Mike Garson spielte auf zehn Bowie-Studioalben das avantgardistische Klavier, so prachtvoll, dass Produzenten es für den fertigen Album-Mix lauter stellten als alles andere. Anlässlich der neuen Ära-Box „I Can’t Give Everything Away (2002-2016)“ und unserer Bowie-Titelgeschichte (ROLLING STONE 11/25) sprachen wir mit Garson, 80, über die gemeinsamen Jahre – und ob er wirklich Schuld daran ist, dass sein Freund nach 2004 nicht mehr auf Tournee ging.

Mr. Garson, unser Interview findet nur wenige hundert Meter neben der Max-Schmeling-Halle im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg statt. Dort gab David Bowie 2002 und 2003 Konzerte, und Sie waren Teil seiner Band. Am Abend des 2002er-Auftritts wurde auch der Deutsche Bundestag gewählt. Bowie erwähnte das auf der Bühne mit keinem Wort. Wussten Sie vom Wahlabend?

Ich denke nicht. Ob Bowie davon wusste? Nun, er ist ein Künstler. Und ein Künstler, der klug ist, hält sich aus der politischen Welt heraus. Weil es dort für ihn nichts zu gewinnen gibt. Es gibt einfach zu viel Radikalisierung und Polarisierung auf der Welt. Alle vertreten eine immer lauter werdende Meinung. Es ist ein verlorenes Spiel. Aber bitte, nennen Sie mich nicht Mr. Garson, sondern Mike. Bin ja kein Wall-Street-Broker.

Okay. Welchen Bowie-Song haben Sie eigentlich am liebsten gespielt?

Ich denke, es gibt drei. „Aladdin Sane” wäre die Nummer eins. „Diamond Dogs” wäre die Nummer zwei. Aber am meisten Spaß hatte ich mit „1. Outside”. Dem ganzen Album.

Warum?

Weil alles improvisiert wurde. Zumindest alles, was mich betrifft. Und dann haben er und Brian Eno das Album aufgeräumt, als ich gegangen bin.

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Das war 1995. Bowie sehnte sich in den 1990er-Jahren nach einem Comeback.

Was die Leute nicht wissen: Ein paar Jahre vor „1. Outside“ sagte Bowie zu mir, dass er die 1980er-Jahre nicht vollends schlecht für ihn fand. Aber er war nicht stolz auf seine damalige Leistung. Ich erinnerte ihn an „Loving the Alien“, „Absolute Beginners“ – große Songs. Aber er hatte das Gefühl, dass er nach „Let’s Dance“ aufgrund des Drucks der Plattenfirma ausgelaugt war. Dass er sich selbst verloren hatte. Also sagte er zu mir: „Ich werde zu mir selbst zurückfinden. Ich wähle die Menschen aus, die mich in den letzten 25 Jahren am meisten beeinflusst haben“.

Wen wählte er aus?

Mich, Brian Eno, Reeves Gabrels, Carlos Alomar, Sterling Campbell und Erdal Kızılçay. Wir bildeten den Kern. Und er sagte: „Wir gehen ins Studio in Montreux und improvisieren ein paar Wochen lang auf zwei Sony-Tonbandgeräten, mit 48 Spuren, und wir werden einfach spielen und dann aus dem Nichts etwas erschaffen. Und wenn ihr dann geht, werden Brian und ich daraus Songs für ein Album und einige Improvisationen zusammenstellen.“

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Letztlich würde „1. Outside“ ganze 19 Stücke enthalten.

Als „Leon-Sessions“ sind viele Arbeiten im Umlauf. Bootlegs, die vielleicht nicht hätten veröffentlicht werden dürfen, weil sie aus dem Studio gestohlen wurden. Das hat David ein wenig die Lebensfreude genommen. Es war nicht in Ordnung, das zu tun, wer auch immer es getan hat. Songs wie „Strangers When We Meet”, das wir schon für den Soundtrack „The Buddha of Suburbia” aufgenommen hatten, nahmen wir für „Outside” noch mal auf. Aber alles andere entstand einfach unglaublich spontan.

Wie sag das aus?

