Einer der Bräuche beim einzigartigen Traditionsklub und einst scheinbar ewigen Zweitligisten Fortuna Köln bestand darin, dass auf den Pressekonferenzen im Restaurant „Bacchus“ der Präsident selbst die Speisekarte austeilte und die Wünsche der Journalisten für das Mittagessen entgegennahm. Anschließend kommentierte Jean Löring die Entscheidungen. Wählte jemand Salat, äußerte er Unverständnis, und als mal ein Journalist die Wachtelbrust anmeldete, stellte Löring dessen Männlichkeit infrage. Doch nie gab es am Mittagstisch ein größeres Politikum als in dem Moment, in dem ein Reporter die Linsensuppe orderte.

Dem populären Fortuna-Trainer Hannes Linßen hatte der alleinherrschende Präsident tags zuvor die Kündigung ausgesprochen. Und das war keine Trainerentlassung der konventionellen Art, sie setzte zwei gravierende Schlussstriche auf einmal: unter einen langjährigen Zeitabschnitt in der Geschichte des heutigen Regionalligisten Fortuna. Und unter eine Beziehung, die es im hiesigen Profigeschäft wohl kein zweites Mal gegeben hat. Gemeinsam prägten die beiden Männer einen skurrilen Schauplatz des deutschen Fußballs, der kölsche Autokrat Löring und der niederrheinische Zuwanderer Linßen, der ein liebenswürdiger, zivilisierter und geradliniger Mann war und gerade dadurch manchmal etwas exzentrisch erschien. Wozu aber auch seine verwegen wehende Nicht-Frisur beitrug.

Als es mal schlecht lief, stellte Trainer Linßen das Reden mit den Profis ein

Johannes Linßen, der 1949 in Wachtendonk geboren wurde und nun 76-jährig in Köln verstorben ist, hatte bis 1984 zehn Jahre für Fortuna in der zweiten Liga gespielt. Später stellte ihn Löring dreimal als Cheftrainer ein. Zweimal trat Linßen von seinem Amt zurück, nachdem Fortuna unter bisweilen tragikomischen Umständen den Aufstieg verpasst hatte, das dritte Engagement endete mit der Entlassung. Darüber war Linßen verärgert, er nahm Abstand von Löring. Bis zu dessen Tod im Jahr 2005 gab es kaum noch Kontakt zwischen den beiden, obwohl sie so lange durch den SC Fortuna und unzählige Anekdoten verbunden waren. Zwar waren die beiden sehr unterschiedliche Originale, aber sie waren auch zwei Menschen mit starkem Charakter, das brachte sie zusammen.

Eine Beziehung, die es im deutschen Profigeschäft wohl kein zweites Mal gegeben hat: Präsident Jean Löring (rechts) und Trainer Hannes Linßen bei Fortuna Köln.Eine Beziehung, die es im deutschen Profigeschäft wohl kein zweites Mal gegeben hat: Präsident Jean Löring (rechts) und Trainer Hannes Linßen bei Fortuna Köln. (Foto: Imago)

Die Beziehung begann mit einem Erlebnis, das typisch war für die Eigenheiten des Klubs, dem sich Linßen – vom Bundesligisten MSV Duisburg kommend – angeschlossen hatte. Im Trainingslager in Österreich standen Prämienverhandlungen mit dem Präsidenten an. Es hieß, dass Jean Löring krank sei, die Verhandlung aber hinter sich bringen wollte. So standen Kapitän Wolfgang Fahrian, der Neuling Linßen und zwei weitere Mitglieder des Mannschaftsrates im Kreis um das Bett des Chefs, der auf den Wunsch nach einer Punktprämie von 400 Mark mit einem schweren Hustenanfall reagierte. „Was ihr für Forderungen stellt. Ich bin krank! Ihr wollt mich ruinieren!“, stieß er nach Linßens Erinnerung hervor. Schließlich akzeptierten die Profis die Hälfte, doch Linßen hatte Gewissensbisse, einen kranken Mann belastet zu haben. Bis ihn sein erfahrener irischer Teamkollege Noel Campbell belehrte: „Der hat gar nichts, der will nur nicht bezahlen!“

Ging es ums Geld, das er in den Verein steckte, war Löring trickreich. Unter anderem handelte er mit Spielern das Gehalt beim Fußballtennis in seinem Privatschloss in der Eifel aus. Dabei nutzte er den Heimvorteil, indem er die Kandidaten auf der schlechteren Seite spielen ließ und die Regeln diktierte. Linßen erlebte auch, wie Löring die Sieg- und Auflaufprämien strich, denn „es war Weltwirtschaftskrise, zumindest in der Kölner Südstadt“, wie er mit typischer Ironie formulierte. Statt Prämien sollte das Team an den Zuschauereinnahmen partizipieren. „Aber wir haben doch gar keine Zuschauer“, protestierte Linßen. „Eben“, sagte Löring.

Als Trainer erreichte Linßen 1986 die Relegationsrunde mit Borussia Dortmund, in der Jürgen „Kobra“ Wegmann den BVB in letzter Minute rettete. Linßens Arbeit wurde, wie aktuelle digitale Trauerbekundungen bezeugen, von seinen Spielern geschätzt, wenn auch nicht immer. Als es mal schlecht lief, stellte der Trainer das Reden mit den Profis ein – er sagte tagelang kein Wort zu ihnen. Erst am Spieltag sprach er wieder: „Sonst wären sie wohl mit 15 Mann auf den Platz gegangen“, sagte er.

Außer durch seine Fortuna-Zeit schrieb Linßen dadurch Fußballgeschichte, dass er laut Recherchen des Historikers Udo Muras im Januar 1971 beim MSV die erste gelbe Karte seit Einführung der Symbolschilder erhielt. Ein Justizirrtum – gemeckert hatte ein anderer Spieler.

Auch beim 1. FC Köln hat Linßen mehrere Jobs ausgeübt. Als Co-Trainer von Erich Rutemöller und Interimschefcoach sowie Jahre später als Sportdirektor, wo er 2002 wegen Differenzen über den Kurs zurücktrat. Kurzerhand erklärte er danach, das Fußballgeschäft verlassen zu wollen – und zur Verblüffung für alle, die ihn nicht kannten, blieb er auch dabei.