Die Globalisierung hat China und anderen grossen Schwellenländern Auftrieb verliehen. Der Handelsstreit der USA stärkt das Interesse an einer Zusammenarbeit untereinander.
Catherine Bosley28.10.2025, 09.54 Uhr
Mohammed bin Zayed al-Nahyan der Vereinigten Emirate, Abiy Ahmed aus Äthiopien, Indonesiens Präsident Prabowo Subianto und sein südafrikanisches Gegenüber Cyril Ramaphosa beim Treffen der Brics-Staaten in Rio de Janeiro im Juli 2025.
Dado Galdieri / Bloomberg / Getty
Maga (Make America great again) beschäftigt die Welt, wobei Maga wohl eher Ausdruck einer latenten geopolitischen Schwäche denn Stärke der Vereinigten Staaten ist. Die Folge: Andere Länder werden wirtschaftlich zusammengeschweisst.
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Der Besuch des indischen Premierministers Narendra Modi im eigentlich verfeindeten China kurz nachdem Washington seinem südasiatischen Partner schmerzhafte Handelszölle auferlegt hatte, macht die Neuausrichtung deutlich.
Die sogenannten Brics-Staaten – die aus Brasilien, Russland, Indien, China und einigen anderen aufstrebenden Ländern bunt zusammengesetzte Gruppe – bekommen aufgrund der amerikanischen Politik frischen Wind. Doch bis der üblicherweise als antiwestlich wahrgenommene Block mit den sieben führenden Industrienationen auf Augenhöhe konkurrieren kann, braucht es noch einiges an Reformen. Eine Alternative zum Dollar als Leitwährung ist nicht in Sicht.
Wirtschaftliche Gewichtsverschiebungen
Ein Vergleich der Wirtschaftsleistung der G-7-Staaten und derjenigen der sogenannten Brics-Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika macht den Trend deutlich. Der Anteil der Brics-Gruppe ist im vergangenen Vierteljahrhundert von 8 auf 25 Prozent gestiegen; derjenige der G-7 derweil von 65 auf 44 Prozent gesunken.
Blickt man genauer hin, zeigt sich allerdings ein differenzierteres Bild: Der Bedeutungsgewinn der Brics-Gruppe ist vor allem auf den Aufstieg Chinas zurückzuführen. So hat sich der Anteil, den das Reich der Mitte gemes
sen in laufenden Dollars zur weltweiten Wirtschaftsleistung beisteuert, seit 2000 von 4 auf 17 Prozent erhöht – gegenüber einem Rückgang von 30 auf 26 Prozent der USA. Kaufkraftbereinigt würde Chinas Anteil laut den Daten der Weltbank sogar 19 Prozent betragen und wäre damit bereits höher als die 15 Prozent der USA.
Die neue Weltordnung
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Indien vermochte seinen Anteil am in laufenden Dollars gemessenen globalen Bruttoinlandprodukt derweil zu verdoppeln – allerdings auf erst 3,5 Prozent. Auch derjenige des rohstoffreichen Russland verdoppelte sich dank den hohen Rohstoffpreisen, macht aber bloss 2 Prozent aus. Die Anteile von Brasilien (2 Prozent) und Südafrika (0,4 Prozent) sind im vergangenen Vierteljahrhundert ziemlich konstant geblieben.
China ist der grössere Handelspartner als die USA
Deutlich zeigen sich die Muster der neuen Weltordnung auch beim Handel. Hier hat der Anteil der USA am Aussenhandelsvolumen (Importe plus Exporte) im vergangenen Vierteljahrhundert von 16 auf 11 Prozent abgenommen – derjenige der übrigen sechs führenden Industrieländer von 32 auf 20 Prozent. China (inkl. Hongkong) vermochte seinen Anteil von 7 auf 15 Prozent mehr als zu verdoppeln. Auch derjenige der übrigen Brics-Staaten hat sich verdoppelt; allerdings erst auf knapp 10 Prozent.
Sind also die Brics-Staaten die grossen Gewinner der neuen Weltordnung?