Brian legte kleine Kärtchen auf unseren Schreibtisch neben dem Klavier oder dem Bass oder dem Schlagzeug und sagte: „Stellt euch vor, ihr seid im Jahr 3000 in einem Raumschiff, bla, bla, und was würdet ihr erschaffen?“ Das waren nur kleine Spielereien, um uns aus unserer Komfortzone zu holen. Ich persönlich brauche so etwas nicht wirklich, denn ehrlich gesagt hatte ich noch nie eine Schreibblockade. Aber es war lustig anzusehen, und wir haben mitgespielt.

Auf der „Reality“-Tour von 2003 brachte Bowie Songs wie „The Motel“ in die Setlist zurück. Das muss Sie als Interpret glücklich gemacht haben. 

Ich hatte einen gewissen Einfluss auf die Setlist. Er saß mit mir zusammen und fragte: „Was hältst du davon? Und hiervon? Er traf die endgültige Entscheidung, aber er mochte mein Feedback und auch das von anderen. Wir hatten eine Verbindung. Vielleicht weil ich anderthalb Jahre älter war als er und er einen gewissen Respekt vor Älteren hatte.

Bowie hat Sie stets herausfordern wollen. Er schickte Sie, wie beim Glastonbury-Konzert, vor zehntausenden Zuschauern zu Konzertbeginn allein auf die Bühne, um „Life in Mars?“ anzustimmen.

Das hat er öfter gemacht, ja. Auch beim BBC-Konzert von 1999, das gefilmt wurde. Aus einer bestimmten Perspektive war ich das perfekte Versuchskaninchen. Er hatte seinen Spaß daran und konnte durch mich die Stimmung des Publikums einschätzen. Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass ich jedes Mal nervös war – obwohl ich schon Tausende von Konzerten gegeben habe, davon 400 allein mit David. Das heißt aber nicht, dass ich nicht spüre, dass auch er nervös war, bevor er auf die Bühne ging. Bei der Hammersmith-Show von 1973 …

… der legendäre Auftritt, als Bowie das Ende seiner Live-Aktivitäten verkündete …

… sagte er tatsächlich, als ich von der Bühne kam, dass er für mich nervöser war als für sich selbst. Das zeigt, was für ein Mensch er ist. Sehen Sie, die Leute kennen nur die Klatschgeschichten aus dieser Zeit. Aber das ist nur das Drumherum und das, was dieses Geschäft mit einem Menschen macht. Er hat mich respektiert. Ich saß am Nachmittag am Klavier, spielte ein bisschen herum und spielte einige seiner Songs, aber ich interpretierte sie neu. Und er sagte: „Oh, warum eröffnest du die Show nicht mit dem, was wir kennen?“ Das wurde zu meiner Improvisation „Eden Overture“.

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Wie oft denken Sie an Bowie?

Täglich. Ich vermisse ihn, und wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich jetzt mit ihm auf Tour sein wollen. Kurz nach seinem Geburtstag, am 9. und 10. Januar 2026, werde ich in Los Angeles Bowies Musik mit einigen meiner Lieblingssänger aufführen, wie Beck, Luke Spiller, Jake Wesley, Evan Rachel Wood. Sie kommen alle in einen kleinen Club, der Platz für 70 Leute bietet. Hoffentlich wird es gestreamt oder es wird eine TV-Sendung daraus.

Davor, am 8. November dieses Jahres, bin ich an einer Universität namens Soca University, die hier in Kalifornien liegt. Der Saal fasst 1.000 Leute, und ich mache eine Benefizveranstaltung für Krebskranke, aber nur mit Bowie-Musik, mit Leuten aus verschiedenen Generationen, wie meinem Enkel, der Schlagzeug spielt, er ist 19, und einigen seiner Freunde. Darunter Stings Sohn, Joe Sumner, und Veronica Swift.

Wie haben Sie von Bowies Tod im Jahr 2016 erfahren?

Genau wie alle anderen: in den Nachrichten. Es war schockierend, ja, wie für alle anderen auch. Aber natürlich riefen mich innerhalb weniger Minuten alle Zeitungen an, ebenso wie jene, die mit ihm in Verbindung standen, und ich war überall im Fernsehen und im Radio zu sehen. Das war nicht gerade das, was ich wollte. Aber sie wollten wissen, wie ich mich fühlte. Was sich eigentlich nicht von den Gefühlen anderer Fans unterschied, nämlich pure Trauer und Schock. David hatte mir nichts von seinem baldigen Tod gesagt.

