Zum Glück ist Stefanie Sargnagel mit dabei. Dank der stets superlustigen, sich wohltuend nicht wichtig nehmenden Autorin aus Österreich kriegt „Die große Klassenrevue“ dann doch noch einen Zug ins Brillante. Das „Spielart“-Festival besetzt das Schauspielhaus der Kammerspiele, es ist bumsvoll, Christiane Rösingers Revue, die vor gut zwei Jahren am HAU Hebbel am Ufer herauskam, hat viele Fans. Das ist durchaus nachvollziehbar, man steht auf der richtigen Seite, es tut nicht weh, alles ist flott. Aber lustig? Na ja, lachen tun hier schon viele.
Die Revue gehört zum Schlussspurt des „Spielart“-Festivals in München, sie steht fast am Ende der 16 Tage Performance, Tanz, Musik, auch Diskurs, der 30 internationalen Produktionen an 15 Spielorten. 30 Jahre nach seiner ersten Ausgabe ist „Spielart“ dabei längst auch in die großen Theaterhäuser der Stadt gezogen, von deren Kunst man sich anfangs abgrenzen wollte. Doch Stadttheater hat sich verändert – und Produktionen wie „Die große Klassenrevue“ gehören nun zum Programm, gezeigt im Schauspielhaus der Kammerspiele.
Theaterfestival „Spielart“
:Die Welt an der Angel
Indigene Rituale, heilige Kühe und ein dicker Wal: Das „Spielart“-Festival in München zeigt Theater aus dem globalen Süden – und es macht Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Dabei geht es um Klassismus, um die Armen und die Reichen, um die, die erben, und die, die nichts haben. Die einen wollen gar nicht reich sein (echt?), haben Angst vor einer Festanstellung, die anderen sollen am besten alles hergeben. Klassenbewusstsein von oben, von unten, viele tolle Coversongs, eine muntere Band, sechs, sieben Darstellende, von denen zwei, drei auch singen können. Aber keine echte Wut, kaum echte Not, keine echte Anarchie, viel Plingplang, Zwanzigerjahre-Brecht-Anleihen, familien- und früchteteetaugliches Kabarett mit ein paar Splittern guter Geschichten, alles gereimt.
Und dann kommt Sargnagel. Erst als ein giftgrüner Stoffballen, sie ist der Neid, dann als Erbscham-Therapeutin. Sie berichtet von den Vorteilen, als Arbeiterkind aufgewachsen zu sein. Den ganzen Tag fernsehen, kulinarisch robuster ausgerüstet als die Linsenschlammesser in der Schule, kam ihr einer blöd, hieß es: „Du kannst mir den Arsch aussaugen.“ Die Therapie: Offenheit, Verzicht, Aufarbeitung (etwa von auf Arisierung beruhenden Familienvermögen).
Carlos Cruz beschäftigte sich in „Veta Negra“ mit der Ausbeutung Indigener in Mexiko. (Foto: Mara Arteaga)
Aber getroffen fühlt man sich nie, inspiriert auch nicht. Das ist bei Carlos Cruz anders. Seine Performance „Veta Negra“, eingeladen aus Pachuca, gehört zum „Bird on Peripheries“-Programm des Festivals, eigens kuratiert, mentoriert, dem Nachwuchs gewidmet. Cruz zeigt, irgendwie passend zu Allerheiligen, einen dunklen Rausch, einen (Selbst-)Befreiungsakt, voller Tode und der Erinnerung daran. Es geht um die Ausbeutung Indigener in Mexiko, die Kolonialherren wollten das Silber, die, die gezwungen wurden, es abzubauen, kamen qualvoll ums Leben. Ihnen widmet Cruz eine Messe aus Tanz, verstörender Livemusik, ein Erinnerungsritual voller Schmerzen.
Den Körper, seine Zuschreibungen und Möglichkeiten der Befreiungen stellen die beiden Nachwuchs-Performerinnen Stéphanie Mwamba aus der Demokratischen Republik Kongo und Zantara von der Elfenbeinküste ebenfalls über den Tanz ins Zentrum. Mwamba geht es um die weiblichen Körper als ein „unterdrücktes Territorium“ im Osten ihres Landes. Und tatsächlich, ihr Körper wird über eine knappe halbe Stunde zu einer Kampfzone von äußerer Gewalt, innerer Zerrissenheit und Empowerment.
Zantara hingegen ist auf das Ich zurückgeworfen. Ihre Augen sind verbunden, ihre Extremitäten scheinen ein Eigenleben zu entwickeln, die Grenzen der von Publikum umringten Bühne zu kennen. Doch sie gliedern sich wieder ein, kehren zu den (Bewegungs-) Codes zurück, die Zuschreibungen sehr viel leichter erlauben. Kolonialgeschichte ist längst nicht mehr das dominierende Thema dieser, wie auch der übrigen Produktionen vom afrikanischen Kontinent bei „Spielart“. Es sind spannende Neudeutungen der eigenen Geschichte(n), ohne Europa beachten zu müssen.
Bei „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ von Stefan Kaegi stehen keine Schauspieler, sondern drei „Experten des Alltags“ auf der Bühne. (Foto: Claudia Ndebele)
Viel mehr um postkoloniale Macht und Ohnmacht geht es in „This Plot Is Not For Sale“ der „Münchner Theatertexter*innen“ und Gisemba Ursula aus Nairobi. Die schräge Performance mit Hang zum Absurden schert sich weniger um politische Korrektheit, als darum, eine solche Korrektheit als eine oft nur scheinbar echte und tiefe Haltung zu entlarven.
Doch die starken, politischen Pole gibt es bei „Spielart“ selbstverständlich. Stefan Kaegi von Rimini Protokoll hat mit „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ die Scheinwerfer auf Taiwan gerichtet und von dort aus auf die Welt. Und zwar zwei Abende in der Muffathalle. Keine Schauspieler, sondern drei „Experten des Alltags“ stehen auf der Bühne: David Chienkuo Wu, ein ehemaliger Botschafter, Chiayo Kuo, Gründerin einer NGO, und Debby Szu-Ya Wang, Erbin einer Bubble-Tea-Dynastie. Es geht um die Folgen, die die Ein-China-Politik für Taiwan hat, die etwa keine offizielle Anerkennung in vielen Ländern bedeutet.
Spielart-Festival in München
:Theaterabende, die provozieren und verbinden
Politische Performance aus den Niederlanden, Musik und Tanz aus Ruanda: Das Spielart-Festival für zeitgenössische Theaterformen verbindet in herrlicher Dichte unterschiedlichste Themen und Ästhetiken.
„Dies ist keine Botschaft“ ist ein Abend, der einerseits den Regeln des Dokumentartheaters folgt und unfassbar viel Material und Informationen auf das Publikum einwirken lässt. Andererseits findet es eine sehr theaterpraktische und witzige Umsetzung: Eine Botschaft soll nun eben in der Muffathalle eröffnet werden. Welche Folgen hat das wirtschaftlich für Deutschland? Tragen das alle mit? Und wie überhaupt soll die Fahne ausschauen, welche Hymne wird gespielt, ist es die Vertretung von Taiwan oder die der Republik China?
Die drei auf der Bühne sind sich in vielem nicht einig und suchen doch gemeinsam ein Ziel. Diplomatie live auf der Bühne, so friedlich wie man sie sich oft wünschte. Die Performance weitet den Blick, nach Taiwan und wieder zurück. So wie „Spielart“ insgesamt den Horizont wieder ein Stück verschoben hat.

