Eine Demo in Kiel.

AUDIO: Stadtbild-Debatte um Merz: Reaktionen aus SH (1 Min)

Stand: 22.10.2025 20:02 Uhr

Die Äußerungen von Bundeskanzler Merz zum Stadtbild beschäftigen weiterhin viele Menschen in SH. Das sagen Bürger, Politiker, Polizeigewerkschaften und Wissenschaftler. In Kiel fand am Mittwochabend eine Demo statt.

von Andrea Schmidt

Migration verändert unser Stadtbild. Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern sind zunehmend auch in Schleswig-Holstein zuhause. Die Frage lautet: Ist das gut oder schlecht? Und wirkt sich das auf das Sicherheitsgefühl von Bürgern aus?

NDR.de ist in Lübeck und Flensburg auf die Straße gegangen. Die Antworten fielen unterschiedlich aus: Eine junge Frau sagte: „Das Stadtbild ist wunderschön. Wenn wir alle gleich aussehen würden, dann wäre das ja irgendwie traurig.“ Ein weiterer junger Mann ist der Meinung, dass auf jeden Fall mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Städten seien – was aber nicht schlimm sei, solange sie „kein schlechtes Bild auf Deutschland werfen“.

Darum geht es in der Stadtbild-Debattte

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) war in der vergangenen Woche von einem Reporter auf das Erstarken der AfD angesprochen worden. Merz sagte daraufhin unter anderem, dass man frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik korrigiere und Fortschritte mache. „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“ Auf einer Pressekonferenz am Montag hatte er betont, er habe zu dieser Aussage nichts zurückzunehmen.

Unterschiedliche Antworten und Meinungen in SH

Ein anderer sagt: „Abends, wenn man spät unterwegs ist, hat man manchmal ein bisschen Angst.“ Und eine junge Lübeckerin ergänzt: „Wenn ich abends unterwegs bin, dann fühle ich mich unsicher, aber das hat nichts mit Migranten zu tun.“ Eine Frau aus Flensburg sagte vor der Kamera: „Per se habe ich nicht Angst vor Migranten, sondern Angst vor Männern. Also sollte man das Problem vielleicht woanders suchen.“

Eine ältere Flensburgerin dagegen mag das Stadtbild nicht mehr, was unter anderem an den vielen Ausländern liege. Ob sich ihr Sicherheitsgefühl deshalb verändert habe, will NDR.de wissen? Ihre Antwort: „Ja. Ich würde hier abends nicht mehr durch die Stadt gehen, was eben vor 20 Jahren hier noch möglich war.“

Bürgermeister: Integration statt Spaltung

Bürgermeister in Schleswig-Holstein sehen das sogenannte Stadtbild differenziert. Alle Befragten wollen aber eine wichtige Botschaft vermitteln: Ihnen ist Integration wichtig, nicht dagegen eine Spaltung. Hier die Antworten von den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen der Städte Kappeln (Kreis Schleswig-Flensburg), Kiel, Preetz (Kreis Plön) und Rendsburg (Kreis Rendsburg-Eckernförde):

„Ich finde die Aussagen von Bundeskanzler Merz populistisch und diskriminierend. Er wird seiner Verantwortung nicht gerecht. Diese Stadtbild-Debatte ist eine Scheindebatte, die völlig an der Wahrheit vorbeigeht. Auch in Kappeln gibt es Straftaten im öffentlichen Raum. Aber die haben nichts mit dieser vermeintlichen Tätergruppe zu tun. Vielmehr geht es häufig um Jugendkriminalität. Wir sollten mehr über Integration sprechen und nicht darüber: Wie grenzen wir aus.“ 

„Was wir sehen ist, dass es mehr sichtbare Armut gibt in der Stadt. Auch mehr Drogenabhängige und – ja – es gibt auch mal Ansammlungen von jungen Männern, die ein gewisses Mackertum an den Tag legen. Mal mit Migrationshintergrund, mal ohne. Mal alkoholisiert, mal sind es auch Fußballfans. Also, das ist ein sehr differenziertes Phänomen und so differenziert müssen wir auch damit umgehen.“

„Preetz war 2018 mal als ‚gefährlicher Ort‘ erklärt worden, aber die Zeiten sind vorbei. Inzwischen haben wir aus polizeilicher Sicht dahingehend eher eine Nulllage. Wir müssen auch keine besonderen Maßnahmen ergreifen. Wenn Bürger Angst haben – beispielsweise vor dunkel gekleideten Gestalten nachts am Bahnhof – dann hat das nichts mit Angst vor Migranten zu tun, sondern allgemein mit einem Gefühl der Unsicherheit.“  

