Strohhalme aus Papier stecken in einem Glas mit Limonade.

Stand: 20.10.2025 08:35 Uhr

Am Oberlandesgericht Frankfurt beginnt Ende des Jahres ein Spionageprozess gegen drei Männer. Sie trafen sich im Juni 2024 in einem Café und sollen im Auftrag Russlands einen Ukrainer ins Visier genommen haben.


Holger Schmidt


Michael Götschenberg

„So was hätte ich jetzt auch gerne!“, kommentiert Arman das Foto, das er eben von Robert geschickt bekommen hat: Eine kleine Cola auf einem Bistro-Tisch in der Innenstadt von Frankfurt am Main. Es ist der 19. Juni 2024 um 14:31 Uhr. Eigentlich könnte Arman unproblematisch selbst eine Cola bekommen, denn Robert ist nur wenige Meter entfernt.

Arman steht zwischen zwei Cafés. Auf der einen Seite eine Sportbar mit Dachterrasse und auf der anderen die „Bar Celona“, deren Wortspiel sich den Gästen vermutlich nicht auf Anhieb erschließt. Denn Arman, Robert und ihr ebenfalls anwesender Bekannter Vardges stammen aus Armenien und haben unterschiedliche Staatsangehörigkeiten: Robert ist Ukrainer, Vardges Armenier und Arman Russe. Davon geht jedenfalls Generalbundesanwalt Jens Rommel aus.

Für ihn sind die Cola-interessierten Café-Besucher in diesem Augenblick seine wohl größte Sorge. Seine Ermittler sind überzeugt: Die drei sind Spione. Oder sogar Mordgehilfen.

Wahrscheinlich Hunderte Menschen gehen an diesem Juni-Nachmittag zwischen den beiden Cafés durch die Straße Holzgraben. Die drei Männer fallen nicht besonders auf und offenbar bemerkt auch niemand, dass sich Spezialkräfte der hessischen Polizei ebenfalls unter die Touristen und Passanten gemischt haben. Die drei Verdächtigen und die vielen Polizisten sind hoch nervös.

Warten auf „Mikael“

Robert, Vardges und Arman hoffen, dass sich ein vierter Mann zu ihnen gesellt. Mit ihm sind sie seit 14 Uhr verabredet, und sie werden eine Stunde auf ihn warten, bis sie gegen 15 Uhr aufgeben und nach Hause fahren wollen. Das wird der Moment sein, an dem die Spezialkräfte der Polizei sie mitten in der Frankfurter Innenstadt im laufenden Verkehr stoppen und festnehmen.

Die Beamten wissen die ganze Zeit über, dass der vierte Mann, „Mikael“ nicht kommen wird. Er hat der Polizei von der Café-Einladung berichtet. Weil er befürchtete, ermordet zu werden.

Es ist ein verworrener Fall, mit dem sich der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt in den kommenden Monaten befassen muss. Es geht um Spionage, ein mögliches Mordkomplott und ein potenzielles Opfer Mikael, gegen das der Generalbundesanwalt ebenfalls ermittelt, weil er als Soldat für die Ukraine gekämpft und dabei Kriegsverbrechen begangen haben soll.

Es ist eine Ermittlung, bei der es schwer ist, die verworrenen Zusammenhänge zu verstehen und zu entscheiden, wo die Grenzen zwischen Strafbarkeit und Patriotismus, Soldatentum und Kriegsverbrechen, Spionage und Café-Besuch verlaufen.

Rache am mutmaßlichen Kriegsverbrecher?

Laut Anklage hängen die Dinge so zusammen: Mikael hatte als Soldat in der Ukraine gegen die Russen gekämpft. Er soll auf einem Video zu sehen sein, in dem russische Soldaten hingerichtet werden, und es besteht der Verdacht, dass das ein Kriegsverbrechen war. Dieses Video hatte in Russland für große mediale Empörung und Todesdrohungen gesorgt. Dann aber verbreitete sich die Nachricht, Mikael sei im Krieg gefallen.