Stimmt es, dass Sie ihm ein paar Jahre zuvor ausgeredet hatten, wieder auf Tournee zu gehen?

Nein, er hatte mich einfach nach meiner Meinung gefragt, etwa 2006: „Glaubst du, wir sollten wieder loslegen?“ Ich konnte in seiner Stimme hören, dass er sich schlecht fühlte, weil die Band keine Arbeit hatte. Wenn ich egoistisch und ein Arschloch gewesen wäre, hätte ich sagen können: „Oh, ich würde so gerne wieder auf Tour gehen. Lass uns gehen, denn das ist es, was ich liebe.“ Aber ich sagte zu ihm: „David, nur wenn du dich danach fühlst.“ Und wissen Sie was? Er fühlte sich nicht danach. Wir sind nie wieder auf Tour gegangen.

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Bei einem seiner letzten Auftritte, 2005 bei „Fashion Rocks“ in New York City, spielten Sie bei „Life on Mars?” das Klavier. Das Original ist von Rick Wakeman. Wie wichtig ist es für Sie, in fremden Stücken Ihre persönliche Note einzubringen? 

Rick Wakemans Arbeit auf dem „Hunky Dory”-Album war perfekt, Jedes Mal, wenn ich es gespielt habe, war es deshalb ein bisschen anders. Wenn ich es heute in einem Jazzkonzert intoniere, spiele ich die Gesangsmelodie nach. Aber manchmal variiere ich sie ab der ersten Note, weil sie in jedermanns DNA steckt. Rick hatte die definitive Version, denn das ist jene, die die Leute kennen.

Aber ich hatte die fantasievollsten Versionen. Wenn man sich ansieht, was ich 1999 in Paris gemacht habe … in der Mitte spiele ich ein ganzes Solo, etwas, das Mick Ronson früher auf der Gittarre gespielt hat, und ich mache einfach eine klassische Jazz-Exkursion. David steht am Mikrofon mit einem Lächeln im Gesicht .Tatsächlich lautete sein Auftrag an mich: „Sorge dafür, dass du mich gleich zu Beginn in den Song einführst und mich am Ende wieder herausholst. Mach in der Mitte, was immer du willst.“

Gab es Songs, die Bowie nicht mehr spielen wollte, trotz Ihres Wunschs?

„Lady Grinning Soul“ war ein Tabuthema. Er hat es nie live gespielt. Man könnte sagen, dass die Ursache dafür in einer physischen Begrenzung lag. Die Stimme ist auf dem Album sehr hoch. Er hat es also nicht live gesungen. Aber genau das muss man an ihm lieben. Ihm war eigentlich nichts wichtig außer dem, was er in diesem Moment fühlte. Deshalb habe ich auch länger durchgehalten als alle anderen Musiker und mehr Konzerte mit ihm gespielt. Ich war ursprünglich nur für acht Wochen engagiert. Aber ich habe gespürt, dass wir auf einer Wellenlänge waren.

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Ich setze mich bei jedem Konzert hin, ohne Probe, und improvisiere einfach. Als Popkünstler konnte David das nicht machen, aber er konnte diesen Geist durch mich und mit mir einbringen. Ich war der Unberechenbare in der Band, der die Sahne auf den Kuchen geben durfte, wann immer ich wollte.

Hat Bowie 1973 die Lust am Glam der Spiders from Mars verloren, weil Sie vom Jazz kamen?

Meine Freunde von den Spiders waren verärgert, weil sie quasi von der Bühne aus gefeuert wurden. Ich wusste, dass das passieren würde und war hin- und hergerissen. Ich verehrte David und wusste, dass ich mit ihm weitermachen würde, während die anderen Jungs weg sein würden. Aber es war nichts Persönliches. Und weil ich all die amerikanischen Einflüsse von Jazz, Pop, Rhythm and Blues und Black Music in mir hatte, gab ihm das die Lizenz zum Überleben. Zum Weiterleben als Musiker.

Nahezu alle Musiker, die er zwischen 1972 und 1974 anheuerte, wurden gefeuert. Alle außer mir. Ich durfte bleiben. Aber nicht weil wir Freunde waren, sondern weil meine ganze Geschichte davon geprägt war, immer meinen Stil zu ändern, ein Chamäleon zu sein, weiterzumachen, nicht ein Alleskönner zu sein, der nichts richtig kann, sondern weil ich so viel Musik in meinem Kopf hörte und es nur einen Künstler gab, der sie forensisch aus meinem Gehirn herausholen wollte. Und das war David Bowie.

