1. Startseite
  2. Lokales
  3. Landkreis Rotenburg
  4. Rotenburg (Wümme)

DruckenTeilen

Autor Brian Frank aus Fintel veröffentlicht seinen ersten Horrorroman. Im Interview zum Wochenende spricht er über seine Liebe zum Horrorgenre, Einflüsse seiner persönlichen Biografie auf das Buch und über kommende Projekte.

Fintel – Mit seinen beiden Jugendromanen hatte der gebürtige Finteler Brian Frank, damals noch als Moira Frank, literarisch auf sich aufmerksam gemacht. Nun hat der ehemalige Eichenschüler und Walter-Serner-Preisträger sein drittes Werk herausgebracht: einen Horrorroman, der im fiktiven „Wintloh“ angesiedelt ist, das an Fintel und Lauenbrück erinnert.

Das Grauen, dem sich drei Jugendfreunde dort stellen, lauert im fiktiven „Spaßpark“, einem ehemaligen Tierpark. Im Interview erzählt der 32-jährige Autor, warum der Roman erst jetzt erscheint und was das semi-fiktive „Wintloh“ mit der eigenen Jugend zu tun hat.

Herr Frank, nach und „Sturmflimmern“ 2016 und „Nachtschwärmer“ 2019, ausgezeichnet mit dem Saarländischen Kinder- und Jugendbuchpreis, haben Sie sich mit der Veröffentlichung Ihres nächsten Romans Zeit gelassen …  

Angefangen habe ich 2019, beendet habe ich Spaßpark 2024 – wobei ich nicht fünf Jahre ununterbrochen daran geschrieben habe, sondern auch an anderen Projekten. Es war eine schwierige Zeit: meine Mutter ist 2020 gestorben, und der Roman ist mir in seiner Komplexität über den Kopf gewachsen. Ich musste ständig auf den Zeitstrahl schauen, den ich angelegt hatte, um den Überblick über die drei unterschiedlichen Perspektiven und die drei verschlungenen Zeitebenen zu behalten.

Es ist Ihr erstes Buch nicht für Jugendliche, sondern Erwachsene, und erstmals sind Sie im Genre des Horrorromans unterwegs …

Ich wusste immer, dass ich auch für Erwachsene schreiben will, und schon meine beiden Jugendbücher waren einigen Lesern zu brutal, sogar Nachtschwärmer, ein eher zarter Roman – da war das Horrorgenre eine Befreiung. Ich war schon immer Horrorfan, habe früh Stephen King gelesen, und ich liebe emotionale Extreme und schreibe gern über Gewalt in allen Formen. Das war für mich immer ein Thema. Als Kind hatte ich den Ruf, zu aggressiv für ein Mädchen zu sein, eben nicht „klein, brav, niedlich“. Literarische Gewalt war und ist für mich ein Ventil, eine Katharsis: Du kommst auf der anderen Seite heil raus und hast Emotionen durchlebt, ohne körperlich zu leiden.

Sie transportieren außer viel Gänsehaut ja auch einige ernste Themen. Was ist das übergeordnete Thema des Romans?

Verlust, auf viele Arten und Weisen – der Verlust der behüteten Kindheit, der Sicherheit, der Eltern. Und Freundschaft, auch eins meiner zentralen Themen in allen Büchern.

Nicht Anderssein und Identität? Zwei der drei Protagonisten haben einen Migrationshintergrund und leben zwischen verschiedenen kulturellen Welten, der dritte findet im Verlauf des Romans zu seiner geschlechtlichen Identität – ein Thema mit Parallelen zu Ihrer eigenen Entwicklung …

Ja, Identität ist auch ein großes Thema. Ich habe mich 2023 mit 30 als trans geoutet und meine Transition begonnen. Das war eine unglaubliche Befreiung und hatte sich schon lange angebahnt. Mir ging es echt schlecht, ich hatte mich komplett von mir entfremdet. Sabrina war mir in Spaßpark übrigens voraus: Sie weiß schon sehr früh, dass sie trans ist, und findet Worte für sich. Ich wünschte, ich hätte sie auch gehabt.

