Wollen die einen auf eine falsche Fährte locken, Ja-damals-Gefühle evozieren und uns mitnehmen in ein musikalisches Arkadien, dorthin, wo Milch und Honig fließen? Süßes ohne Saures bei einem Festival des modernen Jazz!? Die Bandnamen des Doppelkonzerts legen es nahe: Slowfox 4 und Nostalgia Trio. Doch schnell wird klar: Hier zeigt sich der zeitgenössische Jazz von seiner kitschfreien Seite, weil hier Widerständen nicht ausgewichen wird, um Harmonie zu erzeugen. Beide Jazzformationen folgen Senecas Motto per aspera ad astra – durch das Raue, Unwegsame hin zum strahlenden Licht. So entsteht wahre Schönheit.
Den Anfang macht das kammermusikalische Quartett Slowfox 4 des Kontrabassisten Sebastian Gramss, das sich nach einem Standardtanz benennt. Vielleicht sind sie fasziniert von der Spannung in der Weichheit der tänzerischen Bewegungen. Jedenfalls vollzieht sich da eine Improvisationsmusik, in der ein Glutkern lodert, als könne es jeden Moment zu Eruptionen kommen. Das bewirkt eine Dynamik, die durch Rhythmuswechsel forciert wird. Slowfox 4 kommt sanft daher wie ein Windhauch und ist auf dem Sprung wie ein Raubtier auf der Jagd. Das Quartett aus Köln überzeugt mit ausbalanciertem Ensemble-Sound und bravourösen Solos, insbesondere des Pianisten Philipp Zoubek und des Saxofonisten Hayden Chishom. Dieser in Neusseeland geborene SWR-Preisträger hat schon in der Band Root 70 des Posaunisten Nils Wogram ins Horn gestoßen. Der bestreitet nun mit neuer Formation, dem Nostalgia Trio, das zweite Konzert des Abends, für viele ein Top Act der 46. Stuttgarter Jazztage. Die Veranstalter der IG Jazz freuen sich übrigens darüber, dass ihre Konzerte allesamt ausverkauft sind.
Mit seiner Hammond B3 – auch „Schweineorgel“ genannt – breitet Arno Krijger einen weichen Klangteppich aus. Bittersüße Töne lässt er durch den Raum schweben. Schlagzeuger Dejan Terzić bringt mit raffiniert gesetzten Beats Schwung in die Bude. Bandleader Nils Wogram ist es da eine Freude einzusteigen. Mit warmem Posaunenklang lotet er improvisierend die Harmonien seiner Kompositionen aus. Es geht ihm um die Schönheit des Klangs und die Klarheit der Aussagen. Im aufmerksam mitgehenden Publikum verwechselt das niemand mit Glätte und Beliebigkeit. Traumhaftes Spielverständnis zeichnet diese Besetzung aus.
Beim Autofahren ist es ratsam, in den Rückspiegel zu schauen, und auch im zeitgenössischen Jazz empfiehlt sich der Blick zurück. Das Nostalgia Trio ergründet die Vergangenheit, um die Zukunft des Jazz zu gestalten. Das tut der in der Schweiz lebende Wogram aus Norddeutschland beim Projekt The Walk auf seine Weise: mit der Posaune als sparsame Bassbegleitung, aber wehe, wenn sie losgelassen! Dann sprüht der 52-jährige Wogram als Solist vor Spiellust und zeigt seine ganze Virtuosität. Der große, vor zwanzig Jahren gestorbene Jazzposaunist Albert Mangelsdorff wäre begeistert.