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Demonstration von Fridays for Future in München im Februar 2025. © Imago
Die Bundesregierung ließ eine Frist des Bundesverfassungsgerichts verstreichen – nun droht Deutschland das Verfehlen der Klimaziele. Klägerin ist die Deutsche Umwelthilfe.
Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, kritisiert die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes durch die Bundesregierung als verfassungswidrig und warnt vor einer Politik, die Klimaziele beschwört, aber fossile Abhängigkeiten vergrößert.
Herr Resch, die Deutsche Umwelthilfe klagt mit anderen Organisationen gegen das Klimaschutzgesetz. Karlsruhe hatte von der Regierung eine Stellungnahme bis Mitte Oktober gefordert. Die Frist ist verstreichen – haben Sie das erwartet?
Wir haben erwartet, dass sich die Bundesregierung an die Fristsetzung des Gerichts hält – aus Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht und auch wegen der Dringlichkeit der Klärung der von uns aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem Klimaschutzgesetz. Gleichzeitig übte sich die Bundesregierung in den vergangenen Monaten zunehmend darin, ihre Verantwortung zu verschleppen, statt Klimaschutz entschlossen umzusetzen. Dass sie nun sogar eine Frist beim höchsten deutschen Gericht verstreichen lässt und Fristverlängerung beantragt hat, zeigt: Die Regierung will Zeit gewinnen und fürchtet die juristische Auseinandersetzung.
Warum?
Sie weiß, dass das zusammengestrichene Klimaschutzgesetz nicht verfassungsgemäß ist. Diese Verzögerungstaktik ist ein klimapolitisches Armutszeugnis – und ein Signal für mangelnde Ernsthaftigkeit beim Schutz unserer Lebensgrundlagen.
Aus Sicht der Regierung erscheint die Verweigerung folgerichtig: Derzeit erstellt sie ein neues Klimaschutzprogramm, das zum Jahresende vorliegen soll. Erst dann gibt es Klarheit über das Erreichen der Klimaziele.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Bei unserer Verfassungsbeschwerde geht es um die grundsätzliche Frage, ob mit dem entkernten Klimaschutzgesetz überhaupt noch die erforderliche Planungssicherheit und der nötige Veränderungsdruck besteht, um auch künftige Generationen ausreichend vor der Klimakrise zu schützen. Die entscheidende Frage lautet: Verstößt das Gesetz gegen die Grundrechte heutiger und zukünftiger Generationen – das muss jetzt geprüft werden.
Wo stehen wir im Kampf gegen den Klimawandel? Ein zentrale Frage für die Frankfurter Rundschau auf allen Kanälen.
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Wie fällt Ihre Prüfung des aktuellen Kurs aus?
Fakt ist: Mit der Aushöhlung des Klimaschutzgesetzes wurden verbindliche Sektorziele abgeschafft und Verantwortlichkeiten verwässert. Aktuell gibt es keinen klaren, gesetzlich verbindlichen Fahrplan, wie die Klimaziele in allen Sektoren erreicht werden sollen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm mit schlagkräftigen Maßnahmen, die die Bundesregierung jetzt vorlegen muss, ist extrem wichtig. Aber es ersetzt nicht ein verfassungskonformes Klimaschutzgesetz.
Bisher betont die Regierung, Deutschland halte seine Klimaziele ein, trotz neuer Gaskraftwerke und dem Verschieben des Verbrenner-Aus. Ist das zu halten?
Schon die Behauptung, Deutschland hält seine Klimaziele ein, ist falsch. Stand jetzt werden die Klimaziele 2030 und 2040 verfehlt. Bleibt es bei den derzeitigen Maßnahmen, wird Deutschland bis 2040 fast 600 Millionen Tonnen CO₂ mehr ausstoßen, als nach dem Klimaschutzgesetz erlaubt ist. Gelingt es nicht, diese Lücke zu schließen, müsste es 2039 eine CO₂-Vollbremsung geben, um die vom Klimaschutzgesetz erlaubte Gesamtmenge an Klimagasen nicht zu überschreiten. Das wäre unverantwortlich. Was wir derzeit erleben, ist eine gefährliche Form des Klimaschutz-Theaters: öffentlich Klimaziele beschwören und gleichzeitig fossile Infrastruktur verlängern mit neuen Gaskraftwerke, dem Verschieben des Verbrennerausstiegs und so weiter. Das entfernt uns zusätzlich vom Erreichen der Klimaziele.