Also haben Sie literarisch quasi Ihre eigene Entwicklung vorweggenommen?

Wir haben uns sozusagen aneinander herangeschrieben. Ich konnte dann 2024 das fertige Manuskript noch mal mit neuem Blick überarbeiten, was Sabrinas Erfahrungen als trans Frau angeht, weil ich inzwischen als trans Mann auch einige gemacht hatte – überwiegend gute, aber auch sehr frustrierende. Für meine eigene Transition musste ich etwa für die Krankenkasse einen detaillierten Lebenslauf abgeben, um meinen Leidensdruck zu schildern – ziemlich entwürdigend.

Im Roman schildern Sie diesen Leidensdruck berührend, die Blicke beim Abiball, das Getuschel im Dorf, das Problem, welche Umkleide beim Sportunterricht nehmen – sind da auch eigene Erfahrungen eingeflossen?  

Ja, gerade aus Umkleidesituationen kannte ich schon als maskuline Frau Misstrauen: „Jetzt werde ich von der Lesbe angestarrt!“ Vor der Transition war ich Jahre im Niemandsland, weil ich auf den ersten Blick als Junge oder Mann gelesen wurde und erst auf den zweiten als Frau. Die geschlechtliche Uneindeutigkeit war ein Riesenproblem, zum Beispiel beim Schwimmengehen oder auf öffentlichen Klos – ich wurde oft rausgeschmissen, egal ob bei den Frauen oder Männern. Es ist verblüffend, wie viele Leute nicht damit umgehen können, wenn sie einen nicht eindeutig einordnen können.    

 In einer der stärksten Szenen des Romans malt die Mutter, die die neue geschlechtliche Identität ihres Kindes nicht akzeptieren kann, ein Bild von dem jungen Mann, der ihre Tochter hätte werden können. Dieses Gemälde wird lebendig und versucht, Sabrina zu verschlucken. Haben Sie mit dieser Metapher auch eigene Dämonen exorziert?

Wenn, dann ist das unterbewusst passiert – sich mit Gewalt vom Bild loszulösen, das andere von einem haben und das sie einem um jeden Preis überstülpen wollen. Ich hatte die Szene lange im Kopf und höre von vielen Lesenden, das sie eine der stärksten und unheimlichsten im Buch ist, was mich sehr freut. Das Horrorgenre bietet hier ganz tolle Möglichkeiten für Metaphern und mit dem Übernatürlichen ein unvergleichliches Element der Unberechenbarkeit und Überspitzbarkeit.

Sie siedeln Ihre Geschichte im semi-fiktiven „Wintloh“ an, das nicht nur vom Ortsnamen her starke Ähnlichkeit mit Fintel hat, wo Sie aufgewachsen sind. Ist der Roman eine Liebeserklärung an den Ort Ihrer Jugend oder eine Abrechnung mit ihm, birgt er doch das Grauen?

Beides. In allen guten Liebeserklärungen schwingt auch das andere Element mit, sonst wären sie nicht ehrlich.

Alle anderen Orte wie Rotenburg oder Scheeßel kommen aber mit Echtnamen vor …

Ich musste irgendwo eine Grenze ziehen und dachte, der Rest darf so bleiben. „Wintloh“ ist eine wilde Mischung aus Fintel und Lauenbrück geworden. Mein nächstes Jugendbuch spielt vermutlich in Schneverdingen.

Das Grauen lauert ganz konkret im „Spaßpark“, wie auch der Titel des Buches heißt. Der erinnert mit seinen Gehegen mit Auerochsen und Sikawild und dem eisernen Drehkreuz verdächtig an den Landpark Lauenbrück. Waren Sie als Kind oft dort?

