Vergangene Woche noch war Pier Silvio Berlusconi extra aus Mailand nach München geeilt und hatte Ministerpräsident Markus Söder in der Staatskanzlei besucht. Man wolle in die Zukunft von Pro Sieben Sat 1 investieren und gebe eine Art Standortgarantie für München ab, sagte Berlusconi anschließend. Sein Unternehmen, Media for Europe (MFE, früher Mediaset), hatte vor gut sechs Wochen mehr als 75 Prozent der Aktien von Pro Sieben Sat 1 übernommen, dem neben RTL größten Anbieter von Privatfernsehen in Deutschland.
Jetzt regieren die Italiener auch überraschend schnell durch und ergreifen drastische Maßnahmen. Am Dienstag wurde mitgeteilt, dass der gesamte Vorstand von Pro Sieben Sat 1 gehen muss. Den Vorstandsvorsitz in München übernimmt ab sofort ein alter Bekannter: Marco Giordani, 63, seit 25 Jahren Finanzchef von MFE und ein enger Vertrauter von Pier Silvio Berlusconi. Auch der bisherige Finanzvorstand von Pro Sieben Sat 1, Martin Mildner, und der für die Inhalte zuständige Vorstand Markus Breitenecker scheiden aus – alle drei mit „sofortiger Wirkung“, wie es hieß. Neuer Finanzchef wird vorübergehend der Sanierungsexperte Bob Rajan. Rund sechs Jahre lang hatten die Italiener versucht, die Mehrheit in München zu bekommen. Jetzt sind sie am Ziel und warten nicht lange ab.
Aber warum so plötzlich? „Die Lage ist ziemlich ernst“, sagte ein Beteiligter dazu. Es habe sich gezeigt, dass nun rasch etwas passieren müsse, es bestehe „dringender Handlungsbedarf“. Gerade erst hatte Pro Sieben Sat 1 mitgeteilt, dass die Geschäfte noch schlechter laufen als bisher bekannt. Zudem lastet eine hohe Verschuldung auf dem Unternehmen. Pro Sieben Sat 1 hatte bereits ein Sparprogramm und den Abbau von hunderten Jobs verkündet. Ob das reicht, gilt als offen. Das Unternehmen hatte zuletzt insgesamt etwa 7000 Mitarbeitende.
Die Marktanteile der einzelnen Sender, etwa Pro Sieben, Sat 1, Kabel 1 und andere, gehen immer weiter zurück, die Werbeeinnahmen auch, das inhaltliche Profil hat gelitten. Bekannte Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“, „Joko & Klaas“, „The Voice of Germany“, „Rosins Restaurants“ oder die Comedyserie „Jerks“ räumen nicht mehr wie früher ab. Konkurrent RTL steht besser da. Dazu kommt, dass gerade jüngere Zuschauer verstärkt zu den großen und mächtigen Streaming-Konzernen wie Netflix, Amazon Prime oder Disney wechseln.
Der Vertrag des Chefs läuft noch bis 2028
Erst im April war der Vertrag von Pro-Sieben-Sat 1-Konzernchef Bert Habets, einem ehemaligen RTL-Manager, nochmal bis 2028 verlängert worden. Pro Sieben Sat 1 hatte sich lange gegen die Übernahme durch MFE gewehrt, dann aber verließ der Aufsichtsratsvorsitzende Andreas Wiele die Firma. Zuletzt war der Niederländer Habets auf die Linie der Italiener eingeschwenkt, doch das half ihm offenbar nichts mehr. Habets werde den neuen Chef Giordani noch bis Jahresende beraten, „insbesondere, um einen nahtlosen Übergang sicherzustellen“, hieß es am Dienstag. Über eine mögliche Abfindung ist nichts bekannt.
Bert Habets kam von RTL zu Pro Sieben Sat 1, jetzt muss er gehen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
Ob die drei Vorstände das Unternehmen wirklich „in bestem gegenseitigem Einverständnis“, wie mitgeteilt wurde, verlassen, darf bezweifelt werden. MFE hatte sich in einem Bieterkampf gegen einen tschechischen Investor durchgesetzt und anschließend den Aufsichtsrat neu besetzt, um dort die Mehrheit zu bekommen. Dieser Aufsichtsrat hat nun den Vorstand entlassen. Man wolle jetzt die „Transformation beschleunigen“ und eine „klaren Fokus auf Exzellenz und eine führende Marktposition im Entertainment“ setzen, teilte Maria Kyriacou mit, die Aufsichtsratsvorsitzende von Pro Sieben Sat 1.
MFE ist in Italien und in Spanien aktiv und will zusammen mit Pro Sieben Sat 1 eine paneuropäische Fernsehgruppe aufbauen. Ob das gelingt, ist unklar. Denn die Fernsehmärkte in Europa sind noch immer autonom, Synergien zu schaffen, ist kompliziert. „München und Unterföhring sind und bleiben das Herzstück unserer Arbeit im deutschsprachigen Raum“, hatte Berlusconi nach dem Besuch bei Söder mitgeteilt. Man wolle auch weiterhin „einen relevanten Anteil an lokalen Nachrichten- und Informationsinhalten“ beibehalten, versprach er. MFE wird von der Familie des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi beherrscht, der populistische Politiker, der 2023 gestorben war, war umstritten und nutzte seine Sender auch für politische Zwecke. Deshalb gab es in Deutschland Bedenken gegen die Übernahme. Anfang September war der junge Berlusconi bereits in Berlin und hatte bei Wolfram Weimer, dem Staatsminister für Medien, für die Übernahme geworben.
Für den Fernsehstandort München ist das insgesamt keine gute Nachricht. Auch der Bezahlsender Sky, der wie Pro Sieben Sat 1 seine Hauptverwaltung im Vorort Unterföhring hat, soll verkauft werden, an RTL in Köln. Die Sport-1-Mediengruppe, bekannt unter anderem durch Sportübertragungen und die Talksendung „Doppelpass“, ist an einen türkischen Investor gegangen. Alle Unternehmen gehörten einst zur Mediengruppe von Leo Kirch, die 2002 mit ziemlich viel Getöse zusammenbrach und Insolvenz anmelden musste.