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Alexander Lukaschenko gilt als Wladimir Putins Vasall. Ein Experte sieht aber eine neue Lage in Belarus – die EU solle den Diktator nicht komplett ignorieren.

Bald sechs Jahre ist es her, dass sich in Belarus Großproteste gegen Alexander Lukaschenkos Regime erhoben. „Die Menschen haben Angst, zu protestieren. Oder sie sind schon verhaftet. Oder sie mussten das Land verlassen“, schilderte eine Expertin Anfang 2025 die neue Lage. Auch die Exil-Opposition steckt in teils selbst verschuldete Schwierigkeiten. Das bedeutet aber nicht, dass Lukaschenko sich beruhigt zurücklehnen kann, wie Politologe Boris Ginzburg dem Münchner Merkur von Ippen.Media sagt. Im Gegenteil: Belarus‘ Diktator befinde sich im Ukraine-Krieg in einem „Balanceakt“.

Alexander Lukaschenko bei einem Treffen der GUS-Staaten in Tadschikistan.Alexander Lukaschenko bei einem Treffen der GUS-Staaten in Tadschikistan. © IMAGO/Li Renzi

Warum? „Der Faktor Russland verschwindet nicht“, sagt Ginzburg, der sich an der FU Berlin unter anderem mit Belarus und der russischen Opposition befasst: „Lukaschenko muss einerseits natürlich der treue Freund des Kreml sein, andererseits muss er gegenüber der EU und den USA das Image aufrechterhalten, dialogbereit zu sein.“ Der Regimechef habe aber natürlich nicht „den westlichen Demokraten in sich entdeckt“. Sondern er versuche zu vermeiden, in vollständige Abhängigkeit von Wladimir Putin zu geraten. Dabei gehe Belarus teils erstaunliche Wege.

Belarus schießt Drohnen ab: Experte sieht „geöffnetes Fenster“

Einerseits liefere das Land Militärprodukte an Russland. Andererseits signalisiere Minsk Hilfsbereitschaft gen EU, betont Ginzburg. So warnte das belarusische Militär Polen, als jüngst ein Drohnenschwarm in Richtung des Landes unterwegs war. In mehreren Fällen hat Belarus sogar russische Drohnen auf dem Weg Richtung EU abgeschossen, betont Ginzburg. Das meldete Minsk – aber auch der ukrainische Geheimdienst HRU. Die Botschaft dem Experten zufolge: „Seht her, wir haben dem Westen geholfen.“

Aus Sicht des Experten bietet die Situation sogar eine Chance für die EU – die diese nicht verpassen sollte. Dabei könnte es einerseits um die Freilassung inhaftierter Oppositioneller in Belarus gehen. Aber auch um eine hypothetische „Nachkriegsordnung“ nach Ende des russischen Überfalls auf die Ukraine. Belarus grenzt ebenso wie die russische Exklave Kaliningrad an die Suwalki-Lücke – einen nur rund 65 Kilometer breiter Korridor, der die einzige Landverbindung zwischen den NATO-Ländern Polen und Litauen darstellt. Und eine militärisch verletzliche Zone.

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Man sollte den Regime-Chef daher nicht als Vasallen Putins abtun, meint Ginzburg. Tatsächlich sagen auch andere Experten: Belarus könnte versuchen, nach Ende des Kriegs eine eigene Rolle zu spielen – aus Sorge vor Russland. Das Zeitfenster sei aber womöglich begrenzt, warnt Ginzburg. Sobald der Dialog zwischen US-Präsident Donald Trump und Wladimir Putin einfriere, werde auch Lukaschenko seine Rechtfertigung verlieren, mit westlichen Politikern zu sprechen, meint er. Nützlich könnten einstweilen just die politischen „Ausreißer“ im Kreise der EU-Staaten sein. Viktor Orbáns Ungarn etwa.

„Diese Staaten können als Kommunikationskanäle genutzt werden, auch zur Deeskalation“, meint der Experte. Man müsse sich zwar gewahr sein, dass Lukaschenko schon mehrfach zwischen politischem Tauwetter und harter Repression hin und her wechselte. Diesmal sei die Situation aber womöglich ein wenig anders: „Lukaschenkos Motive haben sich verändert.“

Lukaschenko in Sorge um eigene Sicherheit – „auch vor Russland schützen“

„Machterhaltung ist ein wichtiger Faktor. Aber Lukaschenko ist kein junger Mann mehr – und er hat gesundheitliche Probleme, wie man hört.“ Dem Diktator gehe es zuvorderst darum, seine eigene Sicherheit und die seiner Familie zu gewährleisten: „Nicht nur vor der NATO, sondern auch vor Russland.“

Eine gewichtige Rolle spielt Trump. Es war offenbar die US-Regierung, die Freilassung belarusischer Oppositioneller erwirkte. Ginzburg sieht ein besonderes Zusammenspiel – denn als zweiter Zugriffshebel auf Putin sei Lukaschenko für die USA durchaus interessant. Zugleich habe Lukaschenko nach einer Unterredung mit dem Stellvertreter des US-Sondergesandten Keith Kollegg, John Cole, im August gewarnt: Sollten die USA die belarusische Opposition unterstützen, werde jeder Dialog enden.

„Ich glaube nicht, dass Lukaschenko in der Position ist, den Amerikanern irgendwelche Ultimaten stellen zu können“, sagt Ginzburg. Dennoch sei die Mahnung für die „sehr realpolitisch“ agierenden USA nicht irrelevant. Mit China sei indes sogar ein weiterer Spieler involviert. Polens damaliger Präsident Andrzej Duda habe 2024 auf einem China-Besuch eine Warnung ausgesprochen. Sollte Lukaschenko weiter gegen Polen und dessen Bürger agieren, müsse man den Warenfluss aus Belarus stoppen – inklusive chinesischer Transitwaren. „Seitdem soll Peking seinen Einfluss in Minsk nutzen, damit Minsk seine Beziehungen zu Polen nicht zu sehr überstrapaziert“, sagt der Experte.

Die Lage ist also komplex. Sowohl für Lukaschenko, als auch für die belarusische Opposition. Einstweilen sei Kommunikation möglich. „Für die EU bedeutet das in gewisser Hinsicht, vielleicht tatsächlich zu überlegen, ob es nicht Sinn machen würde, dieses noch geöffnete Zeitfenster zu nutzen“, sagt Ginzburg. Signale in diese Richtung gebe es: Zwischen 6. und 9. Oktober trafen sich Diplomaten einzelner EU-Staaten mit belarusischen Vertretern in Paris. Themen seien die Rolle Minsks als Vermittler im Ukraine-Krieg gewesen – sowie dessen Rolle in einer möglichen neuen Friedensordnung. (Quellen: Gespräch mit Boris Ginzburg, eigene Recherchen/fn)