
Kurz vor der 30. Weltklimakonferenz warnen die Vereinten Nationen vor einem dramatischen Anstieg der Erderwärmung. Ohne weitere Schutzmaßnahmen dürfte das 1,5-Grad-Ziel schon bald überschritten werden. Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer.
Die Erde steuert den Vereinten Nationen zufolge bis zum Ende des Jahrhunderts auf 2,8 Grad Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit zu. Allerdings nur vorausgesetzt, dass die Länder ihre nationalen Klimaschutzpläne (NDC) wie angekündigt umsetzen – sonst könnte es noch schlimmer kommen.
Sehr wahrscheinlich werde das international vereinbarte 1,5-Grad-Ziel schon innerhalb des nächsten Jahrzehnts überschritten, teilte das UN-Umweltprogramm (UNEP) mit Sitz in Nairobi mit. Die Weltgemeinschaft will die Erderwärmung eigentlich bei 1,5 Grad begrenzen, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden.
Gegenüber den im vergangenen Jahr prognostizierten 3,1 Grad fällt die Berechnung im diesjährigen UN-Bericht etwas besser aus. Geht man davon aus, dass die Staaten alles umsetzen, was sie sich in ihren nationalen Klimaschutzplänen vorgenommen haben, wäre der Berechnung zufolge bis Ende des Jahrhunderts mit 2,3 bis 2,5 Grad – im allerschlimmsten Fall sogar weiterhin mit bis zu 2,8 Prozent Erwärmung zu rechnen. Im vergangenen Jahr lag diese Prognose noch bei 2,6 bis 2,8 Grad.
Guterres: „Bei weitem nicht genug“
„Das ist ein Fortschritt – aber bei weitem nicht genug“, kritisiert UN-Generalsekretär António Guterres. Mit den derzeitigen Plänen stünden die Zeichen immer noch auf „Klimakollaps“. „Der Ehrgeiz und die Maßnahmen reichen nirgends auch nur annähernd an den global benötigten Umfang heran“, kritisiert Klimaexpertin Anne Olhoff, die maßgeblich an dem UNEP-Bericht beteiligt war, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Damit sind Expertinnen und Experten zufolge mehr und heftigere Extremwetterereignisse wie Stürme, Dürren und Überflutungen zu erwarten. Zudem drohen sogenannte Klima-Kipppunkte erreicht zu werden, an denen eine weitere Beschleunigung des Klimawandels in Gang gesetzt wird.
So ist die Erde durch ihre bisherige Erwärmung bereits zu warm für ein dauerhaftes Überleben der tropischen Korallenriffe geworden. Wenn die Erderwärmung nicht auf deutlich unter zwei Grad begrenzt wird, dürfte dies schwere und dauerhafte Folgen für die Eisschilde an den Polen und den Amazonas-Regenwalds haben.
Nur ein Drittel der Länder reichen Pläne fristgerecht ein
Der neueste Emissions Gap Report des UNEP hat allerdings nur die eingereichten Klimaschutzpläne und Ankündigungen der Staaten geprüft, die bis wenige Wochen vor der 30. Weltklimakonferenz beim UN-Klimasekretariat eingegangen sind.
Bis zum Ablauf der Frist Ende September hatten gerade mal 60 von fast 200 Vertragsparteien des Pariser Abkommens ihre neuen NDCs mit Zielen bis 2035 beim Klimasekretariat eingereicht. Dessen Fachleute hatten deshalb auf eine Prognose der Erderwärmung in ihrem NDC-Synthesis-Bericht verzichtet, wohl aber klar gemacht, dass viele Klimapläne mehr Ambitionen und vor allem mehr Tempo brauchen.
Austritt der USA könnte für Verschlechterung sorgen
Die UNEP-Expertinnen und -Experten resümieren außerdem: Ein Zehntel Grad der prognostizierten Verbesserung seien bereits auf eine aktualisierte Rechenmethode zurückzuführen. Außerdem ist der bewertete Klimaplan der USA noch unter der ehemaligen Regierung von Joe Bidens entstanden.
Im Januar wird der angekündigte Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen final gültig. Der Wegfall der US-Klimaschutz-Ambitionen könnte laut UNEP die Erwärmung wieder um ein Zehntel-Grad verstärken.
Wie lange bleibt es bei 1,5 Grad?
Das bislang heißeste Jahr 2024 hat die Marke von 1,5 Grad bereits gerissen – offiziell verfehlt gilt das Ziel erst im mehrjährigen Durchschnitt. Die Vereinten Nationen sehen die Überschreitung jedoch als kaum noch vermeidbar an. „Entschiedene, zeitnahe Verringerungen der Emissionen kann den Beginn der Überschreitung verzögern, aber nicht vollständig verhindern“, schreiben die Autorinnen und Autoren des Berichts.
„Die große Aufgabe, die vor uns liegt, besteht darin, dieses Überschreiten vorübergehend und minimal zu halten“, sodass eine Rückkehr auf 1,5 Grad im Bereich des Möglichen bleibe. Guterres warnt: „Jede Phase, in der die Ziele überschritten werden, wird unweigerlich dramatische Folgen haben “ mit dem Verlust von Menschenleben, entwurzelten Gemeinden und Rückschritten in der Entwicklung.“
Doch es gibt auch einen Lichtblick: Seit dem Beginn des Pariser Klimaabkommens vor zehn Jahren hat sich die jährliche Erwärmungsprognose verringert, damals ging man von 3 bis 3,5 Grad aus.
Technische Kohlenstoffentfernung
Das UNEP plädiert in seinem Bericht an die Länder vor allem dafür, so schnell wie möglich neue Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Bewährte Lösungen gebe es, wie beispielsweise erneuerbare Energien aus Wind und Sonne. Zudem sollten besonders gefährliche Methanquellen präventiv bekämpft werden. Diese entstehen etwa, wenn Feuchtgebiete trockenfallen, aber auch, wenn Kohle, Öl und Gas gefördert werden.
Jeder vermiedene Bruchteil eines Grades verringere Schäden und Verluste in Folge der Klimaerwärmung – und zwar in allen Teilen der Welt, so der Bericht. Aber technische Methoden der Kohlenstoffentfernung seien riskant und kostspielig. Sie müssten laut dem Bericht etwa fünf Jahre der aktuellen globalen jährlichen CO2-Emissionen dauerhaft entfernen und speichern, um nur ein Zehntel-Grad der Überschreitung umzukehren.
Lösungen vorhanden, politisches Klima schwierig
Die Expertinnen und Experten des Umweltprogramms der Vereinten Nationen appellieren auch an die G20-Länder. Sieben davon haben neue Klimaschutzpläne (NDC) mit Zielen bis 2035 vorgelegt, drei hatten bis zum Zeitpunkt der Analyse, zumindest welche angekündigt. China reichte am Montag seinen Plan nach. Die EU berät sich aktuell dazu. Unterm Strich bleibt: Die Zusagen für mehr Klimaschutz seien nicht ambitioniert genug, so der Bericht.
Dabei sind die G20, mit Ausnahme der Afrikanischen Union, für fast 80 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Sie seien von entscheidender Bedeutung, Klimaschutz trotz schwierigem geopolitischem Umfeld voranzubringen, sagt der UNEP-Bericht. UN-Klimasekretär Simon Stiell sieht dafür auch bei der anstehenden COP30 im brasilianischen Amazonas Regenwald eine Chance: „Wir sind noch im Rennen, aber um einen lebenswerten Planeten für alle acht Milliarden Menschen zu sichern, müssen wir dringend das Tempo erhöhen.“
Mit Material von Janina Schreiber, SWR