„Einmal Wasserfreund, immer Wasserfreund!“ Peter Nocke und das Wasser – daraus ist seit der Kindheit eine äußerst intensive Beziehung mit nahezu allen Facetten geworden. Liebe ohne Leiden gab und gibt es vor allem für einen Schwimmer nicht, der höchste Ambitionen hat. Heute ist aus der zwischenzeitlichen Hassliebe zum Wasser längst eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen des EM-, WM- und Olympia-Medaillengewinners geworden. Ob sommertags im Eigenbad der Wasserfreunde Wuppertal im Bendahl oder ab Herbst im Schwimmsportleistungszentrum auf Küllenhahn – Peter Nocke zieht dort mehrmals wöchentlich seine Bahnen und kommt dabei pro Einheit auf 2000 bis 2500 Meter. Sieht gut aus, fühlt sich danach auch ganz gut an – und das für einen bekennenden Wuppertaler, der an diesem Samstag. 25. Oktober, seinen 70. Geburtstag feiern kann.

Nocke, den die WZ Ende der 1990er Jahre nach einer Leserwahl zum Wuppertaler Jahrhundertsportler kürte, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er nicht zu den trainingsfleißigsten Schwimmern gehört hat. „Was hätte aus dem alles noch werden können?“, fragen sich deshalb immer noch einige seiner Wegbegleiter. Hat er etwa sein einmaliges Talent verschleudert und die große Chance, als erster Krauler der Welt die 100 m unter 50 Sekunden schwimmen zu können, ungenutzt gelassen?

Mit 22 Jahren nach vielen
Erfolgen zurückgetreten

„Fest steht, dass ich mehr hätte trainieren können. Fest steht aber auch, dass ich mit Sicherheit den Spaß am Sport verloren und somit nie das erreicht hätte, was ich habe“, sagt der bis dato erfolgreichste Wasserfreund aller Zeiten. So sahen es damals auch seine Trainer Heinz Hoffmann und Ernst-Joachim Küppers, die sich zähneknirschend auf die Gratwanderung mit dem Jugendlichen aus Elberfeld einließen. Neun Europameistertitel, eine Weltmeisterschaft und zwei olympische Bronzemedaillen waren der Lohn einer der kürzesten, dafür aber intensivsten internationalen Karrieren (1973 bis 1977). Im besten Schwimmeralter von gerade 22 Jahren trat er zurück. Eine Weltbestzeit, acht Europa- und mehr als 40 deutsche Rekorde auf seinen Spezialstrecken über 100 und 200 m Freistil stehen zudem für den damals wohl stilistisch besten Schwimmer der Welt zu Buche, der sich packendste Duelle mit seinem „Erzfeind“ Klaus Steinbach von der SSG Saar/Marxritter lieferte. „Die wichtigen Rennen habe ich gegen Steinbach alle gewonnen“, sagt Nocke nicht ohne Stolz und gibt zu: „So richtige Freunde waren wir nie. Wir schwammen die gleichen Strecken und waren Konkurrenten.“

Trotzdem wussten beide Weltklasseathleten, dass sie voneinander abhängig sind. Sie bildeten das Kernteam der deutschen Nationalstaffeln. So gab es 1975 bei der Weltmeisterschaft in Cali/Kolumbien Gold über 4×200-m-Freistil. Das US-Quartett kam zwar als Erstes ins Ziel, wurde allerdings wegen Frühstarts disqualifiziert.

