„Ich glaube, dass das Altmodische der Digitalisierung und Verpixelung von Beziehungen und Gefühlen entgegenzusetzen ist.“ So schrieb es Dieter Dorn 2013 in seiner Autobiografie „Spielt weiter!“. Sein Credo: Der Text steht im Mittelpunkt einer jeden Inszenierung. Aus ihm entwickelt der Regisseur seine Lesart, und stülpt nicht umgekehrt die eigenen Vorstellungen über das Werk. Auf viele wirkte diese Auffassung spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts wie aus der Zeit gefallen. Dorn indes hielt unverbrüchlich an seinem Bekenntnis fest. Mögen ihn viele deswegen für altmodisch gehalten haben – egal, dann wollte er gerne altmodisch sein!
Theater als Kunstvorgang
Als Regisseur sei es natürlich leicht, beim Lesen eines Stückes all das mit der Schere wegzuschneiden, was man nicht begreife, und nur den Rest stehenzulassen, „und dann kommen ihre eigenen Obsessionen dazu, und sie legen sich die Figuren so zurecht, dass sie da reinpassen.“ Diese Form von Regietheater aber, erklärte Dorn einmal im BR-Interview, sei „Leichenfledderei und Angeberei“, habe jedoch „mit dem Versuch, aus einem Theaterabend so was wie einen Kunstvorgang zu machen, wenig zu tun.“
Die weiße Brandmauer
Aus dem Wunsch, die Konzentration auf den Text zu legen, auf das gesprochene Wort, entwickelte Dorn seine Ästhetik. Charakteristisch für seine Inszenierungen: die bis zur weiß gestrichenen Brandmauer aufgerissene Bühne, vor der sich die Figuren scharf konturiert abzeichneten. Über dreieinhalb Jahrzehnte verfeinerte und vertiefter der 1935 in Leipzig geborene Theatermacher seine Handschrift, erst als Oberspielleiter, dann schon bald als Intendant der Münchner Kammerspiele. Unmittelbar im Anschluss leitete er für weitere zehn Jahre das Münchner Residenztheater, wo er sich 2011 mit einer Inszenierung von Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ verabschiedete.
Das sagenhafte Dorn-Ensemble
Was diese Scharfzeichnung der Charaktere betraf, so trug dazu natürlich auch das bundesweit bewunderte Ensemble aus Hochkarätern bei, das Dieter Dorn um sich versammelt hatte. Rolf Boysen und Thomas Holtzmann beispielsweise in Shakespeares „König Lear“. Gisela Stein und Cornelia Froboess in „Die eine und die andere“ von Botho Strauß, neben Shakespeare der wohl wichtigste Dramatiker für Dorn. Helmut Griem als Goethes „Faust“. Oder Peter Lühr als Narr in „Was ihr wollt“ – um nur einige Stars und Erfolgsinszenierungen zu nennen.
Leben mit den Toten
Auch Edgar Selge und Franziska Walser, Axel Milberg, Sunnyi Melles, Sibylle Canonica, Anna Schudt, Stefan Hunstein oder Jens Harzer gehörten diesem legendären Dorn-Ensemble an. Etliche seiner Weggefährten aber wie Holtzmann, Boysen, Griem, Rudolf Wessely, Gisela Stein oder Peter Herzog sind längst verstorben, einige bereits während der Jahre am Residenztheater. Aber, sagt Dorn, „es ist eigentlich so, dass ich mit diesen einzelnen Menschen, die uns dann nach und nach verlassen haben, weitergelebt habe.“ In Gedanken und im Geiste waren sie ihm nach wie vor präsent: „Die waren nicht weg.“
Dorns Vermächtnis
Nach dem Ende seiner Intendanz am Resi kehrte Dieter Dorn dem Sprechtheater weitgehend den Rücken und konzentriere sich auf die Opernregie. In Genf inszenierte er Wagners „Ring“, Verdis „La Traviata“ in Berlin. Im Schauspiel hat er das Feld für andere geräumt, denen er den Titel seiner Autobiografie gewissermaßen als Auftrag für die Zukunft hinterlassen hat: „Spielt weiter!“ Denn das Theater ist für Dorn ein Instrument, das es weiter zu erhalten gilt; und dessen Reichtum gerade in seiner Einfachheit liegt: „Es reicht ein leerer Raum, wo ein Mensch vor anderen Menschen spielt. Ein einfacheres und grandioseres Zeichen kann es überhaupt nicht geben.“