Und so fand er in mir alles, was ich in den 20 Jahren vor unserer Begegnung gelernt hatte. Sei es romantisches Klavierspiel, Avantgarde, Jazz, Bebop, Pop, Rock’n’Roll wie „Let’s Spend The Night Together“. David war der ultimative Produzent und Casting-Direktor, denn er wusste, dass er großartig war, aber er wusste auch, dass er mit anderen Größen zusammenarbeiten musste, sei es Mick Ronson, Carlos Alomar, Dennis Davies, Earl Slick, Sterling Campbell, Gail Ann Dorsey, Zack Alford und Herbie Flowers. Die Liste ist endlos.

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Welche Live-Fassung hat Sie am meisten überrascht?

Für „Bring Me The Disco King“ hatten wir bereits zehn Jahre vor der Aufnahme vom „Reality“-Album eine Version eingespielt, für „Black Tie White Noise“. Keiner weiß, wo die Aufnahme ist.  Auf der „Reality“-Tour spielten wir den Song oft als letzte Zugabe. Bowie Stimme, ich Klavier, mehr nicht – als letzten Song des Abends. Dabei wollten die Leute eigentlich „Ziggy Stardust“ hören. David ließ mich die letzten 90 Sekunden ein Klaviersolo spielen, bei dem er neben mir saß und eine Zigarette rauchte. Als wäre er in einem Jazzclub, und liebte, was ich jeden Abend spielte. Mir kamen solche Momente nicht als „Sänger plus Pianist“ vor, sondern fast schon wie ein Duett. Eine gemeinsame Schöpfung.

Er hat das alles mit einem großen Ego gemacht. Verstehen Sie mich nicht falsch. Man kann nicht so ein Künstler sein, ohne diesen unglaublichen Stolz und diesen Determinismus zu haben. Aber er hat seine Arbeit trotzdem gleichzeitig mit uns geteilt.

Hatten Sie nach seinem Herzinfarkt Angst, dass er einen weiteren Auftritt, wie bei „Fashion Rocks“, nicht überstehen würde?

Als er zurück auf die Bühne ging, sagte er, er habe mich das Intro allein spielen lassen, um zu sehen, ob er sein Selbstvertrauen wiedergewinnen könne. Ich hatte keine Angst um seine Gesundheit. Und er wusste, dass er sich auf mich verlassen konnte. Ich habe noch nie Drogen genommen. Auch kein Alkohol getrunken. Was mich fasziniert, ist, dass diese Version von „Life on Mars?“, die wir dort spielten, sechs Halbtöne tiefer war als das Original. Seine Stimme wurde immer tiefer und tiefer, und sie war immer noch warm, voll und reif.

Er hat sich nicht in eine Lage gebracht, in der er schrill singen musste, denn das lag seiner Stimme nicht mehr. Er war ein Gentleman, der jetzt älter war. Doch es war sehr schwer für mich, das in der tieferen Tonart von „Life on Mars“ neu zu lernen, weil es eine so schwierige Tonart war. Das erste Mal begann es in F-Dur, wie Rick Wakeman es gemacht hatte, und wie ich es in den frühen Tagen gemacht hatte, aber zu diesem Zeitpunkt war der erste Akkord B-Dur, was für das Klavier nicht sehr freundlich ist. Wir mögen C und F und G. Das nun war B-Dur, also musste ich zwei Tage lang üben. Also sagte ich ihm: „Du quälst mich hier.“ Er antwortete: „Nun, das ist die einzige Möglichkeit, dich dazu zu bringen, weniger Noten zu spielen. Also ist es eine gute Sache.“

Warum haben Sie am Comeback-Album „The Next Day“ nicht mitgewirkt?

