Mutationen in den Spermien –

Ältere Väter vererben mehr fehlerhafte Gene an ihren Nachwuchs

Publiziert heute um 18:43 UhrReifer Vater hält seine kleine Tochter im Sonnenschein, während sie die Kamera anlächelt.

Nicht nur das Alter der Mutter bei der Zeugung, sondern auch das Alter des Vaters hat einen Einfluss auf die Gesundheit des Kindes.

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In Kürze:

  • Das Risiko für genetische Erkrankungen beim Kind steigt mit zunehmendem Alter des Vaters deutlich an.
  • Spezielle DNA-Sequenzierungsmethoden zeigen mehr schädliche Genmutationen in Spermien älterer Männer.
  • Mit 50 Jahren haben Männer drei bis vier Prozent mutierte Spermien, fast doppelt so viele wie 30-Jährige.

Im Grossvateralter nochmals Vater werden? Für Männer ist das risikolos, dachte man lange. Prominente wie der Schauspieler Al Pacino, der im Alter von 83 Jahren noch einmal Vater wurde, haben es vorgemacht. Während bei Frauen schon ab 35 und spätestens ab 40 Jahren die Gefahr steigt, ein Kind mit einem Gendefekt zu bekommen, nahm man an, dass diese Gefahr bei Männern lange vernachlässigbar bleibe.

Eine aktuelle Studie im Fachmagazin «Nature» zeigt nun, dass das Alter des werdenden Vaters einen wichtigeren Einfluss auf die Gesundheit des Kindes hat als bisher angenommen.

Für die neue Studie arbeitete ein britisches Forscherteam des Wellcome Sanger Institute erstmals mit einer neuen, hochpräzisen DNA-Sequenzierungsmethode. Dieses Nanoseq genannte Verfahren ermöglichte eine viel genauere Untersuchung des Erbmaterials in den Spermien. Denn das bisher angewandte Standard-Sequenzierungsverfahren hat eine zu hohe Fehlerquote, um Mutationen in einzelnen DNA-Molekülen zu entdecken.

Die schädlichen Mutationen setzen sich gegen gesunde durch

Die Forscher untersuchten 81 Spermienproben von 57 gesunden Männern zwischen 24 und 75 Jahren und 119 Blutproben von Spendern zwischen 22 und 83 Jahren. Dabei wurde deutlich, dass mit dem Alter des Vaters das Risiko steigt, genetische Krankheiten an den Nachwuchs weiterzugeben. Und dass die Evolution diesen Mechanismus auch noch begünstigt:

Einige Veränderungen in der DNA entstehen nicht nur, sondern setzen sich in den Hoden sogar durch. «Das bedeutet, dass Väter, die erst spät im Leben Kinder zeugen, ein höheres Risiko haben, eine schädliche Mutation an ihre Kinder weiterzugeben», schreibt Professor Matt Hurles, Direktor des Sanger Institute, in der Pressemitteilung zur Studie.

Bei Männern um die 30 haben im Durchschnitt rund 2 Prozent der Spermien Mutationen, die Krankheiten verursachen können. Bei einem 50-jährigen werdenden Vater liegt diese Zahl laut der neuen Studie bereits bei 3 bis 4 Prozent. Ein 60-Jähriger hat ein doppelt so hohes Risiko wie ein 30-Jähriger.

Das Durchschnittsalter der Väter steigt in der Schweiz

Die Forscher entdeckten dabei Gene für unterschiedliche Krankheiten. So stieg in den untersuchten Proben beim Nachwuchs das Risiko für Kleinwüchsigkeit, Herzfehler, Blutungsstörungen oder für Krebs im Kindesalter.

Das Durchschnittsalter werdender Väter nimmt in der Schweiz seit Jahren zu. Jeder fünfte Vater ist heute bei der Geburt eines Kindes 40 Jahre alt oder älter. Die Zahl neuer Väter über 50 Jahre hat sich zwischen 1996 und 2022 verdreifacht.

«Das Ergebnis der Studie überrascht mich nicht», sagt Anita Rauch, Professorin für Medinische Genetik an der Universität Zürich. Schon frühere Studien hätten Hinweise in diese Richtung gegeben.

