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Das Ensemble in einer schwarzweißen, gezeichneten Kulisse.Der Gangster Arturo Ui im rosafarbenen Mohair und in windiger Gesellschaft. © Thomas Aurin

„Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ von Bertolt Brecht als Tüftelarbeit mit vergnügtem Spiel und strenger Belehrung am Schauspiel Frankfurt.

Bertolt Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ ist mit ein paar Vorwürfen behaftet. Es ist Teilen der Kritik und des Publikums seit der postumen Uraufführung Ende der 50er Jahre mulmig dabei, dass das (1941 geschriebene, mehrfach bearbeitete) Stück Hitlers Aufstieg zwar effektvoll als Chicagoer Gangsterstory zeichnete, aber Zentrales wegblendete, vor allem die Judenverfolgung.

Anderen war es unangenehm, dass der Dämon Hitler hier zum Ganoven „verkleinert“ wurde, der mit seiner mafiösen Bande und der Unterstützung des in jeder Hinsicht überforderten alten Dogsborough (Hindenburg) lediglich den Blumenkohl-Handel in Chicago (Deutschland) und Cicero (Österreich) übernimmt.

Dabei ist es das, was weiterhin am stärksten zündet: Das simpel Gestrickte, die unverhohlene Gewaltbereitschaft, mit der Arturo Ui seine Mafiainteressen durchboxt, durchboxen lässt. Da ist gar keine Idee und sei sie noch so übel (noch so rassistisch), da ist ausschließlich Verbrechen. Gerade die Deutschen, die lieber auf ein Genie des Bösen reingefallen sein wollten (überhaupt wollten sie gerne reingefallen sein und selbst wenig, nichts dazu beigetragen haben), reagierten nervös. Sie reagierten aber auch – das ist der „Dreigroschenopern“-Effekt – unterhalten. Darf ein Stück über Hitler zum Lachen sein, schon alleine, weil es die ganze Zeit um Blumenkohl geht?

Natürlich ist das ein maximaler V-Effekt, wie dieses Werk auch insgesamt ein Schulbeispiel für episches Theater ist. Am Schauspiel Frankfurt entwickeln der Regisseur Christian Weise, die malende Bühnenbildnerin Julia Oschatz und Josa Marx für die genialischen Kostüme eine eigene Definition davon: kesse Verfremdung, opulente Unterhaltung und ein böser Schluss führen zu einem Theaterabend, den man selbst gesehen haben muss.

Das ist ja alles völlig flach und völlig echt!

Das funktioniert nämlich so: Vorne auf der Bühne des Schauspielhauses gibt es eine einfache Wand aus hellem Holz, die vorwiegend als Projektionsfläche dient. Dahinter (nachher auch direkt im Bild) befindet sich eine schwarzweiße Filmkulissenstadt. Ein Live-Video-Quartett filmt hier das Ensemble, die Bilder auf der Holzwand wirken wie aus einem modernen Schwarzweiß-Comic, einer durchgetüftelten Graphic Novel mit kuriosen 3D-Effekten. Jens Dohle steht davor in einem Ein-Mann-Orchestergraben und bringt sein Schlagzeug zum donnernden wie auch schillernden Einsatz.

Erst nach und nach versteht man womöglich, dass die Bebilderung komplett echt ist, also „echt“, keine Computerspielerei, sondern reinstes Theater. Ein Theaterfilm vor allem, der aber vor unserer Nase entsteht. Das bietet unendliche Spielmöglichkeiten. Mal gleitet einer am Tresen ab, der bloß gemalt ist. Mal bekommt Ui einen Wutanfall, weil einer die optische Täuschung versaut. Alles ist total flach. Alles ist total perfektionistisch, Oschatz hat eine Wundermaschine gebaut. Nicht umsonst gibt es in der Pause die Möglichkeit für eine Bühnentour (die Einlass-Chips dafür werden beim Einlass nach Zufallsprinzip verteilt, muss man Glück haben, hatte man natürlich nicht).

