Haben deutsche Großstädte „ein Problem im Stadtbild“? Seit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Anfang vergangener Woche genau das behauptete und Versäumnisse in der Migrationspolitik dafür verantwortlich machte, wird über diese Frage bundesweit diskutiert.
Doch was denken Berlinerinnen und Berliner selbst über ihr Stadtbild? Welche Probleme stören sie im Alltag? Der Tagesspiegel hat nachgefragt – auf der Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg und auf der Frankfurter Allee zwischen Friedrichshain und Lichtenberg. Viele wollen reden – die meisten allerdings nicht mit vollem Namen.
Anneke, 35, wohnt in Schmargendorf. Dort findet sie das Stadtbild fast trist. Früher habe sie in Charlottenburg gewohnt, „da fand ich es fast schöner, bunter, toleranter“. Als Mutter stören sie vor allem die Spritzen, die Drogenabhängige auf Spielplätzen hinterlassen.
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Patrick, 53, wohnt in Neukölln. Ihn stören die vielen Graffiti in der Stadt. „So Sprüche an der Wand wie ‚One zionist – One bullet’, das muss einfach nicht sein“, sagt er. Am Ostbahnhof sehe er manchmal Nazis, am Halleschen Tor gewalttätige arabische Männer. Auch das störe ihn.
Kathrin M., 43, wohnt mit drei Töchtern in Charlottenburg. Ihre Jüngste traue sich nicht alleine an den Obdachlosen vorbei, die sich regelmäßig an den U-Bahnhöfen der Wilmersdorfer Straße aufhielten. Die Obdachlosigkeit habe dort zuletzt sichtbar zugenommen. „Das macht einen betroffen“, sagt sie.
Frau Stein-Schmeing (72) wohnt schon seit 40 Jahren in ihrem Charlottenburger Kiez. Sie stört sich an Dreck und E-Scootern.
© Nadia Jusufbegovic
Frau Stein-Schmeing, 72, wohnt seit fast 40 Jahren in Charlottenburg. Am Stadtbild störe sie in erster Linie der Dreck. Außerdem die vielen falsch geparkten E-Roller. Wobei die Autos das auch nicht viel besser machen würden, kritisiert sie. Mit Merz’ Aussagen zur Migration stimme sie hingegen nicht überein, stellt sie klar.
Viktor, 36, arbeitet als Fitnesstrainer. Ihn stört, dass es im öffentlichen Raum nicht ausreichend Sportmöglichkeiten gebe. „Am liebsten Calisthenics-Parks an jedem zweiten U-Bahnhof“, wünscht er sich. Denn viel Menschen seien nicht fit genug. Abgesehen davon meint er: „Obdachlosigkeit muss in einem Land mit soviel Wohlstand nicht sein.“
Achim Bollmann, 68, wohnt in Charlottenburg. Ihn stört das Ladensterben in den Straßen Berlins, das immer augenscheinlicher werde – genauso wie die Obdachlosigkeit in der Stadt. Ihm sei es wichtig, dass sie Leute sich richtig benehmen. „Egal, wo sie herkommen.“
Klaus, 73, wohnt in Neukölln. Er berichtet von „martialischen jungen Männergruppen“ am Alexanderplatz und der Frankfurter Allee. Daher stimme er Merz’ Aussagen ein Stück weit zu. Die Idee, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, halte er trotzdem für sinnvoll, betont er.
Roland (54) wohnt in Charlottenburg und stört sich besonders am Müll in einigen Bezirken.
© Nadia Jusufbegovic
Roland, 54, wohnt in Charlottenburg. Ihn störe in einigen Bezirken vor allem das, was er als „Müllvandalismus“ bezeichnet. Abgesehen davon mache ihn auch die Obdachlosigkeit traurig. Den öffentlichen Nahverkehr hält er für unsicher. „Als Mann bin ich nicht so richtig glücklich, ich will gar nicht wissen, wie manche Frauen sich fühlen“, sagt er. Die Ursache dafür seien selten Frauen, eher Männer „aller Couleur“.
Anca, 40, entstammt einer ungarischen Minderheit aus Rumänien und wohnt seit einigen Jahren in Berlin. Sie störe vor allem der Dreck an vielen S-Bahnhöfen.
Arus, 29, kommt aus Armenien, wohnt seit vier Jahren in Friedrichshain-Kreuzberg. „Es gibt so viele Obdachlose, denen nicht geholfen wird“, sagt er über das Stadtbild. „Und es werden immer mehr.“
Florian, 26, wohnt in Charlottenburg „neben einer großen Baustelle“. Die nerve ihn ebenso wie Ausfälle bei der Bahn – schließlich müsse er zur Arbeit pendeln. Dass Migration im Stadtbild sichtbar ist, stört ihn nicht. Das sei halt Berlin.
Frau Kim (50), eine Anwohnerin aus Charlottenburg, sieht in Berlin Probleme, die über das Stadtbild hinausgehen.
© Nadia Jusufbegovic
Frau Kim, 50, wohnt in Charlottenburg. Sie stört vor allem der viele Müll in der Stadt. Auch die Infrastruktur sei heruntergekommen. Das lange Warten auf Arzttermine und die Wohnungsnot seien weitere Themen, die sie in Berlin nerven. „Arm, aber sexy“, zitiert sie Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit.
Arsal, 27, kommt ursprünglich aus Südasien und wohnt in Neukölln. Ihn störe die Gewalt auf den Straßen, vor allem in seiner Gegend, der Sonnenallee. Und der viele Müll in der Stadt.
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Mira, 60, wohnt seit den 70er-Jahren in Charlottenburg. „Mich stören die ganzen Baustellen, das ist schlechter organisiert als früher“, meint sie. Außerdem zeige sich auf den Straßen Berlins die wachsende soziale Ungleichheit im Land. „Statt so hohe Steuern zu verlangen, sollten die lieber mal den Obdachlosen helfen“, fordert sie.
Tobias, 36, wohnt in Köpenick. An Berlin stört ihn „janüscht“.