Die linke Bar „K-Fetisch“ in Berlin-Neukölln, die ein Paar wegen eines T-Shirts mit hebräischen Schriftzeichen rauswarf, rechtfertigt sich in einem Statement – und fokussiert sich dabei auf das Wort „Falafel“. Nun schaltet sich der Antisemitismus-Beauftragte des Bezirks ein.

Es ist ein Statement, das mehr Fragen offen lässt, als es Antworten gibt. Die Berliner Bar „K-Fetisch“ hat nach mehreren Tagen auf Antisemitismus-Vorwürfe reagiert. Ein Paar, darunter ein in Berlin lebender israelischer Regisseur, hatte gegenüber WELT berichtet, in der linken Kneipe aufgrund eines T-Shirts mit einem hebräischen Schriftzug abgewiesen und beleidigt worden zu sein.

„Sie begann, mich lautstark zu beschimpfen, ich würde einen Völkermord unterstützen“, berichtete die Berlinerin Raffaela B., die im Bereich interreligiöse Konflikte arbeitet, über die englischsprachige Barkeeperin. „Hebräisch sei die Sprache des Unterdrückers.“ Sie und ihrer israelischer Freund seien beleidigend als „Zionisten“ bezeichnet worden – weil auf ihrem T-Shirt nicht nur auf Arabisch, sondern auch auf Hebräisch „Falafel“ stand. Sogar ein Hausverbot sei erteilt worden. Die „taz“ spricht von einem „Lehrstück über linken Antisemitismus“.

Nun hat das Kneipenkollektiv, das alle Entscheidungen gemeinschaftlich trifft, auf Instagram auf die Vorwürfe reagiert. Die Barbetreiber bestätigen in dem Statement, dass B. aufgrund des T-Shirts nicht bedient wurde. Die Verweigerung der Bedienung habe allerdings nicht an der hebräischen Schrift gelegen, sondern in den „kulturellen Implikationen“ des Shirts. Man betrachte das T-Shirt als „kulturell beleidigend, da das Design versucht, die gesamte Kultur der Region auf ein kulinarisches Symbol zu reduzieren“.

Das Kollektiv besteht nach WELT-Informationen seit einigen Jahren zu großen Teilen aus englischsprachigen Expats. Es bezeichnet sich selbst als „linkes trans* und nichtbinäres Kollektiv, das sich für Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Identitäten einsetzt“. Zuvor war die Bar von einem Kollektiv betrieben worden, das stark von israelsolidarischen Linken geprägt war. Im aktuellen Statement heißt es nun, das Shirt mit den Falafel-Schriftzügen könne in einer Zeit, in der die Menschen in Gaza von Israel „absichtlich ausgehungert“ würden, „leicht als beleidigende Botschaft und nicht als friedliche Botschaft angesehen werden“.

Erst Mitte Mai war im „K-Fetisch“ hingegen eine sogenannte Küfa (Küche für alle) veranstaltet worden, ein früher „Vokü“ (Volksküche) genanntes Gruppenkochen, bei dem Essen zum Selbstkostenpreis ausgegeben wird. Beworben wurde das Event mit einer Wassermelone, die aufgrund derselben Farben wie die der palästinensischen Flagge als Palästina-Solidaritätssymbol gilt. „Helft uns, Geld für palästinensische trans* Genoss*innen zu sammeln, die finanzielle Unterstützung brauchen“, hieß es in der Einladung. „Wir werden leckeres veganes Schawarma mit Salaten nach palästinensischer Art für euch machen!“ Im März hatte es eine ähnliche Veranstaltung gegeben – ab 18 Uhr, „zu Ehren des Ramadan“.

Das Kleidungsstück, um das es im aktuellen Vorfall geht, nennt sich „Falafel Humanity Shirt“. Es wurde gemeinsam mit Designern aus Israel und dem Iran gestaltet und will laut Projektseite betonen, „dass Falafel Kulturerbe sind – und das sowohl in Israel als auch in arabischen Ländern, wie Palästina oder dem Iran“. Die Gewinne werden an die israelische Friedensinitiative Women Wage Peace gespendet, die mit palästinensischen Friedensinitiativen zusammenarbeitet.

Die Initiatoren und Gestalter, Golnar Kat Rahmani, Liad Shadmi und Nikolai Dobreff, starteten das Projekt einen Monat nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 und dem damit begonnenen Gaza-Krieg. „Das ‚Falafel Humanity Shirt‘ ist kein Symbol des Ausschlusses, sondern der Verbundenheit – eine Erinnerung daran, dass Dialog und Zusammenleben weltweit wichtig bleiben“, teilen sie WELT gemeinsam mit.