„In den vergangenen zehn Jahren ist die Ausländerquote in Rendsburg von sieben auf derzeit 23 Prozent gestiegen. Unsere Stadt ist geprägt von Vielfalt. Im November 2024 hat die Stadt erstmals eine Umfrage zum Sicherheitsempfinden im öffentlichen Raum durchgeführt, an der rund 4.700 Einwohnerinnen und Einwohner teilgenommen haben. Etwa 40 Prozent der Befragten gaben an, sich in der Innenstadt „ziemlich unsicher“ zu fühlen. Das geäußerte Unsicherheitsgefühl hängt nach Einschätzung vieler Befragter insbesondere mit der Beleuchtungssituation und mit Gruppen von Jugendlichen im öffentlichen Raum zusammen. Tatsächlich liegen jedoch keine erhöhten Deliktzahlen vor.

Gewerkschaft der Polizei: Ängste der Bürger ernst nehmen

Der Landesvorsitzende von der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Torsten Jäger, sagte, Ängste und Gefühle der Unsicherheit bei den Bürgern müssten ernst genommen werden. „Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: mehr polizeiliche Präsenz, mehr Präsenz durch Sicherheitsdienste oder Aufklärung, dass es tatsächlich nicht so ist.“ Letztendlich sei es eine Sicherheitsdebatte und keine Stadtbilddebatte. Migration verändert laut Jäger zwar das Stadtbild, sei aber per se nicht negativ und habe auch nichts mit Kriminalität zu tun. 

Kieler Politikwissenschaftler: Damit gewinnt Merz keine AfD-Stimmen

Christian Martin, Politikwissenschaftler an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, hat sich – so wörtlich – gewundert über die Aussage von Merz: „Wenn Friedrich Merz ein echtes Problem lösen wollte, das vielleicht in den Städten existiert, dann wird er das nicht mit Hilfe von Abschiebungen erreichen können.“ Die Probleme hätten andere Ursachen. Menschen in Armut oder Menschen mit Drogenproblemen etwa werde man nicht abschieben können.

Christian Martin, Politikwissenschaftler an der Kieler CAU.

Der Politikwissenschaftler Christian Martin wundert sich über die Aussagen von Merz.

Zu der Frage, was Merz‘ Intention gewesen sein könnte, wenn er diese Stadtbild-Debatte absichtlich so in Gang gebracht haben sollte, sagte Martin: „Dann wird man sagen müssen, dass er versucht, populistische Narrative zu bedienen, um möglicherweise Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückzugewinnen.“ Das werde ihm so aber nicht gelingen, meint der Kieler Politikwissenschaftler.

Demonstrationen gegen Stadtbild-Aussagen in Kiel

Unter dem Motto „Unser Stadtbild ist bunt!“, hatte Fridays for Future am Mittwochabend in Kiel zu einer Demonstration aufgerufen. Die Organisation wollte damit auf die umstrittenen Aussagen von Bundeskanzler Merz (CDU) reagieren. Die Veranstaltung startete am Stresemannplatz am Welcome Center und führte zur CDU-Parteizentrale. Die Organisation hatte zunächst 300 Personen angekündigt – nach Schätzungen der Polizei kamen jedoch rund 1.500 Menschen zusammen. Fridays for Future schätzte die Teilnehmendenzahl sogar auf etwa 4.000 Personen. „Wir wollen an Friedrich Merz das Signal senden: Wir in Kiel sind bunt und wir sind laut“, sagte ein Sprecher von Fridays for Future NDR Schleswig-Holstein.

In der Fußgängerzone einer Stadt eilen viele Menschen aneinander vorbei. (Foto mit Bewegungsunschärfe aufgenommen.)

War das eine legitime Problemschilderung oder rassistisch? Die Meinungen über die „Stadtbild“-Äußerung des Bundeskanzlers gehen auseinander.

Sabine Sütterlin-Waack bei einer Pressekonferenz

Im Jahresvergleich wurden 2024 außerdem mehr Menschen Opfer häuslicher Gewalt. Und es gab einen Anstieg bei Angriffen auf Polizisten.

Eine einzelne Person geht im dunklen über eine Strandpromenade

Frauen fühlen sich in der Stadt nachts oft unsicherer als Männer. Ein Projektteam der Uni Kiel will nun an einer Lösung arbeiten.

„Wir sind das Stadtbild“ steht auf einem Plakat, das ein Demonstrant bei einer Demo hält.

Kanzler Merz (CDU) sorgt mit seiner Aussage zum „Stadtbild“ für Kontroversen. SPD und Grüne im Land kritisieren ihn scharf.