Zweifel sind angebracht. Was die grössten fünf Schwellenländer verbinden soll, war bei ihrer Gründung als Bric 2006 und, erweitert um Südafrika, als loser Brics-Verbund 2010 äusserst unklar.
China und Indien sehen sich als politische Rivalen und streiten sich um ihren Grenzverlauf. Brasilien und Russland sind für China und Indien primär wichtige Rohstofflieferanten, aber sonst sehr auf ihre Eigenständigkeit und regionale Bedeutung bedacht. Eine Investitionsbank soll zwar die wirtschaftlichen Beziehungen der Brics-Staaten fördern helfen, und China und Indien versuchen ihren Partnern eine Fakturierung in ihren nationalen Währungen Yuan und Rupie statt in Dollar schmackhaft zu machen – doch mangels Währungskonvertibilität können sie mit Erträgen in Yuan oder indischer Rupie wenig anfangen.
Neue Brics-Mitglieder und Partner
Lange haben die Brics-Staaten also bloss marginale gemeinsame wirtschaftliche und politische Interessen gepflegt. Die zunehmende Rivalität zwischen den USA und China und der Handelsstreit der USA ändern das nun.
Die Brics-Organisation ist zum Versuch einer wachsenden Zahl von Schwellenländern geworden, sich handels- und währungspolitisch weniger einseitig von den USA abhängig zu machen und stärker aneinander (und de facto primär an China) anzulehnen. Das zeigt sich in der laufenden Erweiterung der Brics-Staatengruppe.
2024 sind Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate als Vollmitglieder aufgenommen worden; 2025 ist Indonesien dazugestossen. Zehn weitere Staaten (inkl. Thailand und Malaysia, die bisher eher Verbündete der USA waren) haben sich als Partnerstaaten mit der Brics-Gruppe assoziiert.
Auch wenn die Versammlung von Russland mit China und Iran stark antiwestlich-autoritäre Züge trägt, bleiben die Interessen innerhalb der Brics-Gruppe zu unterschiedlich, als dass sich die Organisation bald zu einer bedeutenden politischen Gegenkraft zur G-7 oder zu der Gruppe der 20 grössten Staaten, der G-20, aufschwingen dürfte. Im Vordergrund stehen wird wohl eher die Absicht, den wirtschaftlichen Austausch und den Welthandel zu fördern und stärker nach eigenem Gutdünken zu beeinflussen. China erweist sich bis jetzt als Befürworter des Erhalts der regelbasierten multilateralen Ordnung.
«Wir wollen ganz einfach Marktzugang», sagte Arsjad Rasjid, Verwaltungsratspräsident des indonesischen Unternehmerverbandes, während einer Paneldiskussion des Milken-Instituts im Oktober. «Beim Aspekt, dass es immer ums Politische geht, werden wir manchmal missverstanden.»
China und die südostasiatischen ASEAN-Staaten unterzeichneten diese Woche in Kuala Lumpur ein erweitertes Freihandelsabkommen.
Die meisten Brics-Länder teilen zudem das Interesse, vom Dollar unabhängiger und gegenüber allfälligen amerikanischen Sanktionen weniger verletzlich zu werden. Laut einer Statistik des Finanzdienstleisters Swift stiegen Zahlungen in Yuan infolge der amerikanischen Russland-Sanktionen im Jahr 2022 markant.
Dem Dollar Konkurrenz machen
Der Dollar ist durch seine Funktion als weltweite Leit- und Clearing-Währung zentral für das internationale Finanzsystem, aber auch den Welthandel. Noch immer sind von den Währungsreserven der Zentralbanken global 58 Prozent in Dollar denominiert. Und bei den Handelsfinanzierungen werden über drei Viertel in Dollar abgewickelt. Allerdings hat sich hier der Anteil des chinesischen Yuan in den vergangenen drei Jahren von 4,3 auf 7,3 Prozent erhöht.
