So stellt sich die KI Gemini eine ManufacturingX-Fabrik vor. Abb.: KI Gemini, Prompt: Heiko Weckbrodt

So stellt sich die KI Gemini eine ManufacturingX-Fabrik vor. Abb.: KI Gemini, Prompt: Heiko Weckbrodt

Im Freistaat sind einzigartige Test-Infrastrukturen und Praxisbeispiele für gemeinsame Datenräume der Industrie entstanden

Dresden, 4. November 2025. Um dem steigenden Wettbewerbsdruck aus China, Trumps Zollkriegen, Modernisierungs-Staus und der generellen deutschen Wirtschaftsschwäche neue Wachstumsimpulse entgegen zu setzen, fokussieren sich viele hiesige Maschinenbauer, Chipfabriken, Auto- und Flugzeugzulieferer wie auch andere Industrie-Unternehmen verstärkt auf die Digitalisierung ihrer Produktionsprozesse, auf „Industrie 4.0“-Konzepte und vernetzte Datenräume nach dem „ManufacturingX“-Prinzip (ManuX). Im Großraum Dresden sind dafür in den vergangenen Monaten unter der Führung des „Smart Systems Hub“ eine deutschlandweit einzigartige mobile Testfabrik und ManuX-Praxisanwendungen entstanden. Hub-Chef Michael Kaiser sieht nun gute Chancen, dass Sachsen diesen Vorsprung ausbauen und in dieser Zukunftstechnologie eine Führungsposition einnehmen kann. Das hat er am Rande des Branchentreffens „Hub Disrupt“ in der VW-Manufaktur Dresden auf Oiger-Anfrage eingeschätzt.

„Unsere Testumgebung ist einmalig in Deutschland“
Michael Kaiser, Smart Systems Hub Dresden

Smart-Systems-Hub-Chef Michael Kaiser führt auf der die "Hub disrupt" sein rollendes Testbed für ManufacturingX vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Smart-Systems-Hub-Chef Michael Kaiser führt auf der die „Hub disrupt“ sein rollendes Testbed für ManufacturingX vor. Foto: Heiko Weckbrodt

„Mit der von uns geschaffenen Testumgebung sind wir ganz vorne mit dabei“, meint Kaiser. Dies sei auch ein Grund, warum mittlerweile Unternehmen aus ganz Deutschland ihre ManufacturingX-Konzepte am mobilen Fabrikmodell aus Sachsen erproben wollen. Dieses „Testbed“ besteht aus hölzernen Hightech-Rollcontainern, die sich modular zu modernen Fertigungs-Testlinien kombinieren lassen. Dazu gehören ein funktionierendes Mini-Fabrikmodell, ein 3D-Drucker, ein Roboter mit Betriebssystem von Wandelbots Dresden, ein computerassistierter Handmontage-Arbeitsplatz von Isax Dresden, digitalen Zwillingen der Produktionslinie von N+P Meerane, Messtechnik von TDE Instruments aus Radebeul, Silikon-Erschütterungssensoren von Nanosens Chemnitz, „Industrie 4.0“-Nachrüstbaukästen für Altmaschinen von „Inhub“ aus Chemnitz, selbst die nachhaltig konstruierten Rollcontainer sind lokal gefertigt, nämlich von Ligenium Chemnitz.

„SemiconductorX“: In der vernetzten Chipproduktion könnte die sächsische Halbleiterindustrie neue Standards setzen

Und dies ist eben nur ein kleiner Auszug aus dem ManufaturingX-Ökosystem, das in Sachsen gerade wächst. Ein Beispiel: Als Europas führender Produktionsstandort für Mikroelektronik verfügt der Großraum über einzigartige Voraussetzungen, die vernetzte Produktion über ganze Wertschöpfungsketten hinweg in der Halbleiterindustrie vorzuexerzieren. „SemiconductorX“ heißt dieser Branchen-Ableger von „ManufacturingX“ und wird in Sachsen vor allem von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTWDD) bearbeitet. Die Hoffnung dabei: Wer hier die ersten Pilotlösungen generiert und in die Massenproduktion überführt, erarbeitet sich einen Innovationsvorsprung vor der Konkurrenz, erschließt sich neue Einnahmequellen in der „Datenökonomie“ und setzt „ganz nebenbei“ auch Standards, die die gesamte Branche weltweit transformieren.

Die VW-Manufaktur Dresden ist Gastgeber für die "Hub disrupt" zum Thema ManufacturingX. Foto: Heiko Weckbrodt

Die VW-Manufaktur Dresden ist Gastgeber für die „Hub disrupt“ zum Thema ManufacturingX. Foto: Heiko Weckbrodt

Maschinenbauer wünschten sich Ähnliches wie CatenaX aus der Autoindustrie

Die Idee dahinter ist nicht neu, sondern geistert bereits seit Jahren durch Deutschland – als Weiterentwicklung und Ergänzung zu „Industrie 4.0“. Den Anfang machte die Autoindustrie, die mit „CatenaX“ einen Datenraum schuf, in dem Autobauer, Zulieferer und Dienstleister beispielsweise tagesaktuelle Produktionspläne, Füllstände in Bauteile-Lagern, Transportströme und andere Daten digital austauschen können. Dadurch entstehen weniger Produktionspausen durch fehlende Teile, können Zulieferer ihre eigenen Einkäufe besser planen und die Autofabriken auf neue Aufträge rascher reagieren. Als dieses System ins Laufen kam und die Effizienz-Vorteile deutlich wurden, wollten auch die deutschen Maschinenbauer etwas Ähnliches haben – und so entstand unter dem Etikett „ManufacturingX“ das Konzept einer vernetzten Produktions- und Ressourcenplanung über Betriebe und Wertschöpfungs-Kettengliedern hinweg. Unter diesem Dach entstanden dann Branchen-Konzepte wie „FactoryX“ vor allem für die Maschinenbauer, „SemiconductorX“ für die Mikroelektronik und „AerospaceX“ für die Luft- und Raumfahrtindustrie.