Ich habe den Landpark geliebt! Ich habe da einmal den Vogelscheuchenwettbewerb gewonnen und war begeistert von den Ritterspielen. Der ironische „Spaßpark“ mit Achterbahn und Teppichrutsche ist natürlich fiktiv – ich weiß auch nicht, was die Betreiber des Landparks Lauenbrück von meinem Buch halten würden (lacht). Die Inspiration zum Maskottchen, dem Auerochsen „Aui“, der im Roman ein Eigenleben entwickelt, ist aber an das Bären-Maskottchen in einem Park bei Koblenz angelehnt, der Heimat meiner Frau. Ich bediene mich also überall ein bisschen.

Ihre ersten beiden Romane sind beim cbj Kinderbücher Verlag erschienen, Teil der renommierten Penguin-Random-House-Verlagsgruppe, „Spaßpark“ ist im Eigenverlag erschienen. Warum?

Die Mischung aus Horrorroman mit queeren Themen und Coming of Age – das konnte meine Agentur in Berlin leider keinem klassischen Verlag vermitteln, das war zu sehr Genremix. Ich habe das Manuskript lange liegen lassen und dann im Rahmen von Crowdfunding selbst veröffentlicht. 

… und Sie hatten ein Stipendium?

Ja, vom Land Niedersachsen. Und zwei Wochen „Writer-in-Residence“ in einem kleinen Künstlerhaus in Worpswede.

Ist queere Literatur generell schlechter auf dem Literaturmarkt zu platzieren?

Eine Zeitlang war sie sogar sehr gut verkäuflich. Das war so um 2019. Jetzt wird es leider zunehmend wieder zur Nische, die Zeiten werden konservativer. Wenn überhaupt queer, dann setzen Verlage auf die Übersetzung von Titeln, die sich in den USA schon bewährt haben. Aber trotzdem etablieren sich auch tolle deutsche Bücher, und das Selfpublishing macht die Szene auch deutlich bunter und mutiger.

Ist es nicht schade, dass in der Literaturszene so in Schubladen gedacht wird?

Label wie „queere Literatur“ sind natürlich nützlich, weil man so findet, was man lesen möchte – aber sie können auch unnötig segregieren und abschrecken. Ich will auch nicht in die Schublade „trans Autor“ gesteckt werden – aber ich schreibe nun mal über meine Welt, wie ich sie erlebe. Es ist also immer ein Balanceakt. „Spaßpark“ ist definitiv für alle Horrorfans ein Lesevergnügen.

Was dürfen Ihre Lesenden als Nächstes von Ihnen erwarten?

Aktuell arbeite ich an einem Fantasyroman, der ans alte Ägypten angelehnt ist. Danach kommt ein Jugendbuch über die Kindheit auf dem Land, eine Liebeserklärung an die 00er-Jahre. Gerade fertig geschrieben habe ich ein Familiendrama und einen Survival-Thriller über einen Plünderer im fiktiven postapokalyptischen Hamburg. Wann das nächste Buch erscheint – und welches –, ist noch nicht ganz klar, aber es kommt!

Kann man Sie mit einer „Spaßpark“-Lesung bald auch live in unseren Gefilden erleben, vielleicht im Landpark?

Das wäre natürlich mal eine passende Location (lacht)! Derzeit sind zwei Lesungen in Hamburg geplant: Am 11. Oktober in der „MOTTE“ in Altona und am 29. Oktober im Büchercafé „Kapitel Drei“.

Der Horrorroman des Wahl-Hamburgers Brian Frank ist in seiner Heimat Fintel verortet.Der Horrorroman des Wahl-Hamburgers Brian Frank ist in seiner Heimat Fintel verortet. ©  Alexander FrankDer ehemalige Eichenschüler hat jetzt sein drittes Buch veröffentlicht.Der ehemalige Eichenschüler hat jetzt sein drittes Buch veröffentlicht. © Mareike Franke