Dieses Haus ist ein Haus, keine Frage. Frei stehend, Garage, Terrasse, Garten mit altem Baumbestand in einem noch älteren Viertel im Osten der Stadt. Aber anders als viele anderen Häuser in seiner unmittelbaren Nachbarschaft auf der Stuttgarter Gänsheide ist dieses Haus für eine achtköpfige Patchwork-Familie noch mehr als ein Haus: es ist ein Designobjekt. Die Architektur des Hauses fällt durch einen matt schimmernden, monolithisch anmutenden Baukörper auf. Das Dach wiederum ist Teil der Metall-Fassade. Und so ist die Fassade im Grunde eine Hülle.

Das Haus auf der Stuttgarter Gänsheide – wie aus einem Guss

Ist nicht jedermanns Sache, klar. Aber das Teil ist auf jeden Fall ein Statement. Vom Dachfirst bis zum Eingangstor. Der Blick geht dabei von oben nach unten. Das Gebäude wurde nämlich mit einem teils asymmetrisch geformten Satteldach versehen, das die moderne Gestaltung unterstreicht. Das Haus fügt sich in den dicht gewachsenen städtebaulichen Kontext am Hang. Ein einheitliches Fassadenmaterial, welches sich im schräg eingeschnittenen Dach fortsetzt, lässt diesen Baukörper aus der Ferne fugenlos erscheinen, wie aus einem Stück gegossen.

Wäre das Haus also kein Haus, so könnte es auch eine Skulptur sein oder die Karosserie eines wohlgeformten Automobils mit edler Metallic-Lackierung. Und dennoch wirkt dieser sich in den Hang schmiegende Bau alles andere als präpotent oder protzig, im Gegenteil. „Es war der Versuch, einen ruhigen Baukörper zu platzieren“, sagt der Architekt Henning Ehrhardt. Das klingt so simpel, ist es aber nicht.

Bauaufgabe: Stuttgarter Hanglage

„Beim Grundstück handelt sich um eine typische Stuttgarter Hanglage mit all den Problemen, die das mit sich bringt“, ergänzt sein Kollege und Partner Giorgio Bottega. „Doch wir hatten gute Antworten auf die Fragen.“ Die Fragen? Sie alle an dieser Stelle festzuhalten, würde einen Katalog ergeben. Allein der ursprüngliche Zustand des Grundstücks war schwierig. „Lange bewegte sich ja nichts auf dem Anwesen“, erklärt Giorgio Bottega. „Was für ein Wildwuchs: Man stand vor einer grünen Wand.“

Die Stuttgarter Architekten Henning Ehrhardt (li.) und Giorgio Bottega. Foto: bottega + ehrhardt architekten

Ganz oben stand allerdings die Frage nach den Bedürfnissen. Das voll berufstätige Bauherrenpaar mit seinen sechs Kindern hatte so einige Wünsche an das Haus, welches man lange unter den vorhandenen Stuttgarter Angeboten bei Bestandsbauten suchte, aber nicht fand. Funktional sollte das Zuhause sein, hell, lichtdurchflutet, mit einer logischen Raumfolge. Also am besten mit einem offenen Konzept im Küchenbereich.

Die Wohnebene sollte daher im Erdgeschoss sein, die sechs Zimmer aller Kinder auf einer Ebene eine Treppe höher, natürlich mit Bad und WC. Und ganz oben hätten am liebsten die Eltern ihre Arbeitsräume sowie das Schlafzimmer, mit einem weiteren wertigen Badezimmer. Nicht zu vergessen: das Gästezimmer. Und der schwarze Flügel wollte auch noch seinen repräsentativen Platz finden, denn der Bauherr spielt regelmäßig.

Die Architekten haben einen der schönsten Orte Stuttgarts gestaltet Schön war’s: Von 2001 bis 2015 war die von Bottega + Ehrhardt Architekten eingerichtete Suite 212 in der Stuttgarter Theodor-Heuss-Straße ein wunderbarer Ort, um seine nervigen Tage angenehmer ausklingen zu lassen. Foto: Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Orientiert man sich als Planer lediglich an solchen Anforderungen, ist eine große Wohnschachtel mit Dach womöglich eine nahe liegende, aber keine formal befriedigende Lösung der komplizierten Bauaufgabe. Giorgio Bottega und Henning Ehrhardt sind allerdings seit vielen Jahren bekannt für Ihren mutigen architektonischen Zugriff, formal überzeugende und interessante Grundrisse und Räume in jeder Lage und unter schwierigen Bedingungen zu realisieren, nicht nur im privaten Wohnbereich. So haben Bottega + Ehrhardt Architekten einst einen der schönsten Orte in Stuttgart gestaltet: die Suite 212, eine Bar und ein Club auf zwei Geschossen in der Theodor-Heuss-Straße, die Älteren werden sich wehmütig erinnern.

