Berlin – Am Donnerstagmorgen klingelten vier Polizisten an der Tür des Kolumnisten Norbert Bolz. Der Grund: ein Tweet von Januar 2024. Darin hatte er die NS-Parole „Deutschland erwache“ benutzt, als satirische Reaktion auf einen Beitrag der Zeitung „taz“.

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Bolz verteidigte sich, der Satz sei erkennbar ironisch gewesen. Und auch mehrere Juristen warfen den Behörden vor, den Kontext ignoriert und vollkommen unverhältnismäßig und geradezu grotesk reagiert zu haben.

Wie kam der Fall überhaupt ins Rollen? Laut Bolz’ Anwalt Joachim Steinhöfel (63) hat das Portal „HessenGegenHetze“ den Tweet dem BKA gemeldet. Dahinter verbirgt sich keine NGO, also kein privater Zusammenschluss, sondern tatsächlich eine staatliche Stelle. Und diese ist angesiedelt bei Hessens Innenministerium! 2024 investierte die Landesregierung dafür rund 1,18 Mio. Euro.

Das Portal ist längst keine Unbekannte. Auch den „Schwachkopf“-Prozess löste es aus. Ein Rentner hatte damals ein satirisches Meme über Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (56, Grüne) geteilt. Es kam erst zur Meldung, dann zur Hausdurchsuchung.

Es gibt jetzt heftige Kritik an dem Portal. Der Vorwurf: Der Staat betreibe hier Meinungsaufsicht und schüchtere kritische Stimmen gezielt ein.

Das anonyme Meldeportal „HessenGegenHetze“

Das anonyme Meldeportal „HessenGegenHetze“

Foto: hessengegenhetze.de

Aus dem hessischen Innenministerium heißt es, die Meldestelle bewerte ausschließlich eingehende Meldungen von Bürgern und „nimmt lediglich eine erste unverbindliche Bewertung im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche Relevanz vor“. Falls das der Fall sei, würden die Meldungen an das Bundeskriminalamt weitergeleitet.

Die Mitarbeiter kommen laut Ministerium aus „Kommunikations-, Politik- oder Sozialwissenschaften oder sind Polizeibeamte“. Die Einschätzung der Fälle erfolge nach dem „Vier-Augen-Prinzip“, bei Bedarf auch in Workshops mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt und dem BKA.

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Der Kontext eines Posts werde – sofern verfügbar – immer in die Bewertung einbezogen. Über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens entscheide allein die zuständige Staatsanwaltschaft.

Im Fall Bolz war das die Berliner Staatsanwaltschaft. Gegenüber BILD heißt es von einem Sprecher, man ordne den Slogan ‚Deutschland erwache‘ „allgemein bekannt als strafbar“ ein. Er gelte als „Losung der Sturmabteilung und Schutzstaffel der verbotenen NSDAP“.

Mit der Durchsuchung sollte festgestellt werden, ob Bolz tatsächlich Inhaber des Accounts ist und den Tweet gepostet hatte.

Eine „Razzia“ habe nicht stattgefunden

Laut Staatsanwaltschaft habe keine „Razzia“ bzw. zwangsweise Durchsuchung stattgefunden. Der Beschluss sei mit einer sogenannten Abwendungsbefugnis versehen gewesen. Bedeutet: Die Maßnahme konnte durch freiwillige Einsichtnahme und fotografische Dokumentation abgewendet werden – „was letztlich auch erfolgt ist“, so die Behörde.

Das Bundesjustizministerium von Stefanie Hubig (56, SPD) erklärte auf BILD-Anfrage, sich nicht zu den Entscheidungen der Ermittlungsbehörden zu äußern.