Ich wünschte, ich hätte bei „The Next Day“ und „Blackstar“ mitgewirkt. Ich wünschte, ich wäre bei „Hunky Dory“ dabei gewesen. Ich wünschte, ich wäre bei „Hours“ dabei gewesen. Bei „Low“, „Scary Monsters“ und „Heroes“ Auch hier kann ich es nicht persönlich nehmen. Ich habe andere Dinge gemacht. Er hat andere Dinge in Bezug auf „Next Day” und „Blackstar” gemacht. Ich war in Los Angeles. Er war in New York. Alle, die er engagiert hat, kamen aus New York. Er wollte, dass ich 2006 nach New York ziehe und sein Musical Director werde, so wie Mick Ronson in den frühen Tagen. Aber meine ganze Familie war hier, also konnte ich das nicht machen. Es ist also nicht so, dass er mich bestraft hat.

Hören Sie sich diese zwei Alben an und denken: Was hätte ich da anders gemacht?

Gott weiß, ich weiß genau, was ich auf „Lazarus“ und „Blackstar“ gespielt hätte. Ich hätte ihn dazu gebracht, das zu akzeptieren. Meiner Meinung nach wäre das Album dann sogar noch besser geworden. Aber es sind trotzdem fantastische Alben. Ich weiß einfach, was das Klavier bewirkt, wenn ich in der richtigen Stimmung bin oder im Flow des Augenblicks, bei allem, was ich beitrage, wie bei „Candidate“, bei „Diamond Dogs“ und „The Motel“ oder bei „I’m Deranged“ oder „A Small Plot of Land“. Oder bei Live-Versionen . Haben Sie einen Lieblingssong von Bowie?

Ja, „Absolute Beginners“.

„Absolute Beginners“ von 1999 gehört zu meinen besten Aufnahmen.

Sie wirken gerührt.

Natürlich würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht geschmeichelt war, dass er mich als einen der vier oder fünf Menschen betrachtete, die ihn am meisten beeinflusst und ihm geholfen haben, sich zu entfalten. Ich war so etwas wie die geheime Zutat und der unbesungene Held, genau wie Mick Ronson, wissen Sie. Wie Michael Kamen, der vor Jahren verstorben ist, er war der musikalische Leiter bei „Diamond Dogs“. Er verdient Anerkennung. Er war großartig. Luther Vandross war dabei, als ich Musical Director der „Young Americans“-Tournee war. Wir gaben zusammen den Support Act und bekamen manchmal bessere Kritiken als David selbst. Diese Leute waren Giganten, und alle hatten später dank David eine Karriere, eine große Karriere. Meine ist noch im Entstehen begriffen.

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Bitte?

Ich lerne langsam, aber es geht trotzdem voran, denn in gewisser Weise waren die letzten 70 Jahre für mich wie eine Lehre. Jetzt bin ich bereit, Mike Garson zu sein und nur mit meiner Musik und meiner Absicht durchzustarten. Ich spiele immer noch mit Sängern, aber ich glaube, dass ich geduldig war, und in gewisser Weise bin ich jetzt an der Reihe, voranzukommen. Ich habe nun zwei „I Cant Give Everything Away“-Boxen von Warner Brothers erhalten, die 18 Schallplatten und die 13 CDs. Und ich werde sie nicht einmal öffnen, weil sie so schön sind.

Ich glaube, sie haben es mir gegeben, weil ich all diese Interviews gemacht habe. Wissen Sie, ich habe in den letzten 50 Jahren 1.000 Interviews gegeben und wurde nie für eines bezahlt. Das kostet viel Zeit und Überlegung.

Sie haben von der „Diamond Dogs“-Tournee 1974 gesprochen. Sie war eine der aufwendigsten aller Zeiten, mit dem Nachbau einer Stadt und Brücken, die Türme verbinden. Wie sehr bedauern Sie die Tatsache, dass es kaum gutes Videomaterial von dieser Konzertreise gibt?

David hat großes Bedauern darüber geäußert, diese Tournee nicht richtig auf Video festgehalten zu haben. Eigentlich war er unglaublich gut darin, alles festzuhalten. Bis zu dem Tag, an dem er starb. Ich habe 1998 in seinem Büro in einem seiner Schränke nachgesehen. Er muss Stapel von Festplatten gehabt haben, die heute auf einem kleinen Stick Platz finden würden, mit allem, was er gemacht hat.

Er bedauerte die Logistik von „Diamond Dogs“. Der Fehler bei dieser Tournee war, dass sie zu schnell umzog. Wir brauchten zwei Tage für den Aufbau. Wir hätten eine Residency machen sollen. Zwei Wochen in Los Angeles, zwei Wochen in New York und zwei Wochen in London. Nicht jeden Abend in einer anderen Stadt, wo wir versucht haben, alles schnell aufzubauen. Die Pausen waren deshalb zu lang.

