Da saß er auf der Tribüne, der alte Vereinsheld, und hielt es offiziell mit den anderen. Zumindest wäre Mario Gomez kraft Amtes gut beraten, erhebliche Freude über Leipzigs 3:1-Sieg gegen den VfB Stuttgart zu empfinden, seine ursprüngliche Heimat- und Herzensmannschaft. Nicht zielführend wäre es dabei allerdings, genauer über das Amt von Mario Gomez nachzudenken. Er macht bei RB irgendwas mit Fußball und Flugzeugen, er reist von einem RB-Standort zum nächsten und hinterlässt dort Expertisen. Immer wieder trifft man ihn auch auf der Tribüne in Leipzig an, wie an diesem Wochenende, als er zwischen dem Geschäftsführer Marcel Schäfer und dem Ober-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff zu sitzen kam. Und von dort sicher auch jene Lücke erspähte, die bei seiner ehemaligen Heimat- und Herzensmannschaft klaffte und seiner neuen Mannschaft den Sieg ermöglichte.

Der VfB Stuttgart, als Tabellendritter angereist, hat beim Spiel in Leipzig eine Menge richtig gemacht, ebenso wie im bisherigen Verlauf der Saison. Die Mannschaft tut das, was eine Mannschaft idealerweise tun sollte, sie lernt im laufenden Spielbetrieb. Mit Mehrfachbelastung und Rotation gehen die Stuttgarter schon deutlich selbstverständlicher um als in der vorigen Saison, die Defensive wirkt deutlich seriöser. Nur ganz vorn – dort, wo erst Serhou Guirassy stand und danach Nick Woltemade – muss sich die Elf von Trainer Sebastian Hoeneß gerade mit unterschiedlichen Formen von Problemzonengymnastik behelfen. Seit am letzten Transfertag die Verpflichtung eines Woltemade-Nachfolgers scheiterte, vermissen sie beim VfB vielleicht nicht den Mario Gomez, aber einen Mario Gomez. Einen Zielspieler, dessen natürliche Strafraumpräsenz es Halbstürmern wie Undav, Tomás, Leweling oder Führich ermöglichen würde, Halbstürmer bleiben zu dürfen – und nicht in Vertretung des langzeitverletzten Neuners Ermedin Demirovic Spiele entscheiden zu müssen.

Später, nachdem Leipzigs Zielspieler Romulo eine kurze Verwirrtheit des ansonsten sehr präsenten VfB-Torhüters Alexander Nübel zum 3:1 genutzt hatte, wurde da und dort noch mal das vorübergehende Interesse der Stuttgarter an Romulo thematisiert. Diesen Angreifer mit nahezu kompletter Sonderausstattung, angeblich für etwas über 20 Millionen aus der Türkei nach Leipzig gekommen, hätten sich die Stuttgarter am Ende sogar leisten können, aber er war halt schon in Leipzig und damit vom Markt, als Woltemade den VfB plötzlich doch noch verließ.

Dank des Misserfolgs der Xavi-Simons-Elf hat das aktuelle RB Leipzig mehr Zeit für Training und Regeneration

Der Brasilianer Romulo war entgegen seiner gewaltigen Statur nur ein kleinerer Hauptdarsteller bei diesem 3:1, dennoch steht er stellvertretend für die Unterschiede der beiden Teams, die sich gegenseitig in „ein hochklassiges Spiel“ verwickelten, wie Hoeneß zu Recht bilanzierte. Die unbarmherzig effizienten Leipziger brauchen im Moment nicht viel, um viel zu bekommen (22 Punkte aus neun Spielen, ein Bundesliga-Startrekord für RB!), während die Stuttgarter an diesem Nachmittag viele anspruchsvolle Spielzüge benötigten, um nicht genug dafür zu bekommen. Was eben auch daran liegt, dass die Leipziger ihre Hausaufgaben im Sommer vollumfänglich erledigt haben, während der VfB die Gomez/Guirassy/Woltemade-Planstelle nicht besetzt bekam.

Der passende Hauptdarsteller des Nachmittags war der ivorische Außenstürmer Yan Diomande mit der Rückennummer 49, ein 18-Jähriger, den die Leipziger beim spanischen Absteiger CD Leganes entdeckten und für stattliche 20 Millionen auslösten. All das folgt dem einst von Ralf Rangnick etablierten Blue-Chip-Prinzip: die unzähligen und ungezählten RB-Millionen zu nutzen, um das vermeintlich Böse (pfui, Konzernklub!) mit dem Guten (bravo, Talentförderung!) zu verbinden. Diomande provozierte erst das Eigentor des Stuttgarters Jeff Chabot (45.), das zweite Tor erzielte er nach einem packenden Flügellauf selbst (53.). Vom Gegner nie zu stoppen, so lautet die in der Fußballsprache dafür vorgesehene Formulierung.

„Eine nahezu perfekte englische Woche“ erkannte RB-Coach Ole Werner nach den Liga- und Pokalsiegen gegen Augsburg (6:0), Cottbus (4:1) und den VfB (3:1), die RB zu einem seriösen Tabellenzweiten gemacht haben. Tatsächlich scheint es den Leipzig 49ers dank und mit Yan Diomande gelungen zu sein, die Abschiede der Offensivasse Xavi Simons, Benjamin Sesko und Loïs Openda zum Bau einer deutlich motivierter wirkenden Elf zu nutzen. Einer Elf, die vom Misserfolg ihrer Vorgänger profitiert: Weil die launische Xavi-Simons-Mannschaft sämtliche Europacupränge verpasste, hat die neue Mannschaft unter der Woche viel Zeit zum Trainieren und Regenerieren. Anders als der VfB, der am Donnerstagabend schon wieder Feyenoord Rotterdam in der Europa League empfängt – und einen Sieg dort dringender braucht als in der Bundesliga.