Der Rapper Dave hat in den letzten Jahren große Preise und Erfolge gesammelt, mit ambitioniertem Conscious-Rap einerseits und mit catchy Drill-Hits andererseits. Auf welche Seite fällt das neue Album The Boy Who Played The Harp? Und was hat es mit der Bibel zu tun?

Dave und David gegen Goliath

Im ersten Buch Samuel in der Bibel befiehlt König Saul dem jungen Hirten David, an seinen Hof zu kommen. Denn David kann Harfe spielen und soll damit Saul von bösen Geistern befreien. Nun vorgespult ins Jahr 2025, in dem der britische Rapper Dave sich mit dem biblischen David gleichsetzt – und das nicht nur, weil er denselben Vornamen trägt. Mit seiner Musik sucht er eine heilende Wirkung durch tiefe Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und sich selbst.

Klar, biblische Vergleiche sind nichts Neues und oft auch mal übertrieben. Aber Dave setzt sich auf The Boy Who Played The Harp ja nicht mit Gott oder Jesus gleich, sondern einem Jungen aus einfachen Verhältnissen, der durch seine musikalische Gabe aufsteigt. Später in der Bibel wird David zum König, aber das durch seine Bedachtheit und seinen Intellekt, wie als er den Riesen Goliath nicht durch rohe Kraft, sondern mit einer Steinschleuder erschlägt. Für einen Vergleich mit einem biblischen König ist das also verhältnismäßig bescheiden und so begegnet uns Dave auch auf The Boy Who Played The Harp: ehrlich, verletzlich und sozial bewusst.

The Boy Who Played The Harp für Zuhause:

Filmische Storyteller-Songs

Man kennt Dave als den Conscious-Rapper, der die dunklen Seiten der Gesellschaft beleuchtet. Als einen Storyteller, der in seinen Texten spannende Charakterporträts zeichnet. Als einen ambitionierten Künstler, der mit Alben wie Psychodrama und We’re All Alone In This Together den Mercury Prize und Brit Awards einheimste. Der aber auch riesige Hits wie seinen Drill-Song Sprinter mit Central Cee haben kann. Ist der Boy Who Played the Harp immer noch dieser Dave, den man bisher kannte?

Größtenteils. Musikalisch bieten die Songs auf dem Album immer noch Beats, die sich nicht zu sehr aufdrängen, sondern ruhige Flächen für die Texte legen. Sie sind aber gleichzeitig angenehme Mischungen: aus modernen Hip-Hop-Genres wie Drill und Trap einerseits und andererseits atmosphärischer, filmischer Produktion, mit Streichern, Klavieren, Klassik-Gitarre und so weiter. Bereits im Opener History treffen James Blakes R&B-Chöre auf Kirchenorgeln – passend zur Bibel-Thematik des Albumtitels.

Eindeutige, simple Drill-Ohrwürmer wie Sprinter oder Location gibt es auf dem Album aber kaum. Es gab ja nicht mal Vorab-Singles. Das größte Hit-Potenzial liegt wahrscheinlich bei einem klaren Highlight namens Raindance: ein großartiges Aufeinandertreffen von einer innig erzählten Lovestory seitens Dave und herzerwärmendem Gesang der Künstlerin Tems.

Persönliche Ängste und Glauben

Und hat Dave sich textlich verändert? Er ist hier noch persönlicher. In Marvellous und Fairchild erzählt er zwar immer noch Geschichten anderer Personen, über die schiefe Bahn, die zur Kriminalität führt und über sexualisierte Gewalt. Aber in beiden Fällen bezieht er sie schlussendlich auf sich selbst und stellt sich Fragen wie: Hätte er selbst es verdient, wie sein Freund im Gefängnis zu landen? Könnte er selbst so ein Mann werden, der Frauen sexuell ausnutzt, und hat er Frauen sogar bereits in seinen Texten objektifiziert?

Dave teilt in allen Tracks seine intimsten Ängste und sucht die Erlösung in Religion. Die biblischen Vergleiche sind ja nicht zum Spaß hier. Auf 175 Months erzählt der UK-Rapper, dass er sich seinem Glauben wieder nähern will, aber von einer Angst geplagt wird: Hat jemand, der so ein hedonistisches Leben in Wohlstand lebt wie er, überhaupt die Liebe Gottes verdient? „How am I tryna pray for Congo with these diamonds on my neck?“

Ein König kann schachmatt gesetzt werden

Eine besonders spannende Bibel-Referenz findet sich in Chapter 16, einem Track, der ein Abendessen zwischen Dave und einem seiner Rap-Idole, dem Grime-Pionier Kano, einfängt. Das 16. Kapitel im Titel bezieht sich auf das Kapitel im ersten Buch Samuel, in dem David von Saul zum König gesalbt wird. Denn dieses Gespräch zwischen den beiden Rappern wirkt, als würde Kano sein Zepter an Dave übergeben. Kano gibt seinem Lehrling wichtige Weisheiten mit, über Liebe, über Status, über das Künstlerdasein. In einer cleveren Schach-Metapher erklärt er: „This game ain’t for the throne and kings are checkable / ‚Cause, to be a better you, envy’s inevitable“.

Dave lernt also, dass es gar nicht das Ziel sein muss, die Nummer Eins zu sein – sondern ein besseres Ich. Durch Glauben, durch verletzliche Selbstreflexion und den Ausdruck in Musik versucht er im Album, sich selbst näher zu kommen. Man muss kein König sein, weiß Dave. Man kann auch einfach ein Hirtenjunge sein, der die Harfe spielt.

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