Digitale Wettbewerbsfähigkeit –
Schweiz schlägt die USA und Singapur – trotz Funklöchern im Zug
Im globalen Ranking sind Talente und Stabilität wichtiger als Techgiganten. Warum? Das erklärt der am Ranking beteiligte IMD-Chefökonom José Caballeros.
Publiziert heute um 21:04 Uhr
Die Schweiz führt erstmals die Rangliste der digital wettbewerbsfähigsten Staaten an: Blick auf Zürich, wo die ETH sowie internationale Techkonzerne wie Google und Nvidia angesiedelt sind.
Foto: Urs Jaudas
Die Schweiz ist seit Sommer das wettbewerbsfähigste Land der Welt – und nun auch das digital wettbewerbsfähigste. Wie kann es sein, dass wir plötzlich besser dastehen als Singapur oder die USA – also Volkswirtschaften, die den Ausbau digitaler Infrastruktur massiv fördern? José Caballeros, Chefökonom an der Lausanner Wirtschaftshochschule IMD, erklärt die Gründe. Er war massgeblich an diesem Ranking beteiligt.
Herr Caballeros, wir haben kein elektronisches Patientendossier und Zugreisende müssen ständig WLAN-Ausfälle hinnehmen. Trotzdem ist die Schweiz Spitzenreiterin bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit?
Auch ich ärgere mich über Funklöcher im Zug. Und wenn ich für die Verlängerung meiner Aufenthaltsgenehmigung jedes Mal persönlich bei der Gemeinde vorsprechen muss, frage ich mich, warum das nicht auf dem elektronischen Weg möglich ist. Doch solche Infrastrukturprobleme haben andere Länder auch. In der Schweiz hingegen gibt es gleichzeitig hoch qualifizierte Arbeitskräfte, sie ist ein Standort für Spitzenforschung und hat einen sehr stabilen institutionellen Rahmen. Mit Blick auf die derzeitige Regierungsführung in den USA und die damit verbundene Unsicherheit zeigt sich, wie wertvoll dies ist, um die digitale Wettbewerbsfähigkeit voranzutreiben.
Die Schweiz steht zwar für Spitzenforschung und hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Doch die hier präsenten grossen Techfirmen stellen vor allem Expats ein. Wird dies im Ranking berücksichtigt?
Der unübertroffene Vorteil des Schweizer Bildungssystems ist, dass es genau die Talente hervorbringt, die die Privatwirtschaft benötigt. Gleichzeitig gibt es, wenn der Bedarf besteht, die Möglichkeit, Talente aus dem Ausland zu holen. Das Land ist aufgrund seiner starken Forschungseinrichtungen und der hohen Lebensqualität in der Lage, hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte und Innovatoren anzuziehen. Dieser hohe Standard und diese Flexibilität existieren in den USA nicht.
Die Schweiz hat kein Techunternehmen hervorgebracht, das nur annähernd an Apple, Microsoft, Nvidia, Amazon, Google und Meta herankommt. Wie kann die Schweiz digital wettbewerbsfähiger sein als die USA?
Unser Ranking misst nicht, wer heute am digitalsten ist oder den Markt dominiert, sondern die Fähigkeit von Volkswirtschaften, digitale Modelle erfolgreich umzusetzen.
Was heisst das?
Es bewertet, wie gut ein Land in Bezug auf Talent, Forschung, Kapital, Institutionen und Unternehmenskultur aufgestellt ist, um digitale Technologien schnell und wirksam zu übernehmen. Es geht also nicht darum, ob das Land heute schon die grösste Marktmacht hat.

José Caballeros ist Chefökonom an der Managementschule IMD in Lausanne. Er ist massgeblich am Ranking der Wettbewerbsfähigkeit von Staaten beteiligt.
Foto: PD
In diesem Fall hätte die Schweiz am ehesten die Kapazität, durch die Digitalisierung Wirtschaftswachstum zu generieren, richtig? Doch dass die künftigen Apples, Googles und Amazons bei uns entstehen sollen, wirkt utopisch.
Unser Ranking kann nicht in die Zukunft blicken. Doch die Schweiz hat globale Grosskonzerne hervorgebracht – denken wir etwa an Nestlé. Analog dazu gibt es auch heute in der Schweiz diverse Firmen mit viel Potenzial.
Wie soll das gehen? Präsident Trump stärkt die digitale Wettbewerbsfähigkeit der USA, indem er Regulierungen für Techkonzerne abschafft, ein riesiges KI-Investitionspaket gesprochen hat und Regulierungsbemühungen der EU mit Zollandrohungen bestraft.
Der Technologiesektor in den USA ist ein Oligopol. Das heisst: Die Marktmacht konzentriert sich auf wenige sehr grosse Unternehmen. Die USA nutzen diese Dominanz, um zum Beispiel in Europa eine Lockerung von Regulierungen auszuhandeln, damit US-Firmen effizienter im eigenen Interesse agieren können – oft zulasten lokaler Anbieter. Wie sich das auf die Wettbewerbsfähigkeit den USA auswirkt, werden wir erst im kommenden Ranking abbilden können.
Es gibt zwar viele Start-ups und Spin-offs von ETH und EPFL, doch viele gehen nicht in der Schweiz an die Börse, sondern in den USA. Die Schweiz profitiert also gar nicht so sehr davon.
Wenn diese Firmen in den Vereinigten Staaten kotiert sind und Kapital aus dem Ausland anziehen können, zeigt das, dass sie etwas richtig machen. Gut möglich, dass eines dieser Start-ups irgendwann die Reichweite von Google und Apple haben wird.
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EinloggenEdith Hollenstein ist Wirtschaftsredaktorin und stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsteams. Sie arbeitet seit mehr als fünfzehn Jahren im Journalismus.Mehr Infos
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