Einen Bahnhof überbauen, um statt alter Hallen viele Quadratmeter neuer Büroflächen zu errichten? Was nach Stuttgart klingt, hat Wien bereits vor rund 50 Jahren durchexerziert. Der historische Franz-Josefs-Bahnhof am Julius-Tandler-Platz wurde zugunsten einer stattlichen Überbauung abgerissen. Die stammt von keinem Geringeren als Karl Schwanzer, der für das Projekt mit Gerhard Krampf, Harry Glück, Kurt Hlaweniczka, Franz Requat und Thomas Reinthaller zusammenarbeitete. Für den Entwurf verantwortlich war also eine Art Allstar-Team der Wiener Spätmoderne.

Diesem 1978 eröffneten Komplex blieb nun ein ähnliches Schicksal erspart. Die Wiener Büros Delugan Meissl Associated Architects und Josef Weichenberger Architects haben das riesenhafte Bauwerk komplett umgekrempelt. Im Vergleich zur Option „Abriss und Neubau“ konnten die CO2-Emissionen um fast 70 Prozent reduziert werden. Auch massig Beton und Stahl ließen sich einsparen. Das nun fertiggestellte Vorhaben namens Francis ist Ergebnis einer längeren Projektgeschichte, bei der auch weitere Grundstücke der Bahntrassen-Überbauung betrachtet wurden und werden.

Mit Blick auf die Verkehrsinfrastruktur vor Ort ist zunächst mal interessant, dass die Auslegung als Kopfbahnhof mit dem Neubau von 1978 erhalten blieb. Man betritt das Gebäude ebenerdig und kann bis zur Abfahrtshalle durchgehen. Eine wichtige Entscheidung der Architekt*innen bezüglich des Umbaus war der Rückbau einer vorgelagerten Treppenstruktur, um die Verbindung zwischen Vorplatz und Bahnsteig noch direkter zu gestalten. Die Anbindung der sogenannten Plaza-Ebene im zweiten Obergeschoss erfolgt nun stattdessen über eine mehrläufige Tribünentreppe im Inneren. Diese öffentliche Ebene ist teils als Innenhof ausgebildet, teils folgt sie der Gleistrasse und durchzieht damit den Block.

Die Intervention der Architekt*innen sah neben dem kompletten Neuausbau der Betonstruktur auch deren Öffnung vor. Wo zuvor eine Spiegelfassade dem einstigen Sitz der Bank Austria ein unnahbares Äußeres verlieh, öffnet sich das Volumen heute mit konventionelleren Fensterbändern und Terrassen. Brüstungsverkleidungen aus poliertem Edelstahl lassen Aspekte der ursprünglichen Gestaltung aber zumindest noch erahnen. Der Kontur des Bestands folgend wurden zwei Geschosse aufgestockt. Die Büronutzung bleib für das gesamte Gebäude erhalten. Aber im Sinne eines öffentlicheren Gebäudes wurden zusätzliche Gewerbeflächen wie Coworking-Spaces geschaffen. Gesicherte Fahrradparkplätze stehen ebenfalls bereit.

Während das Ergebnis im Außenraum für Laien wie ein Neubau wirken dürfte, bleibt im Inneren dank betonsichtiger Flächen die Geschichte des Gebäudes erfahrbar. Die Skelettstruktur mit vier Treppenhauskernen des Bestands bietet eine gute Voraussetzung für eine ebenso effiziente wie flexible Grundrissorganisation. Insgesamt wurde eine Bruttogrundfläche von 70.000 Quadratmetern oberirdisch und 11.000 Quadratmetern unterirdisch bearbeitet. (sb)
Fotos: Christian Pichlkastner, Gebhard Sengmüller

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