Spiegelmosaike, arabische Schriftkunst und koloniale Kontexte: Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zeigt mit der neu kuratierten Sammlung SWANA, wie sich Traditionen aus Südwestasien und Nordafrika zeitgenössisch erzählen lassen. Erste Eindrücke.
Auf dem Museumsboden ist ein Muster aus Licht zu sehen, so als schimmere die Sonne durch ein Blätterdach. In Wahrheit wird das Phänomen jedoch durch ein Kunstwerk an der Wand verursacht: Sechs geometrische Elemente, die mit einem Mosaik aus Spiegelglas verziert wurden, reflektieren die Raumbeleuchtung. Die iranische Künstlerin Monir Shahroudy Farmanfarmaian (1922 – 2019) erlernte das Kunsthandwerk der Spiegelarbeit von einem Meister. Die Technik wurde in der persischen Safawiden-Dynastie seit dem 16. Jahrhundert entwickelt, um Paläste zu schmücken.
Das Museum für Kunst und Gewerbe hat Farmanfarmaians Spiegelmosaik erworben und stellt es im Rahmen der neu ausgerichteten Sammlungspräsentation „Inspiration SWANA“ aus. „Der Ankauf zeigt, wo wir mit der Sammlung hinwollen: Traditionen sollen neu interpretiert werden“, sagt Jasmin Holtkötter, die mit Wibke Schrape, Leiterin der Sammlung Ostasien und SWANA, die Ausstellung kuratiert hat.
Holtkötters Kuratorenstelle wurde eigens für die neu aufgestellte Abteilung geschaffen. Von ihr kam auch der Impuls zur Umbenennung der insgesamt 1000 Objekte umfassenden „Sammlung islamische Kunst“ in „Sammlung SWANA“. Das Akronym meint die Region Südwestasien und Nordafrika, bezieht sich also nicht auf einen kulturell-religiösen, sondern auf einen geografischen Raum. Der Perspektivenwechsel weitet den Blick: Das Gebiet, aus der die rund 200 Ausstellungsstücke stammen, reicht von Spanien bis Indien.
Die Kuratorinnen haben in den bestehenden Schauräumen wenige, aber wesentliche Änderungen vorgenommen: Die Vitrinen sind lockerer bestückt, Assoziationsräume öffnen sich durch die Einbeziehung von Gegenwartskunst. Zudem wurde die Beschilderung erneuert und übermittelt nun neben den kunsthistorisch-wissenschaftlichen Fakten auch anekdotische Informationen sowie Kommentare der Künstler: „Wir wollen Vielstimmigkeit ins Museum bringen“, sagt Schrape. Hinweise auf die Provenienz machen darüber hinaus deutlich, dass der Aufbau der Sammlung im 19. Jahrhundert eng mit dem Kolonialismus in der betrachteten Region verbunden war.
Weil deren Herkunft nicht lückenlos rekonstruiert werden kann und sich koloniale Erwerbungskontexte nicht schließen lassen, sammelt das Museum heute keine historischen SWANA-Objekte mehr; stattdessen soll die Sammlung in die Gegenwart fortgeführt werden.
Wie das aussehen kann, verdeutlichen neu eingerichtete Ausstellungskapitel, in denen es unter anderem um die Themen Schrift und Geometrie geht. Hier zeigt etwa das Hamburger Modelabel Habibi eine interaktive Installation zum arabischen Alphabet, das die Veränderlichkeit der Buchstaben im Schriftbild erklärt. Als Beispiele für geometrische Verzierungen, die in der Region ein charakteristisches Gestaltungselement bilden, dienen spanische Fliesen aus der Zeit um 1550. An einer Mitmachstation können die Besucher aus rautenförmigen Magneten selbst beliebige Muster kreieren.
Da die Sammlung zu 70 Prozent aus Baukeramik besteht, prägen diese kostbaren Stücke die Schau weiterhin – wie etwa der Fliesenbogen aus der Zeit der Osmanen-Dynastie um 1570, der einst einen Sultanspalast geziert hat. Den prachtvollen, tiefgründigen Dekoren der historischen Keramik stehen Werke zeitgenössischer Designer gegenüber: Amir Mahdi Moslehi aus Teheran zum Beispiel entwarf die bildhafte, äußerst ästhetische Schrift Mirza.
Im nächsten Raum geht es um mündliche Traditionen und Dichtkunst, gezeigt werden reich illustrierte Manuskripte, in deren Gestaltung Wort und Bild miteinander verwoben sind. Der Gegenwartskünstler Homa Delvaray entwarf ein farbenfrohes Poster, das sich auf ein Gedicht des persischen Dichters Hafez bezieht: Die Buchstaben einer Gedichtzeile werden zum Bildmotiv, agieren dort wie lebendige Wesen.
Zu den eindrucksvollsten Exponaten zum Thema Glaube und Religiosität zählen die Fliesenfragmente vom Mausoleum des Buyan Quli Khan aus Buchara, Usbekistan. In der Schau korrespondieren die Fliesen von 1359 mit historischen Fotos und einem Modell des Mausoleums von 2007, das von dem Restaurator Wolfgang-Martin Hehr gefertigt wurde. Blaue Markierungen weisen auf die einstigen Positionen der Exponate im Innen- und Außenraum des Grabmals hin. „Wir haben versucht, die Texte mehr zu kontextualisieren, ohne ihnen die Schönheit zu nehmen“, so Schrape.
Dass kulturelles Erbe in Bewegung ist, zeigt die Ausstellung am Beispiel der kontinuierlichen Glasproduktion, die sich parallel zu kulturellen und dynastischen Veränderungen in der SWANA-Region entwickelt hat. Für den Verlust von Identität, Geschichte und Beständigkeit hingegen steht die Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan durch die Taliban 2001: „Die Zerstörung hat Schmerz und Leerstellen hinterlassen, die Omid Arabbay in seiner Arbeit zeigt“, sagt Holtkötter. Der Künstler fixierte den Moment der Vernichtung des Kulturerbes in einem Filmstill und schuf einen Block aus rotem Sandstein, der eine Lücke aufweist.
Gefäßkeramik aus zehn Jahrhunderten bildet den Abschluss des Rundganges. Die Kuratorinnen erzählen anhand repräsentativer Objekte in der halbrunden Vitrine eine Geschichte von Vielfalt und Wechselwirkungen. Eine 2020 entstandene Position von Ibrahim Said bezieht sich auf Siebverschlüsse von Wasserkrügen aus dem Ägypten des 10. Jahrhunderts, die mit filigranen, floralen Mustern geschmückt sind. Der Künstler vergrößerte die Muster, übertrug sie auf die Außenwand seiner Gefäße und verschaffte ihnen so Aufmerksamkeit.