Ist auch zu Besuch auf der ManufacturingX-Tagung in Dresden: Dieser humanoide Roboter will sich demnächst als Filmschauspieler verdingen. Foto: Heiko Weckbrodt

Ist auch zu Besuch auf der ManufacturingX-Tagung in Dresden: Dieser humanoide Roboter will sich demnächst als Filmschauspieler verdingen. Foto: Heiko Weckbrodt

Dresdner Hub will Henne-Ei-Problem knacken

Doch diese Ideen in die Praxis zu überführen und damit messbare Produktivitätssprünge zu erzielen, erwies sich als langwieriger als gedacht. Das liegt einerseits daran, dass beispielsweise der deutsche Maschinenbau aus vielen kleinen und mittleren Betrieben mit ganz unterschiedlichen Traditionen und Digitalisierungsniveau besteht, die sich zudem ungern von anderen in die Karten gucken lassen. Andererseits kristallisierte sich immer mehr ein Henne-Ei-Problem heraus: Ohne praktische Vorzeige-Beispiele wollte kaum ein Mittelständler in dieser – sehr von einer Branchenkooperation zehrenden – Technologie vorpreschen. Durch diese Abwartehaltung entstanden dann aber eben auch keine Praxisanwendungen. Daher legten Bund und EU Förderprogramme für ManufacturingX-Anwendungen auf, subventionierten zudem milliardenschwer den Aufbau eigener europäischer Rechnerwolken als Alternative zu den großen Hyperscalern aus den USA. Und: Konkret in Dresden tat sich der Technologie-Vermittler „Smart Systems Hub“ mit Praxispartnern zusammen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. In Thingkathons, ManuX-„Pilotsprints“ und anderen Formaten entstanden Schnittstellen für die ganz unterschiedlichen Datenräume der beteiligten Branchen und vor allem erste Beispiele, wie ManufacturingX in der Praxis funktionieren kann.

Sitec-Chef Nico Nebel. Foto: Heiko Weckbrodt

Sitec-Chef Nico Nebel. Foto: Heiko Weckbrodt

Beispiel Sitec: Vernetzungs-Upgrade für heterogene Fabriken mit Altmaschinen

Ein Beispiel ist „Sitec Industrietechnologie“ aus Chemnitz: Der Sondermaschinen-Hersteller baute ein neues Geschäftsfeld für digitale Dienste auf und entwarf mit „Connect“ einen Baukasten aus Nachrüst-Sensoren, Schnittstellen und Computerprogrammen, der auch heterogene Fabriken mit Maschinen ganz unterschiedlicher Altersklassen – von der Mikromat-Anlage aus DDR-Zeiten bis hin zu neuesten Modellen – digital vernetzen kann. „Wichtig ist dabei aber, mit den gewonnenen Informationen nicht einfach nur Datensilos volllaufen zu lassen, sondern diese Daten dann auch für vorausschauende Wartung, die Erstellung von CO2-Bilanzen und andere Dienste zugänglich zu machen“, betont Sitec-Chef Nico Nebel. Indem das Chemnitzer Unternehmen für diese Vernetzung gemeinsam mit dem Smart Systems Hub und anderen Partnern „ManufacturingX“-Konzepte entwickelte, kann das neue Produkt und Geschäftsmodell schneller und gleich branchenübergreifend auf dem Markt eingeführt werden.

Oliver Köhn ist Geschäftsführer des VDMA Ost. Foto: VDMA

Oliver Köhn ist Geschäftsführer des VDMA Ost. Foto: VDMA

„Unsere Industrie steht unter erheblichen Transformations- und Wettbewerbsdruck“
Geschäftsführer Oliver Köhn vom VDMA Ost

Ähnliche Praxisbeispiele wollen die ManufacturingX-Partner aus Sachsen nun deutschlandweit und auch international schaffen – und auf weitere Branchen übertragen. Denn der Bedarf gerade im Maschinenbau, mit neuen Konzepten aus der deutschen Wirtschaftsmisere herauszukommen, ist auch nach Einschätzung des Verbandes deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) groß: „Unsere Industrie steht unter erheblichen Transformations- und Wettbewerbsdruck“, erklärt Geschäftsführer Oliver Köhn vom VDMA Ost. Dabei verweist er auf die erstarkte Konkurrenz aus China, die Zollkonflikte mit den USA, die stahlverarbeitende Unternehmen und Maschinenbauer besonders belasten, auf hohe Energiekosten und Steuern, den Fachkräftemangel sowie die ausufernden Bürokratielasten – letztere fressen bei typischen Maschinenbau-Mittelständlern inzwischen im Schnitt über sechs Prozent vom Umsatz. Daher brauche die Industrie dringend neue Impulse. „ManufacturingX birgt da die Chance auf neue Verdienstquellen und Geschäftsmodelle.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Smart Systems Hub, Hub disrupt, Oiger-Archiv, Wikipedia, Sitec, VDMA, Catena-X Automotive Network

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

Ähnliche Beiträge

Ähnliche Beiträge