China treibt die Internationalisierung des Renminbi seit einiger Zeit aktiv voran und verfolgt damit ein politisches Ziel der geostrategischen Positionierung. Vergangene Woche etwa kündete die Notenbank in Peking neue Massnahmen wie etwa den Ausbau des grenzüberschreitenden Renminbi-Zahlungsverkehrs an, mit dem Ziel, die globale Rolle der Währung zu stärken.
Auch Indien versucht, das Verwenden der Rupie voranzutreiben. Manchmal sprechen aber auch rein ökonomische Gründe für das Verwenden einer Nichtdollarwährung: die Kosten und der administrative Aufwand.
Wegen der Zinsdifferenz zwischen China und den USA ist der Yuan derzeit beliebt. Das Brics-Partnerland Kasachstan hat im September seine erste Yuan-Anleihe verkauft. Zahlen des Datenanbieters Bloomberg belegen, dass Schwellenländer ohne Russland und China dieses Jahr Renminbi-Anleihen im Wert von über 15 Milliarden Yuan (gut 2 Milliarden Dollar) emittiert haben. Doch trotz allen Rekorden ist das im Vergleich zum Markt für Dollaranleihen immer noch ein kleines Volumen.
Einer schneller wachsenden Bedeutung von Yuan und Rupie steht nach wie vor entgegen, dass diese Währungen ebenso wie der südafrikanische Rand Kapitalverkehrskontrollen unterliegen und nicht wirklich frei ein- und ausgeführt werden dürfen. Zum Beispiel beschränkt Peking den jährlichen Betrag rigide, den Bürger ins Ausland überweisen dürfen. Die chinesische Führung hat zwar Interesse an einer grösseren globalen Stellung des Yuan, doch die Kontrolle über den einheimischen Finanzmarkt ist für ihr System so zentral, dass sie den Yuan kaum bald völlig konvertibel machen wird. Vorstellbar ist allenfalls auch, dass Unternehmen aus Brics-Ländern beginnen, Geschäfte miteinander vermehrt in Kryptowährungen abzurechnen.
Um die Stellung der Gruppe auszubauen und ernsthaft mit dem Dollar zu konkurrieren, müssten die Brics-Länder also noch einiges unternehmen, insbesondere was die Modernisierung ihrer Finanzmarktinfrastruktur angeht.
«Solange die hohen amerikanischen Zölle bestehen bleiben, wird der diplomatische Tenor der Brics-Staaten die grössere Zusammenarbeit sein», erklärte Shilan Shah, stellvertretender Chefökonom für Schwellenländer bei Capital Economics. «Es ist allerdings zu bezweifeln, dass dies konkrete Auswirkungen wie engere Handelsbeziehungen oder eine deutliche Abkehr vom Dollar haben wird.»
Für die neue Weltordnung dürfte all dies heissen:
- Politik: Die Brics-Staaten sind eine wachsende Vereinigung von Schwellenländern mit dem gemeinsamen Interesse, einseitige Abhängigkeiten von den USA zu verringern. Sie werden stark von China geprägt und dürften kaum zu einer politischen Organisation werden, welche die Welt stark mitprägt. Dazu sind ihre Interessen zu unterschiedlich.
- Handel: Eine zunehmend multipolare Welt dürfte weniger von der Rivalität zwischen der G-7 und den Brics-Staaten geprägt werden als von der Rivalität zwischen den USA und China und von stärker regionalen Wirtschafts- und Handelsmustern. China integriert sich ökonomisch stärker in Asien, Brasilien im Mercosur, die europäischen Länder in Europa, wobei die transatlantische Achse bedeutend bleibt.
- Finanzen: Eine echte Alternative zum Dollar als Weltwährung haben die Brics-Staaten vorläufig nicht zu bieten, da sowohl der Yuan wie die Rupie nicht vollständig konvertibel sind und im Vergleich zum Dollar immer noch deutlich weniger Vertrauen geniessen. Wahrscheinlich ist aber, dass die Brics-Länder ihre Wirtschaftsbeziehungen untereinander verstärkt in Währungen ihrer Mitglieder oder in Kryptowährungen abrechnen und dass so allmählich eine Finanzwelt mit multiplen Leitwährungen entsteht.
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