Ausgerechnet Gustav Mahler. Und das wie eine Naturgewalt, die Bässe sind auf der Tribüne im Bockenheimer Depot im Körper zu spüren. Ja, sagt Emmanuel Gat nonchalant, Mahler habe viel Bass verwendet, vor allem in dieser Komposition. Aber, ehrlich: „Wir könnten dasselbe Stück auch mit ganz anderer Musik machen.“ Könnte sein, dass die Zuschauer das nicht ganz so wahrnehmen, wenn am 23. Oktober „Abschied“ im Bockenheimer Depot uraufgeführt wird und Dietrich Fischer-Dieskau sie an der ein oder anderen Stelle aus den Sitzen hebt. Es ist eine Einspielung von 1967, mit den Wiener Philharmonikern und Dirigent Leonard Bernstein, die Gat gewählt hat.
„Abschied“ heißt das neue Stück, das er mit der Dresden Frankfurt Dance Company geschaffen hat. Keine Hintergedanken dabei, der 1969 geborene Gat ist rührig wie eh und je. „Der Abschied“ aber heißt der zweite und letzte der beiden Teile aus Mahlers „Das Lied von der Erde“, die Gat spielen lässt. Nicht immer sei die Musik zuerst da – es komme auf den Prozess an.
„Vielleicht bin ich in meiner Mahler-Phase“, sagt Gat. „Der Einsame im Herbst“, das zweite Lied aus „Das Lied von der Erde“, hat er vor 15 Jahren schon einmal in einer Choreographie verwendet. Aber warum die Musik nun wiederkam? „Schwer zu sagen. Vieles ist Intuition. Es fühlte sich im Prozess richtig an und passte zu Dingen, die ich zuvor getan habe.“
Alles eine Frage der Intuition
Im Grunde ist in diesen Sätzen schon viel von dem gesagt, was die Arbeit des Choreographen Emmanuel Gat ausmacht. Geboren im nordisraelischen Chadera, hat er vor 30 Jahren angefangen zu choreographieren – aber eigentlich hatte er Musiker, Dirigent werden wollen. Kaum zwei Jahre nachdem er, angeregt durch einen Workshop, das erste Mal überhaupt getanzt hatte, war er selbst, nach einer kurzen Phase als Tänzer, Choreograph geworden.
Seit 2007 lebt und arbeitet er in Südfrankreich, seit Langem ist er mit seiner eigenen Compagnie Emmanuel Gat Dance in Montpellier ansässig. Von dort aus choreographiert er international, arbeitet mit großen Compagnien, in Frankfurt hat er auch schon einmal gearbeitet, 2018 entstand im Frankfurt Lab zusammen mit dem Ensemble Modern „Story Water“, das ebenfalls international zu sehen war.
Die Gastspiele und Auftragswerke sind das tägliche Brot des Choreographen. Für seine eigene Compagnie bekomme er etwa zehn Prozent Fördermittel, den Rest erwirtschafte man selber. „Das ist hart, aber besser, als abhängig zu sein“, sagt er. Er spüre in der Kunst oft eine Erwartungshaltung, unbedingt Geld zu bekommen, eben weil man Künstler sei. Das hält er für falsch. „Du musst schon einen Wert erzeugen, wenn du Geld willst“, sagt er.
Nicht der Typ für zu viel Aufhebens: Choreograph Emmanuel Gat.Frank Röth
Pragmatisch, sehr ruhig und rational schaut er im Gespräch auf seine Arbeit. Der Mann in Baggyjeans und schwarzem Shirt macht wenig Aufhebens um seine Arbeit. Über das Bockenheimer Depot sagt er, das sei einer jener nicht theatertypischen Orte, die nicht „neutral“ seien. Die vielen Informationen, die ein altes Straßenbahndepot so mitliefert, nimmt er auf, „man kann einen solchen Ort nicht ignorieren“.
In das Konzept der Dresden Frankfurt Dance Company, die beinahe ausschließlich improvisatorisch arbeitet, passt seine Arbeitsweise als Erweiterung, die Compagnieleiter Ioannis Mandafounis auch durch Gastkünstler anstrebt. Die Compagnie, bis auf fünf Tänzer gleich geblieben, hatte schon vor ihrer ersten Tournee eine Probenphase mit Gat. Gut so, findet der, dann könne man noch einmal frisch an das Erarbeitete herangehen. Auch, weil er weiß, dass seine Vorgabe, binnen weniger Minuten in jeder Aufführung neu Verabredungen zu Bewegungssequenzen zu treffen, die sich später wieder aufnehmen lassen, sehr schwer sei.
Normalerweise habe man Stunden oder Tage für so etwas Zeit. Und es erfordert eine hohe Konzentration auf die Person, die Personen, die Gat als Zentrum sieht. Daher legt er auch keinen Wert darauf, gefundene Formen exakt oder symmetrisch zu wiederholen. Auch in der Natur gebe es keine zwei identischen Muster. Konzentrierten sich die Tänzer zu stark auf das exakte Abbilden eines Bewegungsmusters, verlören sie ihre Intensität, ihre Fähigkeit, ganz und gar präsent zu sein, nur um eine Figur bestmöglich zu zeigen. Nicht die Intention von Gat, der lieber von der lebendigen Natur her denkt. Was in „Abschied“ noch eine ganz besondere Pointe haben wird.
„Ich versuche, einen Sinn für Verantwortung zu stimulieren“, sagt Gat, der auf seiner Homepage auch immer wieder Essays zu Choreographie und Tanz veröffentlicht. Mit seiner eigenen Compagnie höre die Diskussion nie auf. Hier sei es anders. Er gebe etwas – „und sie müssen den Prozess weiterführen“. Während des gemeinsamen Wegs dahin sieht Gat die choreographische Improvisation als ein besonders verantwortliches und komplexes Handeln.
„Man muss wissen, was man zuvor getan hat“, erläutert Gat, es gehe nicht darum, von Bewegung zu Bewegung zu kommen – ohne auf dem aufzubauen, was zuvor gewesen ist. Ein konstruktives Prinzip, buchstäblich: „Am Ende muss etwas Solides gebaut sein.“ Das aber entstehe jedes Mal neu. Improvisieren im Ensemble aber sei keine Freiheit, wehrt er eine landläufige Annahme ab. „Das ist Verantwortung. Frei bist du, wenn du akzeptierst, dass du Verantwortung hast.“
■ Abschied, Dresden Frankfurt Dance Company, Bockenheimer Depot, Frankfurt, 23. bis 26. Oktober und 30. Oktober bis 2. November..