Marx’ Kostüme und Perücken geben wenige Farbtupfer ins Schwarzweiß und greifen das Spiel mit den Dimensionalitäten auf. Die beiden dubiosen Geschäftsleute Flake und Mulberry etwa sind hier Ratten – Christina Geiße und Mitja Over tragen ihre kleinen Körper vor der Brust, dazu die eigenen Hände und oben ihre eigenen Köpfe, nagetierhaft – wie so eine Verzerrungs-App für lustige Fotos, aber eben real.

Nicht nur der V-Effekt steht dabei in voller postdramatischer und doch lukullisch theatralischer Blüte. Auch die US-Gangster-Handlung ist ganz bei sich selbst. Und schließlich zeigt sich schon im Aufwand „der große Stil“, den Brecht sich wünschte, auch wenn er dabei an etwas anderes dachte. Etwas Klassischeres, Shakespearischer, zumal das Verbrechen in Jamben spricht. Der aufsteigende Arturo Ui – aufhaltsam, aber keiner hält ihn auf – lässt sich von einem abgetakelten Mimen coachen: Uwe Zerwer ist der müde Alte im elisabethanischen Wams, der Ui einige seiner gruseligen Gesten beibringt. Oder ihn zumindest nicht daran hindert, sich für jeden Menschen mit klarem Verstand lächerlich zu machen.

Zum Ausstattungsfest, das der Frankfurter „Arturo Ui“ bietet, kommt eine darstellerische Lust, auf die bei hohem Schauwert im Theater gelegentlich verzichtet wird. Hier nicht. Dem großen Ensemble wird einiges abverlangt, mancher und manche verschwindet hinter der Maskerade. Es ist aber auch ein großes Spielen und Sich-Gehenlassen. Annie Nowak als Muskelpaket-Punk Giri (Göring), Andreas Vögler als schlaffer, fieser, eitler Givola (Goebbels), Sebastian Kuschmann als freibeuterischer Roma (Ernst Röhm), Michael Schütz als bucklichter Dogsborough (Hindenburg), Miguel Klein Medina als greller Ansager (nachher auch in der Tagesschau) oder selbst Heidi Ecks beim Miniauftritt als Betty Dullfeet (die Dollfuß-Frau und später -Witwe) sind ausgetüftelte Figuren. Keinen hier kann man als Clown abtun, und das ist auch nicht einfach Robert-Wilson-Ästhetik. Es gibt eine finstere Grundierung, Unruhe und Angst liegen in der Luft.

Das liegt an Ui, dem Strippenzieher – wenn er will, dass die Wand hochgezogen wird, wird sie hochgezogen, unverzüglich. Christoph Bornmüller spielt ihn als Wicht und unheimlich auf Draht, aber eher verwöhnt als hysterisch. Josa Marx hat einen Prinz-Eisenherz-Schnitt, einen rosa Mohair-Pullover und rote Bäckchen für ihn. Das Hitlerbärtchen klebt er sich selbst an. Er sieht aus wie ein genderfluider Märchenprinz aus einem anderen Film, und sobald er markig werden will – und das will er, will er, will er –, ist er peinlich. Aber er ist auch sehr fokussiert. Wenn Blicke töten könnten, wäre es um jene Person geschehen, deren Handy klingelte, während Ui gerade sprach.

Ist das zu unpolitisch? Brecht, das muss man dazusagen, wollte von seinem „Arturo Ui“ selbst mehr als lediglich eine recht einfach zu entschlüsselnde Schlüsselgeschichte. Auch hat Christian Weise den alten Theaterweggefährten Soeren Voima um einen neuen Epilog gebeten (Soeren Voima ist der Autorenname des Regisseurs Christian Tschirner, in Frankfurt war man im Theater am Turm um die Jahrtausendwende gemeinsam aktiv).

Der Schoß ist fruchtbar noch, auch hier in Frankfurt, auch in den von Arturo Ui selbst gesprochenen Schlussworten. Diese sind länglich, machen aber einen Punkt: Freiheit, Wachstum und Sicherheit sind der gemeinsame Nenner, mit dem Ui das Publikum lockt und in Verlegenheit bringt. Da gibt es nicht nur Schnittmengen zur Gegenwart, sondern auch zu bürgerlichen Wahlentscheidungen.

Schauspielhaus Frankfurt: 22., 24., 26. Oktober, 1., 14., 23., 24. November. www.schauspielfrankfurt.de