
Mehrere Familienmitglieder des 2019 in Berlin ermordeten Selimchan Changoschwili sind nach Georgien abgeschoben worden. Sie fürchten dort um ihre Sicherheit. Grünen-Politiker Wagener spricht von „zynischer Abschiebepolitik“.
Sechs Jahre ist es her, dass der tschetschenisch-stämmige Georgier Selimchan Changoschwili im Kleinen Tiergarten im Zentrum Berlins erschossen worden ist. Seine Familie findet seitdem kaum Ruhe. Nun wurde sein Bruder Surab und ein großer Teil seiner Familie nach Informationen von tagesschau.de nach Georgien abgeschoben, unter ihnen minderjährige Kinder.
Polizeibeamte brachen laut einem Bericht der Deutschen Welle (DW) am frühen Donnerstagmorgen die Tür zur Wohnung Surab Changoschwilis in Wünsdorf (Brandenburg) auf. Demnach nahmen sie den Familienmitgliedern die Telefone ab und brachten sie zum Berliner Flughafen. Von dort wurden sie im Rahmen einer größeren Abschiebeaktion nach Tiflis ausgeflogen.
Eilanträge abgelehnt
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums bestätigte bei einer Pressekonferenz gestern einen Charterflug nach Tiflis. Ihr zufolge befanden sich 48 Personen an Bord. Zu einzelnen Personen wollte sie auf Frage eines DW-Reporters keine Angaben machen.
Das zuständige Verwaltungsgericht in Potsdam hatte Eilanträge gegen eine Abschiebung ohne weitere Begründung abgelehnt. Surab Changoschwili hatte wie schon sein Bruder kein Asyl erhalten. Er war mit seiner Familie in Deutschland nur geduldet und musste in den vergangenen Jahren jederzeit mit einer Abschiebung rechnen.
Keine Sicherheit in Georgien
In Georgien fürchten sie um ihre Sicherheit. Nach einem Anschlag auf Selimchan Changoschwili 2015 in Tiflis war eine Aufklärung des Falls ausgeblieben. Er hatte im Zweiten Tschetschenien-Krieg gegen den russischen Staat gekämpft und war nach 2004 Informant der damaligen georgischen Regierung, deren Mitglieder heute in der Opposition sind. Auch Surab war am Kampf gegen Russland beteiligt, zudem werden aus Rache auch unbeteiligte Familienmitglieder verfolgt.
Georgische Polizeikräfte gingen in den vergangenen Jahren brutal gegen Angehörige der tschetschenischen Minderheit vor, die hauptsächlich in Tiflis und im Pankisi-Tal leben. Staatsangehörige aus dem benachbarten Russland können ohne Visum einreisen. Inzwischen häufen sich Berichte über Kooperation zwischen Personen aus dem Umfeld russischer Geheimdienste und der georgischen Führung, die derzeit massiv gegen Demonstranten und Kritiker vorgeht. Dabei kommt es auch zu Ausweisungen nach Russland.
Mörder im Auftrag Moskaus
Im Prozess um den „Tiergartenmord“ war der Russe Wadim Krassikow Ende 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Kammergericht stellte eine besondere Schwere der Schuld fest, da Krassikow als Auftragsmörder des russischen Staates gehandelt habe. Der Vorsitzende Richter sprach von Staatsterrorismus.
Dennoch kam Krassikow am 1. August 2024 bei einem größeren Gefangenenaustausch frei. Wladimir Putin empfing ihn als ersten der Freigelassenen mit einer Umarmung auf einem roten Teppich. Putins Sprecher bestätigte, dass Krassikow für den Inlandsgeheimdienst FSB tätig war.
„Fatales Signal an alle Putin-Gegner“
Angesichts der Lage in Georgien erklärte Robin Wagener, Beauftragter für Osteuropa der Grünen-Bundestagsfraktion, gegenüber tagesschau.de: „Diese kalte und zynische Abschiebepolitik der Bundesregierung ist lebensgefährlich und maßlos. Die Bundesregierung kann sich für die Gefahren nicht blind stellen. Der Auftragsmord durch das russische Regime ist Zeugnis der politischen Verfolgung der Familie.“
Diese Abschiebung unterlaufe die Prinzipien des Asylsystems, so Wagener. Innenminister Alexander Dobrindt und Außenminister Johann Wadephul müssten die Entscheidung umgehend revidieren und der Familie Changoschwili unverzüglich ein humanitäres Visum ausstellen. „Die Bundesregierung sendet sonst ein fatales Signal an alle Putin-Gegner. Auf Deutschland ist im Zweifel kein Verlass.“
Wenig Vertrauen in Russland-Politik
Die Freilassung Krassikows nach nicht einmal fünf Jahren Haft hatte zu Verbitterung bei den Angehörigen des Opfers geführt. Surab Changoschwili hatte es gegenüber tagesschau.de als traurig und kränkend bezeichnet, dass die Familie damals nicht einmal informiert worden sei. Dass Krassikow frei ist und mögliche Mittäter nicht einmal ausfindig gemacht wurden, sahen er und viele Tschetschenen als Sicherheitsrisiko.
Der Rechtswissenschaftler Adam Ashab warnte, dass das Vertrauen der Tschetschenen in die europäische Politik in Bezug auf Russland ohnehin nicht groß sei. Demokratiefeindliche Gruppen könnten den Umgang mit dem „Tiergartenmord“ zur Rekrutierung von Mitgliedern nutzen.
Georgien ist nach der Türkei das Land, in das in diesem Jahr die meisten Menschen abgeschoben wurden. Die deutliche Zunahme der Abschiebungen hatte die schwarz-rote Koalition zum Ziel erklärt.
