Verträumte Ästhetik: Edwin Rosen vor einem Jahr im Wizemann Foto: LICHTGUT
Nach zwei Jahren Pause kehrt Edwin Rosen mit der „Wenn-alle-Stricke-reißen”-Tour in seine Heimatstadt zurück und zeigt, wie Melancholie tanzbar wird.
Die Stimmung von Edwin Rosens Musik ließe sich wohl kaum treffender in einem Bild festhalten als in der Szene, die sich dem Publikum am Mittwochabend auf der Bühne des LKA Longhorn bietet: Eine verfallene Bushaltestelle in der Dunkelheit umrankt von Efeu und Laub, durch die Nebelschwaden ziehen. Heulender Wind und Krähengeschrei verdichten die Atmosphäre, bis ein dröhnender Bass einsetzt und der Star des Abends ins Scheinwerferlicht tritt.
Edwin Rosen trägt ein dunkles Outfit und gibt oft düstere Töne in Begleitung seines Synthesizers und vereinzelten Gitarrenriffs von sich – doch die Miene des Künstlers selbst ist alles andere als das. Grinsend singt er seine vom New Wave und Synthie-Pop inspirierten Hits wie „21 Nächte” oder „Kontrollverlust” sowie drei unfertige Songs, die bald erscheinen sollen. Dass Rosen seit dem Durchbruch mit seinem ersten deutschsprachigen Song „leichter//kälter” 2020 nur selten musikalische Lebenszeichen von sich gibt, scheint ihm das Publikum in seiner Heimatstadt nicht übel zu nehmen. Mit seiner „Neuen Neuen Deutschen Welle” hat er die deutsche Musiklandschaft überflutet und bleibt trotzdem ein spürbar bodenständiger Künstler, der sich um das Wohlbefinden aller Beteiligten sorgt.
Schmerz der Einsamkeit
Den Merchandise mit der für ihn typisch verträumten Ästhetik habe Rosen während seines Urlaubs in Norwegen entworfen, wie er erzählt. Gedruckt werden die Sticker und Plakate in einer Siebdruckerei, die Menschen mit Suchterfahrung einen Einstieg in ein geregeltes Arbeitsumfeld ermöglicht. Bereits vor der Homecoming-Show weist Rosen per Mail und in Instagram Posts auf eine Telefonnummer hin, die bei Übergriffen oder Auseinandersetzungen während des Konzerts eine Anlaufstelle bieten soll und bittet um Rücksicht auf andere. Wie wichtig dies ist, zeigt sich bei dem Auftritt von Voract Kkoki, die bei einem medizinischen Vorfall im Publikum ihre Performance unterbricht bis Sanitäter die betroffene Person erreicht haben.
Auf dem Plastikstuhl der Bushaltestelle sitzend, macht Rosen außerdem nach dem von Melancholie durchzogenen „Wie sehr tut es weh?” auf das Thema Einsamkeit bei Jugendlichen aufmerksam. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2024 zufolge fühlen sich 46 Prozent der 16- bis 30-Jährigen moderat oder stark einsam – eine Zahl, die Rosen als alarmierend beschreibt. „Es ist kein Zeichen von Schwäche, sich Hilfe zu suchen”, richtet er sich an das überwiegend junge Publikum. Ein Gefühl von Gemeinschaft erfüllt den Raum spätestens, als alle gemeinsam „Komm, wir verschwenden unsere Zeit zusammen” singen.
Edwin Rosen destilliert die Sehnsüchte einer Generation
Edwin Rosen schafft es, wie kaum ein anderer, Nostalgie und Schwermut tanzbar zu machen und die Sehnsüchte einer Generation zu destillieren. So kann sich das Publikum nun an einsamen Bushaltestellen mit seiner Musik in die Szenen jenes Abends im LKA Longhorn zurückversetzen. Seine Hymne „Vertigo” darf dabei natürlich nicht fehlen. Bei der Zugabe stimmt das Publikum lautstark ein: „Alles zieht an mir vorbei, bitte bleib doch hier. Bleib noch eine Nacht, hier bei mir” – und tatsächlich bleibt Rosen selbst noch eine Nacht länger in der Stadt, um am Folgeabend ein weiteres Konzert auf seiner “Wenn alle Stricke reißen”-Tour zu spielen. „Thank you Stuttgart for Birthing Edwin Rosen“ bedankt sich Voract Kkoki bei der Heimatstadt von Edwin Rosen.
Setlist
Schau dir zu
21 Nächte wach
Verschwende deine Zeit
Keine Zeit
Unveröffentlichter Song
1119
Balancieren
mitleerenhänden
leichter//kälter
Die Sonne in deinem Zimmer
Die Sterne
Wie sehr tut es weh?
Unveröffentlichter Song
Kontrollverlust
Unveröffentlichter Song: Wenn alle Stricke reißen
Vertigo