Tatsächlich ist Mikael noch am Leben und hält sich in Deutschland versteckt. Davon erfuhr der Generalbundesanwalt, der ein Verfahren wegen des möglichen Kriegsverbrechens gegen ihn einleitete. Denn die Karlsruher Behörde verfolgt entlang des Weltrechtsprinzips nicht nur mögliche russische, sondern auch mögliche ukrainische Kriegsverbrechen.

Einige Wochen später meldete sich auf Mikaels Handy plötzlich ein „Jaroslav“ und teilte mit, dass er sein neuer Ansprechpartner beim ukrainischen Geheimdienst sei. Jaroslav wolle sich mit Mikael treffen, er habe Beobachtungsaufträge für ihn und bot ihm dafür auch eine großzügige Bezahlung an.

Doch als Mikael seinen eigentlichen Ansprechpartner beim ukrainischen Geheimdienst nach Jaroslav fragte, wusste man von nichts. Daraufhin wandte sich Mikael an die hessische Polizei und war „in größter Sorge“ um sein Leben, wie es ein Ermittler formuliert.

Showdown im Café

In den Wochen darauf meldete sich Jaroslav immer wieder bei Mikael und drängte auf ein persönliches Treffen. Am 19. Juni 2024 sollte es dann so weit sein. Treffpunkt 14 Uhr in der Bar Celona. In abwechselnder Besetzung warteten Arman, Robert und Vardges. Immer wieder kontaktierte Jaroslav, der wohl keiner dieser drei Männer ist und auch nicht vor Ort gewesen sein soll, Mikael und drängte, wann er denn kommen würde.

Mikael erfand immer neue Ausreden: einen Arzttermin, eine Verspätung seiner Frau, sogar eine Polizeikontrolle. Die Männer im Café daddelten auf ihren Handys, verschickten Cola-Fotos oder flirteten virtuell mit ihren Geliebten. Gegen 15 Uhr gaben sie auf – und sitzen nun seit ihrer Festnahme als mutmaßliche Spione in Untersuchungshaft.

Immerhin steht inzwischen fest, dass Mikael wahrscheinlich an diesem Tag nicht unmittelbar hätte ermordet werden sollen. Jedenfalls fand die Polizei weder Schusswaffen noch Gift bei den Männern. Lediglich ein inaktiver GPS-Tracker wurde gefunden – und eine Menge elektronische Spuren auf ihren Handys, darunter auch ein Foto von Mikael.

Vorwürfe schwer zu beweisen

So bleibt zunächst offen, wie es hätte weitergehen sollen. Experten von Polizei und Verfassungsschutz halten es für möglich oder sogar wahrscheinlich, dass es perspektivisch um eine Ermordung von Mikael hätte gehen sollen. Rache für die getöteten Soldaten wäre das mögliche Motiv und spektakuläre, angsteinflößende Aktionen die Handschrift der russischen Geheimdienste.

Doch vor Gericht in Frankfurt am Main wird das alles kaum zu beweisen sein. Hier bleibt der Vorwurf der geheimdienstlichen Agententätigkeit. Es drohen bis zu fünf Jahre Haft. Oder ist alles nur ein Missverständnis? Rechtsanwalt Daniel Beisel verteidigt Robert und sagt: „Mein Mandant ist nur zufällig und nicht wissentlich in die Situation geraten. Er war nur der Fahrer.“

Tötungen durch russische Geheimdienste

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Fälle, in denen russische Geheimdienste gezielte Tötungen in westlichen Ländern vorgenommen haben – offensichtlich aus Rache. In Berlin wurde im August 2019 am helllichten Tag im Kleinen Tiergarten der tschetschenische Georgier Selimchan Changoschwili von einem Killer des russischen Geheimdienstes FSB erschossen.

Der Täter wurde in Berlin gefasst, verurteilt und im vergangenen Jahr im Zuge eines großen Gefangenenaustauschs an Russland überstellt. Dass er am Flughafen persönlich vom russischen Präsident Wladimir Putin mit einer Umarmung in Empfang genommen wurde, sprach Bände.

Die versuchte Ermordung des ehemaligen russischen Geheimagenten Sergej Skripal im britischen Salisbury mit dem Nervengift Nowitschok ist ein weiteres Beispiel für eine gezielte Tötung durch russische Geheimdienste.