Genetik: Neumutationen führen nicht immer zu Krankheiten

So wies eine Studie der Universität Oxford mit isländischen Daten nach, dass das Risiko für Neumutationen bei Kindern mit dem Alter des Vaters ansteigt. In diesen Daten zeigte sich, dass vor allem die Gefahr für neurologische Entwicklungsstörungen wie Autismus oder für psychische Leiden wie Schizophrenie leicht stieg.

Nicht jede Neumutation sorgt beim Nachwuchs für eine Krankheit, denn nicht jede Stelle in unserem Genom ist gleich entscheidend. «Wenn die Mutation jedoch eine wichtige Stelle trifft, dann löst dies eine Krankheit aus», sagt Genetikerin Rauch. Ausser die Krankheit würde nur entstehen, wenn beide Elternteile ein fehlerhaftes Gen vererben.

«Die neue Studie zeigt nun erstmals in grösserem Rahmen, welche Gene bei Mutation dazu neigen, sich in den Keimzellen einen Selektionsvorteil zu verschaffen und damit bis zu 3 bis 5 Prozent der Spermien bei Männern mittleren Alters zu betreffen», sagt Rauch. Diese Zahl sei bislang so noch nicht bekannt gewesen.

Doch warum haben krank machende Gene manchmal einen Vorteil gegenüber gesunden? Das könne man sich ähnlich vorstellen wie bei Krebs, sagt Expertin Rauch. Krebs entstehe durch Mutationen, die das Wachstum einer Zelle förderten. Durch zu viel Wachstum komme es dann zum unsauberen Kopieren des Erbguts, wodurch sich weitere Fehler ansammelten und der schädliche Krebs entstehe.

Auch das Risiko für Fehlgeburten könnte durch Mutationen steigen

Genauso führen manche schädliche Mutationen in den Vorstufen der Keimzellen, in diesem Fall der Spermien, zu einem Wachstumsvorteil, weil sie den einzelnen Zellen helfen, sich schneller zu vermehren. Die Studienautoren identifizierten 40 solcher Gene, bei denen diese Mechanismen spielen. Von 31 war das bislang nicht bekannt.

Eine mögliche Folge dieser schädlichen Mutationen im Erbgut des Nachwuchses sind zudem Fehlgeburten im ersten Trimester. Manche Mutationen haben einen so grossen Einfluss auf die Gesundheit des ungeborenen Kindes, dass sich der Embryo ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr weiterentwickeln kann und die Schwangerschaft verloren geht. So schreiben die Autoren: «Viele pathogene Varianten in den Spermien führen nicht zu Lebendgeburten.»

In der Studie testeten die Forscher auch, ob Rauchen, Alkohol oder ein hoher BMI einen ähnlich schädlichen Effekt haben wie das Alter des Vaters. Im Blut der Männer zeigte sich dieser Effekt, in den Spermien blieb er jedoch aus. Die Keimbahn könnte also vor diesen Substanzen stärker geschützt sein, mutmassen die Wissenschaftler. Doch es brauche mehr und grössere Studien, um diese Vermutung zu bestätigen.

Der Ersttrimestertest, den alle Schwangeren zwischen der 12. und der 14. Schwangerschaftswoche auf Wunsch machen können, testet nur Chromosomenanomalien wie Trisomie 13, 18 und die am häufigsten vorkommende Variante 21, nicht aber krank machende Mutationen, die möglicherweise vom Vater vererbt wurden.

In der genetischen Sprechstunde des Universitätsspitals Zürich werden diese neuen Erkenntnisse jedoch bereits berücksichtigt: «Falls wir ein Paar zu allgemeinen reproduktiven Risiken beraten, sprechen wir auch das Altersrisiko des Mannes an», sagt Rauch.

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EinloggenAlexandra Bröhm ist Wissenschaftsjournalistin und Autorin des historischen Romans «Yrsa. Die Liebe der Wikingerin». Sie schreibt über Gesundheitsthemen und über Geschichte und Archäologie.

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