keine Rinne, nichts lenkt ab von der Klinkerwand an der Straßenseite. Sie wirkt so fast schon wie ein für sich stehendes Kunstwerk. Gut machen sich dazu die dezenten anthrazitfarbenen Fenster und Balkongeländer sowie das Walmdach, das mit grauen Stehfalzblechen gedeckt ist.
Bienenfreundliche Stauden im Garten des Hauses
An die frühere Mischbebauung im Viertel erinnert die alte Backsteinmauer, die man passiert, wenn man am Haus entlang an den mit Cortenstahl eingefassten Beeten voller bienenfreundlicher Stauden eine kleine Treppe hinaufgeht und im Garten mit zwei Apfelbäumen steht.
Von der Rückseite aus gesehen, ändert sich das Erscheinungsbild des Gebäudes, es wirkt wie ein kleines Haus mit Holzterrasse und Garten. Tatsächlich blicken die Bewohner auf Blumen und Büsche an der Grundstücksgrenze. Der restliche seitliche Teil des Gartens, in dem auch die Wärmepumpe Platz findet, kann von allen Bewohnern benutzt werden.
Die noch etwas kahle Betonmauer zum Nachbarhaus hin, auf die Bewohner im Erdgeschoss von ihrer Holzdielenterrasse aus blicken, wartet noch auf grüne Belebung, bis die Pflanzen sich emporranken. Im Garten sorgen im Boden eingelassene Leuchten für Lichtakzente. Schönerweise ist das benachbarte Gebäude auf dem Flachdach begrünt, darüber freuen sich die Bewohner in den beiden oberen Geschossen, wo sich im ersten Stockwerk drei Wohnungen und darüber noch zwei Dachwohnungen mit eingeschnittenen Loggien finden.
Helle Farben im Haus in Stuttgart-Feuerbach
Der rötliche Klinker außen korrespondiert apart mit dem hellen barrierefreien Treppenhaus. Ein etwas zurückgesetzter Eingang führt ins Haus mit dem sandfarbenen Terrazzofeinsteinzeug auf dem Boden, den in die Decken integrierten Lichtfugen, dem weißen Stahlbandgeländer mit Eichenholzhandlauf. Auch das Fensterband im Treppenhaus sorgt für freundliche Helligkeit.
Fußbodenheizung, Eichenparkett, helle Feinsteinzeugfliesen in den weißen Einbauküchen mit Insel und Bäder mit hellen Fliesen und Walk-in-Dusche sowie unterschiedliche Raumhöhen und bodentiefe Fenster finden sich in den Wohnungen, ein Standard, den sich sonst höchstens Eigentümer leisten. Dass derlei hochwertige Wohnungen nicht für Preise unterhalb des Mietspiegels zu mieten ist, versteht sich, doch ebenso wie im 19. Jahrhundert suchen auch heute Menschen mit unterschiedlichen Einkommen Wohnungen zur Miete.
Ein inspirierendes beispielhaftes Projekt ist der Bauherrenfamilie und dem Architekturbüro gelungen, das mit Zwei- bis Vierzimmerwohnungen für Wohnraum sorgt und zugleich durch die gute Gestaltung die nächste Umgebung aufwertet. Ein Backsteinhaus, das sicher ebenso langlebig ist wie manche der inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Backsteinhäuschchen der Zeit um 1900.