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Wie kamen Sie mit dem Tourstress zurecht?

Wir hatten verschiedene Lkw, die mit der Ausrüstung zum nächsten Ort fuhren, wo wir zwei Bühnen aufbauten. Wir reisten, ohne auch nur zwei Shows in einer Stadt zu spielen. Absolut verrückt, administrativ und finanziell, aber musikalisch absolut sinnvoll. Es war unglaublich. Man höre sich einige der Sachen auf dem „David Live“-Album an – die keine Anerkennung finden. Mein Spiel darauf ist eines der besten, das ich je gemacht habe, weil er mich alles machen ließ, was ich wollte, da das „Diamond Dogs“-Album bereits fertig war. Also mach, was du willst, und tu, was dir gefällt. Und vielleicht hat Tony Visconti, als er es neu abgemischt hat, sogar das Klavier zu laut gemischt, was lustig ist, dass ich das als Pianist sage, aber es war fast schon zu aufdringlich, so nach dem Motto: „Gönn mir eine Pause. Ich weiß, wie ich klinge. Du könntest es ein bisschen zurücknehmen.“

Würden Sie sagen, dass es notwendig ist, die Welt daran zu erinnern, wie wichtig David Bowie war? Oder sind Sie zuversichtlich, dass die Erinnerung an ihn immer so groß bleiben wird, wie sie jetzt ist?

Sie wird noch größer werden. Ich sage Ihnen, warum ich das schon 10 Jahre vor seinem Tod gesagt habe. Ich sagte damals, dass wir uns in 100 oder 200 Jahren an Bob Dylan, die Beatles, John Lennon als Solomusiker, Prince, Ray Charles an Stevie Wonder – und David Bowie erinnern werden. David hatte, um ehrlich zu sein, einen größeren Einfluss als all diese Leute, denn er war nicht nur ein Singer-Songwriter und Performer. Er war Produzent, er war ein Modezar. Er war ein großartiger Schauspieler. Er hätte in Hollywood sein und Oscars am laufenden Band gewinnen können. Aber das gefiel ihm einfach nicht. Er sang lieber – aber er war auch einmal Herausgeber eines Kunstmagazins. Ich meine, er hatte Installationen in Italien! Er wird derjenige sein, an den man sich als den Michelangelo, den Rembrandt oder den Da Vinci erinnert.

Gerade Schauspieler lobten Bowie für sein Talent.

Ich habe mit Schauspielern wie Gary Oldman gesprochen, als er den Oscar für „Churchill“ bekam, und er liebt David, er war ein Freund von ihm, und ich habe ihn in einer meiner Bands singen hören, Gary ist ein sehr guter Sänger, und der Respekt, den er für David hatte, war grenzenlos – und das nicht nur für ihn als Sänger. Ich habe auch mit Russell Crowe gesprochen. Ich habe mit Evan Rachel Wood gesprochen, die eine wunderbare Sängerin und großartige Schauspielerin ist. Als Kind hatte sie das „Aladdin Sane“-Emblem auf ihrem Oberschenkel. Und was sie auf Bowie aufmerksam gemacht hat, war „Labyrinth“! Es war nicht „1. Outside“ oder Ziggy, es war „Labyrinth“. Da ist sie eine kleine Achtjährige, die sagt: „Oh, ich mag diesen Typen. Er sieht gut aus. “

Glauben Sie, dass es irgendwann ein Bowie-Biopic geben wird?

David wollte nie, dass ein Film über ihn gedreht wird, wie Elton John oder Queen. Er sagte seiner Managementfirma, sie solle niemals einen solchen Film über ihn drehen. Also machen bestimmte Leute Dokumentarfilme. Das ist in Ordnung. Dem Nachlass wurden Unsummen angeboten, um Filme über ihn zu drehen, und er hat nie … Sie respektieren seinen Willen. Wer weiß, in 10 oder 20 Jahren, wenn diese Leute nicht mehr da sind, wird vielleicht jemand anderes es tun, und dann wird es niemanden mehr interessieren, dass David es nicht wollte.