Die zweitplatzierten Schwimmer der Bundesrepublik Deutschland waren plötzlich ganz oben – dort, wo Peter Nocke am liebsten stand. Sein Stern ging 1974 bei der EM in Wien auf, bei der er fünf Titel gewann. Die weißen Lipizanerpferde, die es als Porzellannachbildung für die Sieger gab, standen lange in seinem Wohnzimmerschrank. In Reichweite lag auch die Videokassette vom Höhepunkt seiner Karriere: die Olympischen Spiele 1976 in Montreal. Als Bronzegewinner vor Steinbach im Jahrhundertrennen über 100 m Freistil, bei dem Sieger Jim Montgommery (USA) in 49,99 Sekunden als erster Mensch die 50-Sekunden-Schallmauer knackte, sowie als Dritter mit der 4×100-m-Lagenstaffel entstieg Nocke dem Olympia-Pool. Schon damals dachte Nocke an Rücktritt. „Boss, haben wir nicht genug Erfolg gehabt?“, fragte er Heinz Hoffmann, der sein schwimmendes „Juwel“ noch einmal motivieren konnte, von Jahr zu Jahr zu denken. Schließlich sollte 1978 die Weltmeisterschaft in West-Berlin der Höhepunkt der einmaligen Karriere bilden.

Ein geschenkter Fernseher
sorgt für Verwicklungen

Doch die WM sollte der Wuppertaler als Schwimmer nicht mehr erleben. Eine Autogrammstunde 1976 im Sportfachgeschäft Auhagen, bei der Peter Nocke einen Fernseher als Geschenk annahm, sorgte für Wirbel. Nocke sollte gegen den vom Internationalen Olympischen Komitee auferlegten Amateurstatus verstoßen haben. „Das war schon damals einfach nur lächerlich. Wer sich da beim IOC wichtig machen wollte, weiß ich nicht“, sagt Nocke. Wasserfreunde-Mentor Georg Baron von Schilling sprach bei NOK und IOC vor und sorgte dafür, dass sein Star weiterschwimmen durfte. Der Trubel um einen Schwarz-Weiß-Fernseher war ein Grund mehr für den Mann, der „sich im Training nicht quälen kann“ (O-Ton Hoffmann), 1977 Abschied vom großen Sport zu nehmen, obwohl er bei der EM 1977 im schwedischen Jönköping mit vier Gold- und einer Silbermedaille erneut Europas erfolgreichster Schwimmer war. Selbst ein Gasanschlag auf das DSV-Quartier beim EM-Vorbereitungslehrgang in Hannover konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen.

Im Nachhinein war der recht frühe Rücktritt aus sportlicher Sicht freilich ein Fehler. „Mit meiner damaligen Zeit über 200 m Freistil wäre ich ein Jahr später Einzel-Weltmeister geworden“, sagt Nocke allerdings ohne Zorn und ergänzt: „Ich habe einiges falsch, aber auch vieles richtig gemacht. Und aus finanzieller Sicht war das der einzige Schritt, der Sinn gemacht hat. Abgesichert war der Spitzensportler in der 70er Jahren nicht. Zehn Jahre später, als der Amateurstatus aufgehoben worden war, hätte ich mir das sicherlich anders überlegt.“

Selbst Mark Spitz rühmt Nockes Stil

Parallel zum Spitzensport schloss Peter Nocke eine kaufmännische Ausbildung ab, dank der er direkt in den Dienst der Bademoden-Firma arena eintreten konnte. Als NRW-Repräsentant, der mit einem lukrativen Honorar geködert wurde, arbeitet er dort mit den ehemaligen Spitzenathleten Mark Spitz, Don Schollander und David Wilkie zusammen. Gegen Spitz durfte Nocke, der 1972 knapp an der Qualifikation für die Olympischen Spiele in München vorbeischwamm, nie antreten. „Es ist ein Genuss, Peter im Wasser zuzuschauen“, sagte der siebenfache Goldmedaillengewinner über seinen Arbeitskollegen. Trotz aller trainingstechnischen Differenzen blieb Peter Nocke für Heinz Hoffmann „ein Siegertyp“. Einige Weggefährten behaupten sogar, Nocke sei nur so schnell geschwommen, weil er Angst vor dem Verlieren gehabt habe.

