Wer in den USA heute auf die Straße geht, um gegen Maßnahmen der Trump-Regierung zu demonstrieren, muss sich von republikanischen Abgeordneten vorwerfen lassen, Amerika zu hassen. 

Es ist fast unmöglich, sich die Filme der diesjährigen Retrospektive bei DOK Leipzig anzuschauen, ohne an das Amerika der Gegenwart zu denken. Der Titel „Un-American Activities“ etwa bezieht sich auf das sogenannte Gremium gegen unamerikanische Umtriebe, dem sich zu Zeiten des republikanischen US-Politikers Joseph McCarthy unzählige des Kommunismus verdächtigte Menschen stellen mussten.

Kritische Filme aus den USA bei DOK Leipzig

Auf jeden Fall haben wir das Gefühl gehabt, es ist der richtige Moment, diese Filme wieder zu zeigen“, sagte Publizist Tobias Hering MDR KULTUR. „Und das fühlt sich schmerzhaft aktuell an.“ Hering hat die Retrospektive zusammen mit dem Filmhistoriker Tilman Schumann kuratiert.

Die Retrospektive versammelt 26 Filme, die auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche in der DDR bis 1989 tatsächlich gezeigt wurden. Filme aus dem Land des Klassenfeindes also, natürlich mit kapitalismuskritischem Blick. Dabei ging es eigentlich darum, eine Lücke in der Leipziger Festivalgeschichte zu schließen.

Eröffnungsfilm über den Vietnamkrieg erhielt Oscar

Bei Recherchen war Hering aufgefallen, dass im Staatlichen Filmarchiv der DDR unzählige Korrespondenzen mit linken amerikanischen Filmemachern vorlagen. Und dann sei er auch auf den Briefwechsel von Emile de Antonio gestoßen, der für den Film „In The Year of the Pig“, der jetzt als Eröffnungsfilm der DOK Retrospektive gezeigt wird, 1967 das Staatliche Filmarchiv angeschrieben hatte. De Antonio ging es um die Bitte, ob er kommen könne, weil er nach Material für einen Film gegen den Vietnamkrieg suchte.

Emile de Antonio konnte geholfen werden. Er kam auch nach Leipzig, um gleichgesinnte Filmschaffende zu treffen. Und er kam immer wieder. Vier Filme hat er dort in 20 Jahren präsentiert, die in der Retrospektive eine eigene kleine Werkschau bilden.

Zwei Mal saß Emile de Antonio in der Jury. Sein Archivfilm „In the Year of the Pig“, der womöglich in Leipzig Fahrt aufgenommen hat, wurde mit dem Oscar ausgezeichnet. „Also Leipzig hatte schon so einen Sonderstatus als Begegnungsort für Leute diesseits und jenseits des sogenannten Eisernen Vorhangs“, so Hering.

Kritische Filme über Diskriminierung, Rassismus, Kapitalismus

Auch unzählige andere revolutionäre Filmschaffende kamen aus den USA gern nach Leipzig – viel mehr als Hering erwartet hatte. Rund 150 Filme konnten die Kuratoren in den Protokollen finden, wobei sie auch von der Qualität der ihnen weitgehend unbekannten Filme überrascht wurden: „Wir hatten eher so ein bisschen kuriose Funde erwartet, also so was für Berufsrevolutionäre. Und der Befund war dann aber einfach, dass es großartige Filme sind.“

In Leipzig waren sie willkommen, verifizierten sie doch das offizielle Bild des Klassenfeindes. Die Themen sind dabei durchaus vielfältig: Vietnamkrieg, Antikommunismus, Diskriminierung von People of Colour, Kapitalisierung des Gesundheits- und Gefängnissystems.

Das sind einfach Leute gewesen, die die Kamera als Waffe der Argumentation benutzt haben.

Tobias Hering, Publizist und Kurator der Retrospektive

„Das sind einfach Leute gewesen, die die Kamera als Waffe der Argumentation benutzt haben“, so Hering im Gespräch mit MDR KULTUR. Und zwar eine Argumentation gegen Missstände im eigenen Land. Interessant sei es, findet Hering, dass es eine solche offensiv-selbstkritische, militante Filmarbeit in der DDR „natürlich nicht“ gegeben habe.

Filme über Arbeiterstreiks und Frauen in Gewerkschaften

Die Filme zeigten aber nicht nur das finstere Gesicht des Kapitalismus, sondern auch „das andere Amerika“. Ein Amerika, das sich wehrte. Zum Beispiel in „Harlan County, USA“ von 1977.  Regisseurin Barbara Kopple begleitete über 13 Monate den Streik von Bergarbeitern in Kentucky, ein Meisterwerk des Direct Cinema.

Ein anderes Beispiel ist „Union Maids“ von 1976: ein kollektiver Film, der die aktive Rolle der Frauen in der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung beleuchtet. Der Film erhielt eine Taube in Leipzig. Fraglich ist, ob auch sein Ende gezeigt wurde, wo eine Protagonistin erläutert, was Sozialismus für sie bedeutet. Sie sagte „Lasst die Leute entscheiden“. In Europa gäbe es das ihrer Meinung nach nicht.

Filme wurden zu DDR-Zeiten teils zensiert

Es kam in Leipzig zuweilen vor, so Tobias Hering, dass Filmschaffende zu DDR-Zeiten noch kurz vor der Aufführung ihrer Filme aufgefordert wurden, einen unliebsamen Teil herauszuschneiden. Überhaupt: Zu viel Protest und Widerstand war in Leipzig auch wieder nicht genehm. Das konnte ja auch nach hinten los gehen. 

Und wo wirklich die Zensurschere angelegt wurde und wie es damals war, in ein sozialistisches Land zu reisen, kann das Leipziger Publikum die Filmemacher aus den USA selbst fragen. Denn einige von ihnen kommen auch persönlich nach Leipzig, darunter auch die Regisseurin Barbara Kopple.

Retrospektive im Luru-Kino und im CineStar Leipzig

Die Retrospektive „‚Un-American Activities. Filme des ‚anderen Amerika'“ist in diesem Jahr in drei Blöcke geteilt. Vorab, von Freitag bis Sonntag, gibt es eine Werkschau zu Emile de Antonio im Luru-Kino. Dann, während des Festivals, im CineStar den Hauptblock mit dem Untertitel „Front Line“. Und nach dem Festival sind am 7. und 8. November noch einmal engagierte Werke von amerikanischen Filmkollektiven im Luru-Kino in der Spinnerei zu sehen.

Mehr Informationen zur Retrospektive:

DOK Leipzig – Retrospektive
„Un-American Activities. Filme des ‚anderen Amerika'“

24. bis 26.Oktober 2025 – Werkschau zu Emile de Antonio – Luru-Kino in der Spinnerei, Spinnereistraße 7, 04179 Leipzig

27. Oktober bis 2. November 2025 – „Front Line“ – CineStar, Petersbogen, Petersstraße 44, 04109 Leipzig

7. und 8. November – Luru-Kino in der Spinnerei, Spinnereistraße 7, 04179 Leipzig

Zum Programm der Retrospektive

redaktionelle Bearbeitung: sg