Sie haben die Sessions von 1994 erwähnt, die zu „1. Outside“ geführt haben und als Bootlegs kursieren. Wissen Sie, warum die sechs Ära-Boxen keine bislang unveröffentlichte Songs, keine Outtakes enthalten?

Zu „1. Outside” hatten wir 50 Stunden unveröffentlichtes Material, und das wurde gestohlen und ins Internet gestellt, was David wirklich verärgerte. Deshalb haben wir nie die Trilogie gemacht, die er mit den drei Alben für „Outside” machen wollte. Ich habe Einblick in die Jazzwelt. Bill Evans, Miles Davis, Coltrane, sie wollten die Kontrolle über ihre Veröffentlichungen. Was wurde veröffentlicht? Sie starben 10 Jahre später, und alles Weitere tauchte auf. Wir reden jetzt über Geschäft, Geld, Gier. Wen interessiert schon der Künstler?

Haben Sie selbst eine Truhe an Songs?

Ich sitze hier mit 6.000 Musikstücken, von denen 200 veröffentlicht wurden, und vielleicht 10, die ich zusammen mit David geschrieben habe. Irgendjemand wird das in 20, 30, 50, 100 Jahren finden, und von den 6.000 Stücken, die ich komponiert habe, sind vielleicht 600 großartig. Der Rest ist Mist. Wenn sie also veröffentlicht werden, falls sie jemals veröffentlicht werden, werden die Leute sagen, dass sie nicht so gut waren. Hört euch das an, das ist Mist. Wisst ihr, das ist es, was der Künstler zu verhindern versucht. Aber seien wir ehrlich, mit dem Internet gibt es keine Geheimnisse mehr, und alles wird aufgedeckt. Ich selbst warte darauf, die Outtakes zu hören, wie „Bring Me The Disco King“ aus der Fassung von „Black Tie, White Noise“.

Aber Sie recherchieren Ihre eigenen Arbeiten noch?

Ich habe von David gelernt, Verantwortung für mein Vermächtnis zu übernehmen. Also stelle ich nach und nach alles zusammen und finde dabei diese Schätze, denn Gott sei Dank gibt es Dropbox und meinen Computer. Ich schreibe so viele Kompositionen, dass ich ein paar Jahre später vergesse, dass ich sie geschrieben habe. Also finde ich diese Dinge und frage mich, wer sie geschrieben hat. Und dann merke ich, dass ich es war, weil mein Name auf der Computerdatei steht, denn nur so kann man den Überblick behalten. Also gebe ich „Mike Garson” ein, und es kommen 5.000 Ergebnisse, von denen 4.500 Mist sind, aber die anderen 500 sind wertvoll. Also versuche ich, meinem Management und meiner Familie klar zu machen, dass dies die Juwelen sind. Aber es ist ein sehr großes Projekt, und ich habe nicht vor, morgen zu sterben.

Welchem Stellenwert als Musiker würden Sie sich selbst zuschreiben?

Ich bin nicht Beethoven oder Mozart oder David Bowie oder die Beatles, aber ich habe einige großartige Musikstücke. Bei Instrumentalmusik ist der Markt bekanntlich sehr klein, aber wenn man den Song singt, und ich bin kein Sänger, dann könnte man einen Hit landen. Ich bin kein Mensch, der Hits komponiert. Wenn ich einen Song zusammen mit einem Songwriter schreibe, ist das etwas anderes, und das habe ich ein wenig mit Bowie auf dem Album „1. Outside“ gemacht.

Hat Bowie später Witze darüber gerissen, dass er Los Angeles nicht mochte – aber Sie dort besuchen musste?

Er hasste L.A. und ließ es an mir aus, weil ich hier lebte. Wohlgemerkt, ich wohne außerhalb der Stadt in einer schönen ländlichen Gegend, aber er hasste es. Und ich schwöre, wenn ich in New York gewesen wäre, hätte ich an diesen zwei Alben, „The Next Day“ und „Blackstar“, mitgewirkt. New York … David hatte einen so schlechten Geschmack (lacht). Sehen Sie, es ist ein Mega-Ort für Zerstörung. Wenn man in einer destruktiven Stimmung ist, wenn man in einer kreativen Stimmung ist, ist es einer der besten Orte der Welt, um ein Drehbuch zu schreiben und Regie zu führen. Und ich wiederum lebe in einer Gemeinde, in der es innerhalb eines Umkreises von einer Meile bestimmt 100 Regisseure gibt.