Von Sportlehrer und Meistertrainer Heinz Hoffmann entdeckt

Der Antrieb, warum jemand schnell schwamm, war Hoffmann eigentlich egal. Hauptsache Stil, Wasserlage und Tempo stimmten: Das war bei Nocke so, den Hoffmann als Kind Mitte der 60er Jahre in der Schwimmoper entdeckte. Der neunjährige Peter lag dort im Lehrschwimmbecken und war auf dem besten Wege, die ersten Schwimmbewegungen zu erlernen. „Damals war ich noch Nichtschwimmer und musste den Toten Mann machen“, erinnert sich der spätere Weltmeister. Zwei Jahre danach kreuzten sich wieder ihre Wege, diesmal in der Realschule Pfalzgrafenstraße. Mathematik- und Sportlehrer Heinz Hoffmann suchte den achten Mann für die 8×25-m-Schulstaffel. Der Sextaner Peter Nocke meldete sich freiwillig. Schließlich sei er ja bei den Wasserfreunden, sagte er selbstbewusst. Mit dem ersten Start in einer Schulstaffel begann die einmalige Karriere. Nocke durchlief fast alle Trainingsgruppen der Wasserfreunde, bevor er mit 15 Jahren in die 1. Mannschaft aufgenommen wurde. „Er sollte den Spaß am Schwimmen nicht verlieren“, war Hoffmans Ziel. Und die Geduld, einen Sportler kontinuierlich aufzubauen, hat sich für den Verein und Peter Nocke ausgezahlt.

Trotz Rekordzeit keine Lust auf die 400 Meter

Der Wasserfreunde-Star gab auch viel an seinen Verein zurück. Bei Mannschaftsmeisterschaften wagte sich der Sprinter sogar über die ungeliebten 1500 m Freistil, die mörderischen 400 m Lagen oder auch die brutalen 200 m Schmetterling. Die 400 m Freistil bleiben allerdings seine Albtraumstrecke. Bei den Deutschen Meisterschaften 1977 in Hamburg wagte er sich erstmals ernsthaft auf die Mittelstrecke, schwamm als erster Bundesdeutscher unter vier Minuten – und gewann in Rekordzeit. Doch Nocke war „tot“, „platt wie nie“ und völlig übersäuert. Das DSV-Angebot, er dürfe die 400 m auch bei der EM schwimmen, lehnte er mit folgenden Worten dankend ab: „Dazu habe ich nun wirklich keine Lust.“ Schließlich hatte er ja bereits ohne die 400 m Freistil schon insgesamt zehn EM-Starts mit Vorlauf und Endlauf zu absolvieren – was am Ende mit viermal Gold und einmal Silber belohnt werden sollte.

Bei Sportlerwahl vor Franz Beckenbauer
und eine Karriere als Funktionär

Auch Ehrungen gab es am Fließband: Das Silberne Lorbeerblatt, Platz zwei bei der Wahl zum „Sportler des Jahres“ 1975 vor Fußballstar Franz Beckenbauer und hinter Turn-Weltmeister Eberhard Gienger. Die Goldene Sportplakette der Stadt Wuppertal oder auch die Goldene Vereinsnadel mit der Gravierung „Weltmeister“ für außerordentliche Verdienste gehören ebenfalls zu seiner Sammlung. Nicht nur als Funktionär blieb er dem Wuppertaler Schwimmsport treu. Neben seinen Tätigkeiten als Leiter des DSV-Bundesstützpunktes und als Vorsitzender des Ortsverbandes Wuppertaler Schwimmvereine und zehn Jahre als Wasserfreunde-Vorstand, jagt er die Rekorde in seinen Altersklassen. Natürlich über die kurzen Freistil- und Schmetterlingsstrecken. Und das natürlich mit Erfolg. Aus dem Jugendmeister, 23-maligen offenen Deutschen Meister, ist mittlerweile der Seniorenmeister Peter Nocke geworden. Denn den Spaß am Sport hat er sich auch Jahrzehnte nach seinem Rücktritt noch erhalten.

Aktuell stehen in Essen die deutschen Schwimmmeisterschaften der Master an – und Peter Nocke will zweimal mit den Wuppertaler Staffeln seiner Altersklasse an den Start gehen – und natürlich will ein Peter Nocke gewinnen. Auch mit 70 bleibt er halt ein echter Wasserfreund.