Vor wenigen Tagen hat SOS-Kinderdorf Österreich die Vorwürfe gegen den verstorbenen Gründer Hermann Gmeiner öffentlich gemacht. Intern gab es den Angaben nach schon länger den Verdacht. Auch gegen Kinderdörfer und die Leitung in Österreich gibt es Vorwürfe.

Organisation in Deutschland überrascht und geschockt

Beim SOS-Kinderdorf e.V. in Deutschland zeigt man sich von der Entwicklung überrascht und geschockt, wie Vorstand Georg Falterbaum BR24 erklärte. Man sei aus allen Wolken gefallen, als man während einer Betriebsversammlung aus der Presse davon erfahren habe.

Die Nachricht habe Vorstand und Mitarbeiter ins Mark getroffen. „Wir stehen nach wie vor mit voller Überzeugung hinter der Idee von SOS-Kinderdorf“, so Falterbaum, der darauf verweist, dass sich die pädagogische Arbeit bei SOS-Kinderdorf seit dem Tod von Hermann Gmeiner vor rund 40 Jahren maßgeblich weiterentwickelt habe.

Eigene Vorwürfe aufgearbeitet

Falterbaum betont, dass frühere Übergriffe in deutschen Kinderdörfern in den vergangenen Jahren aufgearbeitet wurden, und zwar transparent, wie er unterstreicht. Einer unabhängigen Kommission zufolge gab es zwischen 1976 und Mitte 2023 knapp 190 Meldungen zu Grenzüberschreitungen. Rund die Hälfte davon waren sexuelle Übergriffe.

Fast die Hälfte aller Grenzüberschreitungen ging dabei von Mitarbeitern aus. Man habe mittlerweile viel in Kinderschutz investiert, dieser habe bei SOS-Kinderdorf höchste Priorität. Das Thema sei nun direkt beim Vorstand angesiedelt. In den Einrichtungen gäbe es Kinderschutzbeauftragte und man habe ein Frühwarnsystem eingeführt.

Um die frühere Lichtgestalt wird es dunkler

In Deutschland und Österreich sind Straßen, Plätze und Schulen nach dem Kinderdorfgründer benannt, unter anderem die Herrmann-Gmeiner-Straße in Dießen am Ammersee. Es ist davon auszugehen, dass jetzt vermehrt über Namensänderungen diskutiert wird. Man werde genau prüfen, wie man mit dem Namen Gründers umgehe, sagt Falterbaum. Das werde man in den nächsten Tagen machen.

Ähnliches steht auf der Internetseite der Herrmann-Gmeiner-Schule in Mönchengladbach. Man sei sehr schockiert, über eine neue Namensgebung werde in den entsprechenden Gremien demnächst entschieden. In Österreich gibt es bereits die ersten Änderungen. In Imst in Tirol, wo 1951 das erste Kinderdorf eröffnet worden war, wurden bereits zwei Gmeiner-Denkmäler entfernt, wie die Nachrichtenagentur APA berichtete.

Verdacht des sexuellen Missbrauchs und von Misshandlungen

Recherchen der österreichischen Wochenzeitung „Falter“ brachte den Fall ins Rollen (externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt). Demnach sollen im SOS-Kinderdorf in Moosburg in Kärnten Kinder von Erziehern geschlagen, eingesperrt und mit Essensentzug sanktioniert worden sein. Ähnliche Vorfälle soll es im Kinderdorf in Imst in Tirol gegeben habe. Die Zeitung beruft sich auf interne Berichte der Kinderhilfsorganisation.

Doch statt die Missstände aufzudecken, habe es die damalige Geschäftsleitung jahrelang „verräumt“. In einer Pressemitteilung vor ein paar Tagen (externer Link) gab es zudem „neue Erkenntnisse“ zum Gründer Hermann Gmeiner. Demnach wurden bei Recherchen in historischen Akten acht intern dokumentierte Opferschutzfälle im Zusammenhang mit dem Gründer Hermann Gmeiner „ausgehoben“. Die Meldungen beträfen vier Standorte in Österreich im Zeitraum der 1950er- bis 1980er-Jahre zu Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs und physischer Gewalt. Alle acht Betroffenen hätten in den Jahren 2013 bis 2023 ein Opferschutzverfahren durchlaufen und eine Entschädigungszahlung und Therapieeinheiten erhalten.

SOS-Kinderdorf Österreich vorläufig suspendiert

Der österreichische Zweig der internationalen Hilfsorganisation ist nach einer Krisensitzung von der Dachorganisation als Mitglied suspendiert worden (externer Link). In einer schriftlichen Erklärung heißt es, das Mitgefühl des internationalen Vorstands gelte all jenen, die unter den Taten eines Mannes gelitten haben. Der Vorstand toleriere keinerlei Form von Missbrauch oder mangelnder Transparenz innerhalb ihrer Föderation, so die Begründung für die Suspendierung. In Österreich gelte nun der Auftrag, konsequent aufzuarbeiten und die Neuaufstellung der Organisation umzusetzen.

SOS-Kinderdorf war 1949 von Gmeiner zunächst noch unter dem Namen Societas Socialis gegründet worden, bevor die Organisation später umbenannt wurde. Von Österreich aus breitete sich die Organisation in die ganze Welt aus, global ist sie unter dem Dach von SOS-Kinderdorf International organisiert. Die Organisation hat Zentren und Programme in mehr als 130 Ländern und betreut vor allem Kinder.