Beeinflusst Los Angeles Sie denn als Künstler?

Wenn Sie glauben, dass mich das beim Komponieren nicht beeinflusst, dann irren Sie sich. Das tut es. Die Energie ist da. Was den Jazz in den 60er-Jahren in New York angeht, hätte ich nicht so spielen können, wie ich gespielt habe, wenn ich in L.A. aufgewachsen wäre, aber jetzt habe ich das, was ich in New York gelernt habe, und New York ist ein bisschen chaotisch. Ich bin glücklicher hier im sonnigen Klima. Und solange wir nicht durch ein Erdbeben ins Meer stürzen, wird alles gut, und wenn doch, dann machen wir einfach weiter.

Es wirkt so, als wäre Ihnen nicht immer klar gewesen, welchen Einfluss auf Bowie Sie gehabt hatten.

Damals war mir das nicht bewusst, aber jetzt sehe ich meinen Einfluss und bin stolz darauf. Es ist so, wie ich schon gesagt habe: Ich hätte nicht das für ihn tun können, was ich getan habe, wenn ich so gedacht hätte: „Oh, ich werde diesen Kerl zu einem Superstar machen, und niemand wird es wissen, aber mein Klavierspiel wird ihn auf die nächste Stufe bringen, denn es hat die Spiders beendet, als ich viel Verrücktes für das Rolling-Stones-Cover gespielt habe …

… „Let’s Spend The Night Together“ auf „Aladdin Sane“ …

… denn plötzlich, was ist das für ein verrücktes Klavier auf einem Rocksong? Seien wir ehrlich, RCA, die Plattenfirma wusste es. Davids Manager wusste es, und David wusste es. Ich war anders. Der Einzige, der es nicht wusste, war ich, und ich bin froh, dass Sie es vielleicht gewusst haben. Sie sind noch jung, Sie waren damals vielleicht noch nicht dabei. Aber wissen Sie, ich bin froh, dass ich es später im Leben erfahren habe, denn Sie wissen ja, wie Egos sind. Es hätte mir zu Kopf steigen können, und ich hätte die Magie verloren. Er wusste, dass er etwas Gutes in mir hatte. Ich werde mich nicht mit falscher Bescheidenheit abtun. Ich weiß, dass ich großartige Arbeit geleistet habe, aber ich habe es nicht aus diesem Blickwinkel betrachtet.

Hat er jemals versucht, so wie Sie auf dem Klavier zu spielen?

Nein, deshalb hat er mich ja engagiert. Aber ich liebte sein Klavierspiel. Es war sehr grundlegend und einfach, aber es war sehr gut gemeint. Und er zeigte mir Dinge und sagte: „Mach weiter so.” Er mochte es, wenn ich es zu etwas Größerem ausbaute. Er konnte nicht so spielen wie ich, weil er nicht so geübt hatte wie ich. Er war auch Saxophonist und sagte mir, wenn er besser gewesen wäre, wäre er Saxophonist geworden. Sein Schicksal war es, David Bowie zu sein, wie wir ihn kennen. Können Sie sich vorstellen, wenn er nur ein guter Saxophonist gewesen wäre? Wir würden dieses Interview nicht führen.

Waren Sie denn damals aufgeregt bei der Audition für seine Band?

Ich hätte die Audition nicht bestanden, wenn ich schlecht gespielt hätte. Er und ich wussten, dass ich besser spielen musste als Rick Wakeman und Keith Emerson und Leon Russell und Elton und Billy Joel. Ich hatte keine Alternative, denn ich wusste, dass dieser Typ der Richtige war. Aber ich wusste auch, dass ich ein besser ausgebildeter und besserer Musiker war, weil ich mein ganzes Leben mit Klassik, Jazz, Pop-Rock und Blues verbracht hatte und immer noch studierte und lernte. Und es gibt Hunderte, die so großartig sind wie ich, aber ich war in gewisser Weise der Erste, der 1973 auf einem Album wie diesem ein Solo wie „Aladdin“ spielte. Niemand sonst tat das, aber niemand außer David hatte diese Vision. Ich war der Typ, aus dessen Wasserhahn das Wasser kam. Aber er war der Typ, der die Wasserhähne installiert hatte.