
Russland hat in der Nacht erneut Kiew angegriffen. In der ukrainischen Hauptstadt und in anderen Regionen gab es dabei Tote und Verletzte. Wirtschaftsministerin Reiche erlebt den Schrecken hautnah mit.
Bei russischen Raketen- und Drohnenangriffen auf die Ukraine sind in der Nacht nach Angaben der örtlichen Behörden mindestens vier Menschen getötet und etwa 20 weitere verletzt worden. Auch die Hauptstadt Kiew geriet wieder unter Beschuss. Hier seien bei einem Raketenangriff in den frühen Morgenstunden zwei Menschen getötet worden, und zwölf weitere seien verletzt worden, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko im Messengerdienst Telegram mit.
„Explosionen in der Hauptstadt. Die Stadt wird mit ballistischen Raketen angegriffen“, schrieb Klitschko. Im Ostteil der Dreimillionenstadt seien mehrere Brände ausgebrochen. Inoffiziellen Informationen zufolge waren die dort befindlichen Heizkraftwerke erneut das Ziel der Attacke.
Ministerin Reiche erlebt Angriffe in einem Schutzkeller
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche, die seit gestern zu einem Besuch in der Ukraine ist, erlebte die Attacken in Kiew hautnah mit. Sie musste in einem Schutzkeller Zuflucht suchen. Für sie sei es ein bedrückendes Erlebnis gewesen, für die Ukrainer leider trauriger Alltag, sagte sie später auf einer Pressekonferenz. „Es zeigte mir in dieser Nacht noch einmal sehr eindrücklich, dass die Attacken Russlands auf die ukrainische Bevölkerung darauf zielen, sie zu zermürben.“
Die Angriffe auf die Strom- und Wärmeversorgung kurz vor der Heizperiode seien eine Gefahr, sagte die CDU-Politikerin. Sie versprach dem kriegsgeplagten Land Hilfe beim Wiederaufbau der zerstörten Energieinfrastruktur. Deutschland werde die Ukrainer nicht im Stich lassen.
Bei weiteren russischen Angriffen in der Region Dnipropetrowsk wurden zwei Menschen getötet und sieben verletzt, wie ein Sprecher mitteilte. Wohnhäuser, ein Geschäft und mindestens ein Fahrzeug seien bei den Angriffen beschädigt worden.
Selenskyj fordert erneut „Patriot“-Abwehrsysteme
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, solche Angriffe zeigten den Bedarf der Ukraine an „Patriot“-Abwehrsystemen. Amerika, Europa und die G7-Länder können dazu beitragen, dass durch solche Angriffe nicht länger Leben gefährdet würden. Er hatte zuletzt die Lieferung von 25 „Patriot“-Flugabwehrsystemen zur Verteidigung gegen russische Luftangriffe gefordert. „Das sind 25 Systeme, die wir brauchen.“
Die Ukraine attackierte ihrerseits Ziele in der russischen Grenzregion Belgorod. Hier wurde nach russischen Angaben ein Staudamm durch Beschuss beschädigt. Wiederholte Angriffe auf den Damm könnten zu Überschwemmungen führen, erklärt ein Sprecher auf Telegram. Den Bewohnern zweier angrenzender Ortschaften sei deshalb geraten worden, ihre Häuser zu verlassen. Eine Stellungnahme aus Kiew lag zunächst nicht vor.
Ukraine vermeldet Einnahme wichtiger Ortschaft
Unterdessen hat das ukrainische Militär im Norden der Region Donezk nach eigenen Angaben die für die Verteidigung der Stadt Lyman wichtige Ortschaft Torske zurückerobert. Bei der Erstürmung seien bis zu 100 russische Soldaten getötet worden, teilte der Generalstab in Kiew mit. Unabhängig bestätigen ließen sich die Angaben des Militärs zunächst nicht.
Torske ist wegen seiner Lage an einer Höhe am Ufer des Flusses Scherebez wichtig. Der Fluss bildet eine natürliche Barriere und erschwert das Vorankommen von Truppen – etwa auf die 13 Kilometer westlich gelegene Stadt Lyman und den dahinter befindlichen Ballungsraum um Slowjansk und Kramatorsk, den die russische Armee in dem seit mehr als dreieinhalb Jahren währenden Krieg nicht erobern konnte.
Karte der Ukraine und Russlands, hell schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Russischer Sondergesandter zeigt sich optimistisch
Unterdessen ist der russische Sondergesandte und Präsidentenberater Kirill Dmitrijew zu Gesprächen in die USA. US-Präsident Donald Trump hatte kürzlich ein geplantes Treffen mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin mit der Begründung abgesagt, dass es aus seiner Sicht sinnlos wäre. Dmitrijew schrieb auf der Plattform X, der Dialog zwischen den USA und Russland werde fortgesetzt. Er sprach im Sender CNN sogar hoffnungsvoll von Chancen auf ein Ende des Kriegs: „Ich glaube, Russland und die USA und die Ukraine sind tatsächlich ziemlich nah an einer diplomatischen Lösung.“ Worin sich sein Optimismus nach den jüngsten Spannungen begründet, führte er nicht näher aus.
In Europa ringen die Staaten weiter mit der Frage, in welchem Umfang eingefrorene russische Vermögenswerte zur Unterstützung der Ukraine genutzt werden können. Der britische Premier Keir Starmer will das von Russland angegriffene Land vor dem Winter in eine möglichst starke Position bringen und erhöhte in der Debatte den Druck auf die europäischen Staats- und Regierungschefs.
„Wir müssen uns darauf einigen, die Sache mit den russischen Staatsvermögen zu Ende zu bringen und Milliarden freizusetzen, um die Verteidigung der Ukraine zu finanzieren“, sagte er bei einem Treffen der „Koalition der Willigen“ gestern. Großbritannien sei bereit, dies gemeinsam mit der EU so schnell wie möglich voranzutreiben.