Aufwertung durch Architektur

Vom Jahr 2001 an war die Suite 212 für einen jüngeren Menschen ein ziemlich gutes Argument gegen den Wegzug in eine größere, eventuell etwas coolere Stadt als Stuttgart. Und Bottega + Ehrhardt Architekten konnten en passant zeigen, wie ein Un-Ort wie die viel befahrene schmuddelige Verkehrsschneise durch gute Architektur aufgewertet werden kann. Heute ist von der Aufbruchstimmung der Nuller Jahre in der Theodor-Heuss-Straße allerdings kaum mehr etwas zu spüren. Wo einst die Leute in der Suite 212 gute Musik in minimalistischer Architektur ihre Lebenszeit extrem lässig verbummelten, lockt heute ein amerikanisches Fast-Food-Restaurant ein anderes Publikum an.

Doch auch das ist Architektur: oft leider vergänglich. Das Schicksal der Suite 212 wird das Haus mit dem hellen Bronze-Farbton auf der Halbhöhe im Stuttgarter Osten hoffentlich nicht ereilen. Es wirkt zumindest so, als wäre es hier hingebaut, um zu bleiben. Die Nachbarn sind ebenfalls glücklich, so hört man. „Wir wollten mit dem Ort umgehen. Das Haus sollte sich in die Landschaft einfügen und dennoch dezent auffallen“, sagt Henning Ehrhardt, während er mit der Hand über die Metallfassade streicht. Tatsächlich ist das Gebäude auch eine haptische Erfahrung, man will die Platten einfach berühren. „Es ist uns ein spannendes Spiel mit den Flächen gelungen“, sagt Giorgio Bottega.

Gute Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft

Und wenn es nach den Eigentümern geht, darf ihr Domizil noch ganz lange stehen bleiben, sie scheinen sichtlich glücklich mit der Entscheidung für den Neubau zu sein. Giorgio Bottega kann das bestätigen: „Die Zusammenarbeit mit dem Bauherrenpaar war sehr gut, seit dem Bauabschluss sind wir per Du. Das spricht für sich!“

Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde der Bau fertiggestellt, nach anderthalb Jahren Bauzeit. 340 Quadratmeter stehen der achtköpfigen Familie nun zur Verfügung, und dass alles seinen Platz, seine Ordnung hat und kein Chaos herrscht, selbst wenn Opa und Oma mal länger zu Besuch sind, liegt auch an den cleveren Einbauten und nahezu unsichtbaren Stauräumen, auch hinter der offenen, schwarzen Küche mit Insel.

Pendelleuchten von Tom Dixon in dem Haus in Stuttgart

Beim Besuch im Haus zeigt sich, wie im Erdgeschoss ein Regal den Raum teilen und zonieren darf, ein Luftschacht über dem Esstisch für Höhe sorgt und eine gute Verbindung der oberen Geschosse über eine skulpturale Treppe erreicht wird. Der metallische Effekt der Außenhülle wird im Inneren wieder aufgenommen: Giorgio Bottega hat Pendelleuchten von Tom Dixon anbringen lassen, das Modell Melt. Die Leuchten verströmen warme Opulenz und bilden einen Kontrast zum ansonsten strengen, reduzierten Farb- und Raumkonzept.

Die eigentlichen Rückzugsorte finden sich dann unter dem Dach. Zum einen gibt es das lang gestreckte Badezimmer, das durch das flache Fensterband den Blick ins Grüne gewährt und viel Licht hereinlässt – und das Ganze im Spiegel sich doppelt. Dazu raue Oberflächen, dunkler Schiefer – und viel helles Holz.

Auf der anderen Seite des Flurs dann der Zugang zum schnittigen Aussichtsplatz schlechthin: „Der im Obergeschoss zur Stadt hin verdrehte Balkon eröffnet eine wunderbare Perspektive auf die Stuttgarter City. Und verleiht dem Baukörper eine gewisse Dynamik und Kraft“, sagt Henning Ehrhardt, der Stuttgarter, der ja weiß, was diese Stadt so einzigartig macht.

Es sind die vielen Möglichkeiten der Selbstbespiegelung, die fortwährende Kesselschau. Vom Balkon aus hat man eine perfekte Sicht auf die nahe, dicht gepackte City. Und doch ist es fast ruhig auf der Gänsheide, hört man nur Kirchenläuten und Vogelgezwitscher, als wäre man auf dem Land. Stuttgart halt.