FR-Klimapodcast
Am Sonntag erscheint die zweite Folge des FR-Videopodcasts „Klimaklartext“ mit der führenden Expertin Claudia Kemfert. Darin geht es unter anderem um die Gaskraftwerkspläne von Ministerin Reiche, den EU-Ausstieg aus russischem Gas und Risiken durch US-Flüssiggas.
Den Podcast kann man überall hören, wo es Podcasts gibt – und auf dem FR-YouTube-Kanal auch im Video sehen. FR
Der Kläger Jürgen Resch steht vor der Verhandlung zu einer Klage gegen den US-Internetriesen Meta vor dem Kammergericht. © Jens Kalaene/dpa
Jürgen Resch ist seit 1988 Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Er baute die Umwelthilfe maßgeblich zu einer der einflussreichsten Umwelt- und Klimaorganisationen des Landes aus. jst
Selbst marktwirtschaftliche Instrumente wie der Emissionshandel werden infrage gestellt. Ist die Wirtschaft nur so lange für Klimaschutz, solange der nur auf dem Papier steht?
Wer jetzt den Emissionshandel aushöhlen und kostenlose Zertifikate über Jahrzehnte verteilen will, verabschiedet sich von der eigenen Klimaverantwortung. Klimaschutz darf kein Lippenbekenntnis sein, bei dem Gewinne privatisiert und Klimaschäden sozialisiert werden. Wirklich zukunftsfähige Unternehmen investieren in Klimaneutralität. Wer stattdessen an fossile Überlebensgarantien glaubt, gefährdet Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit. Erst vor kurzem hat der Bundesgerichtshof die Revision für unsere Klimaklagen gegen BMW und Mercedes-Benz zugelassen.
Ein Erfolg?
Ein großer Erfolg. Die Frage, ob große Emittenten eine rechtliche Pflicht haben, ihre Produktion und Produkte am verbleibenden CO₂-Budget und den Klimaneutralitätszielen auszurichten, wird nun am höchsten deutschen Zivilgericht behandelt.
Der Umweltrat bescheinigt Deutschland in seiner Stellungnahme zur Klimaklage, dass 2030 selbst das deutsche CO₂-Budget für ein 1,75-Grad-Ziel ausgeschöpft ist. Fürs 1,5-Grad-Budget gilt das schon lange. Müssen wir beim Klimaschutz nicht endlich ehrlich sagen, Deutschland ist nicht auf Kurs?
Ja, und zwar dringend. Diese Realität zu verschweigen oder schönzureden, ist gefährlich. Nur wer ehrlich anerkennt, wie gravierend der Rückstand ist, kann wirksam nachsteuern. Das Gutachten vom Umweltrat bestätigt eindrücklich, was auch wir in unserer Verfassungsbeschwerde kritisieren. Das entkernte Klimaschutzgesetz macht eine Erreichung der Klimaziele unwahrscheinlicher. Dass das deutsche CO₂-Restbudget für eine 1,75-Grad-Grenze selbst bei Einhaltung des Klimaschutzgesetzes schon 2030 aufgebraucht sein wird, zeigt, dass das Gesetz dringend nachgeschärft werden muss.
Die Regierung hat Fristverlängerung für ihre Stellungnahme beantragt. Wie geht es nun mit der Verfassungsklage weiter?
Mit ihrer Verzögerungstaktik kann die Regierung das Verfahren am Bundesverfassungsgericht nicht ewig aufhalten. Wir gehen davon aus, dass die fehlenden Stellungnahmen noch in diesem Jahr eingereicht werden. Wir werden dann die Argumente sorgfältig prüfen und Behauptungen entkräften, die versuchen, die Entkernung des Klimaschutzgesetzes zu rechtfertigen. Das Gutachten des Umweltrats hat unserer Verfassungsbeschwerde bereits starken Rückenwind verliehen. Auf die Arbeit des Gremiums hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 2021 maßgeblich abgestellt. Wir sind überzeugt: Wer Klimaschutz bewusst abschwächt und hinauszögert, verstößt gegen das Grundgesetz. Wir werden nicht nachlassen, weder politisch noch juristisch, bis Klimaschutz in Deutschland wieder verlässlich, verbindlich und generationengerecht gesichert ist.