„Relativiert Antisemitismus-Vowurf nicht“

Das „K-Fetisch“-Kollektiv stellt den Vorfall, der am Freitagnachmittag der vergangenen Woche stattfand, anders dar als die aus der Bar geworfenen Gäste. Diese seien „aufgrund ihres aggressiven Verhaltens gegenüber unseren Mitarbeitern“ gebeten worden, das Lokal zu verlassen. Die Bar basiere auf einer „intersektionalen Politik“, die niemals darauf abziele, Menschen aufgrund ihrer Religion, ethnischen Zugehörigkeit oder Nationalität auszuschließen.

Die Gruppe präsentiert sich in dem Statement zudem als Opfer. „Als Kollektiv von Trans*- und Queer-Personen, von denen viele Migranten sind, sind wir nicht nur seit diesem Vorfall mit zahlreichen Belästigungen, Drohungen und Angriffen konfrontiert“, heißt es darin. WELT liegt zudem eine Instagram-Story einer Person aus der linken Berliner Palästina-Solidaritätsbewegung vor. Das „K-Fetisch“ werde „von Zionisten bedroht, weil eines ihrer Teammitglieder einer Person den Service verweigert hat, die ein T-Shirt in den Farben der israelischen Flagge trug“, wird darin am Sonntag der vergangenen Woche auf Englisch behauptet. Man solle in die Bar kommen, „um das Personal zu unterstützen und ihnen zu helfen, sich sicher zu fühlen“.

WELT hat erneut mit den Gästen Raffaela B. und Abby A. gesprochen, die ihren echten Namen nicht veröffentlicht sehen wollen. „Das Verhalten des Personals und auch das jetzt veröffentlichte Statement zeigen unserer Ansicht nach eine deutliche Distanzierung von jeglichen Bestrebungen nach Koexistenz und Dialog“, teilen sie gemeinsam mit. Das Paar sei „allein aufgrund der hebräischen Schrift auf dem T-Shirt aus dem Café geworfen“ worden.

„Der Versuch des Kollektivs, den antisemitisch motivierten Rauswurf ‚intellektuell‘ mit ‚kultureller Bedeutung‘ oder ‚politischem Kontext‘ legitimieren zu wollen, erschüttert uns zutiefst“, sagen die Gäste weiter, die sich selbst als links bezeichnen. Das Kollektiv schade damit „all jenen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina einsetzen“.

Der Antisemitismus- und Queer-Beauftragte des Berliner Bezirks Neukölln, Carl Chung, hat sich nun in einem WELT vorliegenden Brief an das Kneipenkollektiv gewandt. „Wenn nicht die Frage nach der hebräischen Schrift der Ausgangspunkt der Auseinandersetzung war – was soll dann der Stein des Anstoßes gewesen sein?“, fragt Chung in dem Brief. „Wieso muss der Hinweis auf Gemeinsamkeiten von Menschen und Kulturen – etwa durch eine in verschiedenen regionalen Kulturen verbreitete Speise – eine unzulässige Reduktion sein? Wieso nicht ein Hinweis auf Gemeinschaft, Zusammenhalt, Menschlichkeit und Frieden?“

Lesen Sie hier den Brief des Neuköllner Antisemitismus-Beauftragten im Wortlaut

Der israelischen Friedensbewegung zu unterstellen, sie verhöhne den Hunger in Gaza, sei „eine zynische Verdrehung der Tatsachen“, schreibt Chung weiter. Gegenüber WELT sagt er: „Auch wenn ich versuche, das Statement so wohlwollend wie möglich zu verstehen, ergibt es für mich keinen wirklichen Sinn. Das Statement relativiert die Antisemitismus-Vorwürfe nicht.“ Das Bar-Personal habe offensichtlich Hebräisch mit Zionismus und Zionismus mit Völkermord gleichgesetzt, sagt Chung weiter. „Das ist Antisemitismus und nah am Straftatbestand der Volksverhetzung.“

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie, der sich selbst innerhalb der politischen Linken verortet und Professor an der Universität Gießen ist, sagt WELT: „Hier wird gegen Juden eine Art Sippenhaft verhängt.“ Der Antisemitismus stilisiere Juden als homogene Gruppe, obwohl es keine „kollektive Identität“ ganzer Völker gebe, „schon gar keine ethnische oder rassische“. Leggewie stellt fest: „Diese Pseudo-Linke ist vom Identitätsdenken befallen, das von ganz rechts kommt.“

Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Im September erschien im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Einen Auszug können Sie hier lesen, das Vorwort von Robin Alexander hier.